Année politique Suisse 1977 : Chronique générale / Politique étrangère suisse / Aussenwirtschaftspolitik
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Liberalisierung des Welthandels
Einer verstärkten Exportförderung für die Landwirtschaft, wie sie bäuerliche Kreise wünschten [91], standen die Behörden eher skeptisch gegenüber. Man könne nicht auf einer autonomen Agrarpolitik beharren, die zudem volkswirtschaftlich mit hohen Kosten verbunden sei, um dann durch eine forcierte Begünstigung der landwirtschaftlichen Ausfuhr die Handelspartner vor den Kopf zu stossen [92]. Die Schweiz müsse in erster Linie auf die Liberalisierung des Welthandels bedacht sein; es gehe vor allem darum, den Freihandel weder durch hohe Zollmauern noch durch übertriebene Exportsubventionierung zu beeinträchtigen, denn die Schweiz habe in der Regel durch Schutz- und Retorsionsmassnahmen mehr zu verlieren als zu gewinnen [93].
Auf Mitte Jahr fielen zwischen den EG-Staaten und der EFTA die letzten Zollschranken für industrielle Waren. Damit ist ein wichtiges Ziel schweizerischer Aussenwirtschaftspolitik der Nachkriegszeit erreicht: die Schaffung eines Freihandelsraumes für 300 Mio Westeuropäer ohne Preisgabe der politischen Unabhängigkeit unseres Landes [94]. Zwischen der politischen EG-Idee und den kommerziellen EFTA-Zielen scheint sich indes ein gewisser Ausgleich abzuzeichnen: Während die politische Integration Europas zunehmend ins Stocken gerät, schafft die Eigengesetzlichkeit des Freihandels wachsende Interdependenzen, die ihrerseits einer zwischenstaatlichen Kooperation rufen, welche weit über den Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik hinausreicht. Um die so entstehenden Probleme zu meistern, wünscht die Schweiz ihre politische Zusammenarbeit vor allem im Rahmen der EFTA und des Europarates zu intensivieren; zu einer grundsätzlichen Änderung ihrer Integrationspolitik sieht sie sich jedoch nicht veranlasst, da nach wie vor neutralitäts- und staatspolitische Gründe, aber auch die Wahrung einer autonomen Landwirtschafts- und Fremdarbeiterpolitik ein engeres Verhältnis zu den EG ausschliessen [95].
Die weltweite Rezession hat in allen Volkswirtschaften strukturelle Schwächen zutage gefördert. Manche Staaten versuchen nun, der Arbeitslosigkeit und den Zahlungsbilanzschwierigkeiten dadurch zu begegnen, dass sie ihre heimische Industrie mit protektionistischen Massnahmen gegen die härtere Konkurrenz des Weltmarktes schützen [96]. Da die marktwirtschaftlich organisierte und exportorientierte Wirtschaft der Schweiz auf den liberalen Welthandel angewiesen ist, setzten die Behörden alles daran, um diesen Tendenzen in multilateralen Verhandlungen zu steuern. Die OECD-Staaten konnten durch eine Verlängerung des Stillhalteabkommens aus dem Jahre 1974 verpflichtet werden, von einer protektionistischen Handelspolitik abzusehen, während die Tokio-Runde des GATT gar einen weitern Zollabbau und die Beseitigung nichttarifarischer Handelshindernisse ins Auge fasste [97].
 
[91] Vgl. Amtl. Bull. NR, 1977, S. 937 (Einfache Anfrage Tschumi, svp, BE); Verhandl. B. vers., 1977, V, S. 29 f. (Motion NR Egli, cvp, LU), 33 (Interpellation NR Hungerbühler, cvp, SG), 47 (Interpellation StR Genoud, cvp, VS); Ldb, 58, 11.3.77. Vgl. auch unten, Teil I, 4c (Commerce agricole extérieur).
[92] Vgl. P. R. Jolles, «Die aktuellen Aufgaben der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik und die Stellung der Landwirtschaft », in Documenta, 1977, Nr. 2, S. 2 ff.
[93] Vgl. Anm. 73 und 104.
[94] Vgl. P. R. Jolles, «Der industrielle Freihandel: Meilenstein in der europäischen Integrationspolitik», in Documenta, 1977, Nr. 4, S. 2 ff.; H. J. Meyer-Marsilius, «Die Bewährung des Freihandelsabkommens Schweiz-EG aus der Sicht der Wirtschaft», in Aussenwirtschaft, 32/1977, S. 30 ff.; C. Lutz, «Westeuropa ohne Binnenzölle», in Schweiz. Bankverein, Der Monat, 1977, Nr. 6, S. 20 f.; Europa, 44/1977, Nr. 5-6 (Sonderbeilage); Ww, 48, 30.11.77.
[95] Vgl. F. Blankart, Grundlage und Grenzen einer künftigen westeuropäischen Zusammenarbeit, St. Gallen 1977 (Beiträge und Berichte, 50). Vgl. auch W. Zeller, Die unvollendete Union — Qualitätsmängel der Europäischen Gemeinschaft, Zürich 1977 (Texte + Thesen, 92); O. R. Liess, «EG, EFTA und RGW — unter einem gemeinsamen Dach?», in Schweizer Monatshefte, 57/1977, S. 599 ff.; TA, 151, 1.7.77. Vgl. auch oben, Integration Westeuropas.
[96] Vgl. W. Zeller, «Freihandel vom Protektionismus bedroht», in Europa, 44/1977, Nr. 9, S. 9; BaZ, 47, 18.3.77; 297, 29.11.77; 324, 28.12.77; Bund, 295, 16.12.77; 301, 23.12.77.
[97] Vgl. Gesch.ber., 1977, S. 204 und 212; wf, Dok., 33-35, 15.-29.8.77.