Année politique Suisse 1977 : Chronique générale / Défense nationale
 
Organisation
In bezug auf Organisation und Struktur der Armee setzte man die im Armeeleitbild 80 vorgesehenen Umstellungen fort. Nach der Neugestaltung der Versorgungsformationen unterbreitete der Bundesrat dem Parlament nun eine zweite Revision der Truppenordnung, die vor allem die Grenzdivisionen durch beweglichere Formationen verstärken und an die Felddivisionen angleichen will. Die Vorlage, die noch keine politisch brisanten Gewichtsverlagerungen enthält und relativ geringfügige Mehrkosten nach sich zieht, wurde von beiden Räten diskussionslos genehmigt. Die Opposition der Gebirgskantone, die schon im Vorjahr laut geworden war, richtete sich namentlich gegen die geplante dritte Revision, welche die Umrüstung von Infanterieverbänden auf Panzerabwehrwaffen vorsieht [25]. Ein teilweises Entgegenkommen des EMD brachte immerhin eine gewisse Entschärfung [26].
Zwei Neubesetzungen in den obersten Rängen gaben zu öffentlichen Diskussionen Anlass. Als der Bundesrat den Ausbildungschef G. Lattion ohne dessen Ersuchen auf Jahresende entliess, berief er sich auf die Praxis, Mitglieder der Landesverteidigungskommission nicht länger als bis zum Alter von 62 Jahren im Dienst zu behalten. Die Ersetzung des eigenwilligen Welschwallisers durch den Berner H. Wildbolz nach bloss drei Amtsjahren führte man jedoch auch auf Meinungsverschiedenheiten mit dem Chef des EMD zurück; die dadurch entstehende Untervertretung der lateinischen Schweiz im obersten militärischen Gremium wurde namentlich in welschen. Kreisen beanstandet [27]. Dass mit dem Rücktritt des Divisionärs H. Trautweiler kein Korps- und Divisionskommando mehr durch einen aus der Miliz stammenden Offizier besetzt ist, wurde gleichfalls kritisiert; im EMD betonte man jedoch, diese Einseitigkeit in der Führungsstruktur rühre von der mangelnden Bereitschaft geeigneter Anwärter, auf eine einträglichere Zivilkarriere zu verzichten [28].
Für den Frauenhilfsdienst, der seit einigen Jahren wieder eine wachsende Zahl von Anmeldungen verzeichnet, wurden weitere Neuerungen verfügt: so sollen die Herabsetzung des Eintrittsalters auf 18 Jahre und eine neue Uniform seine Attraktivität erhöhen; anderseits wurde die Grundausbildung verlängert. Die Änderung in der Leitungsorganisation aus dem Vorjahr — nebenamtliches weibliches Kommando und Administration durch einen männlichen Adjutanten — wurde von parlamentarischen Kritikern als Zurücksetzung der Frau interpretiert [29]. Die neue Kommandantin, Johanna Hurni, beklagte, dass Arbeitgeber und Behörden der weiblichen Dienstleistung oft noch zuwenig Anerkennung bewiesen; sie strebt eine Herauslösung ihrer Truppe aus dem Hilfsdienst an. Die von verschiedener Seite weiterhin gewünschte allgemeine Dienstpflicht der Frau empfahl sie im grösseren Rahmen der Gesamtverteidigung zu verwirklichen [30].
Die Neugestaltung der Rechtsgrundlagen für die innere Ordnung der Armee trat in die parlamentarische Phase. Der Bundesrat legte im Frühjahr eine Revision des Militärstrafgesetzes und eine Neufassung der entsprechenden Strafprozessordnung vor. Diese berücksichtigen die Entwicklung der Rechtsanschauungen und insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention. Nach der beantragten Regelung gibt es gegen Militärgerichtsurteile nicht mehr bloss die Nichtigkeitsbeschwerde, sondern auch die Appellation, die von besonderen Gerichten behandelt wird. Beschwerden gegen Disziplinarstrafen können an eine militärgerichtliche Instanz weitergezogen werden; der Oberauditor verliert seine richterlichen Funktionen. Die Militärgerichtsbarkeit wird im übrigen von gewissen Fällen (Urlaubsdelikte, Vergehen von Jugendlichen) entlastet; Spezialgremien wie die Territorialgerichte und das ausserordentliche Militärgericht entfallen. Für einfache Fälle wird das Strafmandatverfahren (ohne Verteidigung und Öffentlichkeit, aber mit Einsprachemöglichkeit) eingeführt [31]. In der vorberatenden 'Kommission des Nationalrates wurde ein Rückweisungsantrag der Sozialdemokraten, der auf eine Aufhebung der Militärgerichte zielte, abgelehnt [32].
Dem ordentlichen Gesetzesrevisionsprozess war eine Art Feuerwehrübung vorangegangen. Unter dem Eindruck von Äusserungen aus dem Bundesgericht über die Anwendbarkeit der Menschenrechtskonvention auf militärische Disziplinarstrafen hatte Oberauditor Lohner gegen Ende 1976 die Behandlung von Beschwerden gegen Arrestverfigungen eingestellt. Der Bundesrat glaubte sich veranlasst, dem Parlament einen Dringlichkeitsbeschluss zu unterbreiten, der so rasch wie möglich die Weiterziehung von Disziplinarbeschwerden an eine gerichtliche Instanz gestatten sollte [33]. Der Ständerat stimmte — wenn auch nicht einhellig — zu. In der zuständigen Nationalratskommission obsiegte jedoch die Ansicht, dass das Militärstrafrecht durch die Menschenrechtskonvention nicht automatisch ausser Kraft gesetzt werde. Der neue Oberauditor Barras erklärte sich darauf bereit, die vorliegenden Beschwerden selber zu behandeln. Im Einverständnis mit dem Chef des EMD sahen nun beide Räte von der Verabschiedung eines dringlichen Beschlusses ab [34].
Das Begehren nach einem Ombudsmann für die Armee, das 1973 eine parlamentarische Initiative zur Diskussion gestellt hatte, wurde durch eine Volksinitiative neu aufgegriffen [35]. Weitere Vorstösse galten der Verbesserung der Arrestlokale und der gemeinsamen Verpflegung von Kader und Mannschaft im Dienst [36].
 
[25] Botschaft: BBI, 1977, I, S. 1497 ff.; Presse vom 16.4.77. Ratsverhandlungen: Amtl. Bull StR. 1977, S. 327 f.; Amtl. Bull. NR, 1977, S. 990 ff. Zum Armeeleitbild vgl. SPJ, 1976, S. 48 f. Zur Neugestaltung der Versorgungstruppen vgl. SPJ, 1975, S. 59. Die Studiengruppe der CVP für Aussen- und Sicherheitspolitik betonte die Notwendigkeit einer Reserve in der Grösse einer mechanisierten Division und schlug zur Gewinnung neuer Bestände den allmählichen Abbau der Luftschutztruppen sowie die Übertragung ihrer Aufgaben an den Zivilschutz vor (Var., 253, 29.10.77).
[26] Vgl. Votum BR Gnägis im StR (Amtl. Bull. StR 1977, S. 327 f.) und Interview des Generalstabschefs in BüZ, 172, 23.7.77; ferner BüZ 90, 16.4.77; 247, 19.10.77.
[27] Presse vom 7. u. 9.4.77; Ww, 15, 13.4.77; TW, 94, 23.4.77; NZZ, 307, 31.12.77. Von den neun Mitgliedern der Kommission für militärische Landesverteidigung sind ab 1978 deren acht Deutschschweizer. Vgl. auch NZZ, 88, 16.4.77; ferner unten, Teil I, 8b (Groupes linguistiques).
[28] Presse vom 7.7.77; LNN, 170, 25.7.77; BaZ, 293, 25.11.77; A. Kaech, «Miliz und Lorbeer», in ASMZ, 143/1977, S. 361 f.
[29] Neuerungen: AS, 1977, S. 1965 ff.; Presse vom 2.7.77. Leitungsorganisation: vgl. Interpellationen Grosjean (fdp, NE) (Amtl. Bull. StR, 1977, S. 95 f.) und Girard (fdp, VD) ( Verhandl. B.vers., 1976, IV,'S. 30); ferner LNN, 12, 15.1.77 sowie SPJ, 1976, S. 51.
[30] NZZ, 19, 24.1.77; 264, 10.11.77. Gegen Jahresende betrug der Bestand des FHD 1800. Zur Dienstpflicht der Frau vgl. BaZ (sda), 19, 18.2.77; NZZ, 79, 4.4.77; TA (ddp), 291, 13.12.77; ferner SPJ, 1971, S. 15.
[31] BBI, 1977, II, S. 1 ff. Eine Studienkommission des EMD hatte die Revision vorbereitet (SPJ, 1973, S. 48 f.; vgl. auch SPJ, 1971, S. 63; 1972, S. 56; 1974, S. 50; 1975, S. 57).
[32] NZZ (sda), 126, 1.6.77. Die SP hatte schon im Vemehmlassungsverfahren die Abschaffung verlangt (BBI, 1977, II, S. 7; vgl auch SPJ, 1972, S. 56, Anm. 26).
[33] BBI, 1971, I, S. 1129 ff. Vgl. TA. 18, 22.1.77 sowie SPJ, 1976, S. 51 f.
[34] Ratsverhandlungen: Amtl. Bull StR, 1977, S. 74 f., 233 f.; Amtl. Bull NR, 1977, S. 498 f. NR-Kommission und Oberauditor: NZZ, 90, 19.4.77; TLM, 109, 19.4.77.
[35] Hauptinitiant war der von seiner Partei freilich nicht unterstützte Sozialdemokrat G. Jakob (Tat, 54, 4.3.77; TW, 90, 19.4.77; SZ, 124, 31.5.77). Vgl. SPJ, 1973, S. 47; 1974, S. 50; ferner oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
[36] Arrestlokale: Postulat Morf (sp, ZH) (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1002). Verpflegung: als Postulat überwiesene Motion Reiniger (sp, SH) (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1001 f.).