Année politique Suisse 1977 : Economie / Politique économique générale
 
Konjunkturlage
Obwohl zu Jahresbeginn die Prognosen für die Entwicklung der Konjunkturlage sehr zurückhaltend waren, setzte sich doch recht bald eine deutliche Wachstumstendenz durch. Die Zunahme des realen Bruttoinlandprodukts belief sich auf 4,0% (1976: -2,1 %), womit nicht nur erstmals seit 1974 wieder eine Steigerung zu verzeichnen war, sondern auch die Wachstumraten der meisten übrigen OECD-Staaten übertroffen wurden. Den grössten Wachstumsbeitrag steuerte, trotz des erneuten Kursanstiegs des Frankens, wiederum der Export bei. Dieser Exporterfolg vermochte sich im Berichtsjahr auch auf die Binnenwirtschaft auszuwirken; wenig Impulse gingen hingegen von den Staatsaktivitäten aus, betrug doch deren Steigerungsrate nur noch 1,0% (1976: 4,0%) [7].
Ein gutes Zeichen für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung bedeutet die Belebung der Investitionstätigkeit: erstmals seit 1973 lag hier eine reale Zunahme vor. Ob diese Tendenz anhalten wird, ist fraglich, nahmen doch die Zahlen über die Planvorlagen für industrielle Betriebe im Berichtsjahr wieder leicht ab; wenn allerdings nur die Industrieprojekte im engeren Sinn betrachtet werden (d.h. insbesondere unter Ausklammerung der Elektrizitätswerke), ist immer noch ein Zuwachs auszumachen [8]. Die Erholung der Industrie wird im weitern belegt durch das Ansteigen der Gesamtbeschäftigung um 0,7% (Jahresendstand) und den Rückgang der Betriebsschliessungen [9].
Da die industrielle Produktionszunahme mit 5% (unter Ausschluss der durch gute Wasserführung begünstigten Elektrizitätswerke immer noch 4%) den Beschäftigungsanstieg klar übertraf, ergab sich auch 1977 ein Anstieg der Arbeitsproduktivität. Bei der Produktionsentwicklung sind allerdings beträchtliche branchenspezifische Unterschiede festzuhalten; so beklagte zum Beispiel der Spitzenreiter des Vorjahres, die Chemie, gar einen Rückgang um 1%. Am besten entwickelten sich die Branchen Metall-, Holz- sowie Leder-, Kautschuk- und Kunststoffindustrie mit Zuwachsraten von 10, resp. 12%. Relativ zufriedenstellend verlief das Wirtschaftsjahr für die Uhrenindustrie, welche offenbar auf dem besten Wege ist, ihren Technologierückstand wettzumachen. Auf längere Frist räumen Experten dieser Branche jedoch nur dann eine Überlebenschance ein, wenn es ihr gelingt, eine massive Bereinigung ihrer Unternehmens- und Produktionsstrukturen vorzunehmen [10]. Sehr gut gehalten hat sich der Fremdenverkehr; trotz der ungünstigen Währungsverhältnisse erfreute sich die Schweiz gerade bei ausländischen Touristen einer steigenden Beliebtheit [11]. Von einer Stabilisierung auf tiefem Niveau muss man bei der Bauwirtschaft sprechen. Dank der ausgedehnten Aktivität im Ausland — vor allem in den erdölfördernden Staaten — konnte immerhin der fortgesetzte Schrumpfungsprozess im Inlandhochbau beinahe ausgeglichen werden [12].
Erneut stellte die im internationalen Vergleich niedrigste Inflationsrate das Prunkstück der schweizerischen Wirtschaftsentwicklung dar. Im Jahresdurchschnitt stiegen die Konsumentenpreise um 1,3% (1976: 1,7%); die geringen Auftriebstendenzen gingen weitgehend von der Preishausse fir einige importierte Nahrungsmittel aus [13]. Ab Oktober konnte der den veränderten Konsumgewohnheiten angepasste neue Landesindex der Konsumentenpreise in Anwendung gebracht werden. Diese Revision wurde in der Öffentlichkeit als akzeptabler Kompromiss gewürdigt; von Konsumentenkreisen wurde allerdings die Repräsentativität der Auswahl der rechnungsführenden Haushalte in Zweifel gezogen [14].
Das Erstellen von Wirtschaftsprognosen erwies sich nach wie vor als äusserst unsicheres Geschäft. Hauptsächlich Wirtschaftsvertreter warnten wiederholt vor einem übertriebenen Optimismus, mussten dann allerdings gegen Jahresende zur Kenntnis nehmen, dass die reale Entwicklung sogar noch günstiger ausgefallen war, als es die kritisierten Wissenschafter prophezeit hatten [15]. Zwecks einer genaueren Erforschung der Grundlagen des Konjunkturgeschehens beauftragten das EVD und die Nationalbank drei Wirtschaftsprofessoren mit der Ausarbeitung von Expertenberichten [16].
 
[7] Vgl. Mitteilung/Konjunturfragen, Nr. 250. Siehe ebenfalls unten, Teil I, 4b (Währungspolitik) und oben, 2 (Aussenhandel).
[8] Die Volkswinschaft, 51/1978, S. 14 f.
[9] Die Volkswirtschaft, 51/1978, S. 85 f 157 Industriebetriebe mit insgesamt 2815 Beschäftigten wurden im Berichtsjahr geschlossen (1976: 237 Betriebe mit 5849 Beschäftigten) (Die Volkswirtschaft, 51/1978, S. 10 ff.). Zum Arbeitsmarkt vgl. unten, Teil I, 7a (Marché du travail).
[10] Produktionsziffern: Die Volkswirtschaft, 51/1978, S. 120 ff. Zur Branchenentwicklung vgL auch SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 12, S. 15 W. und SBG, Schweizerisches Wirtschaftsjahr /977, Zürich 1977. Arbeitsproduktivität: E. Canonica, «Staat und Wirtschaft im Wandel», in Gewerkschaftliche Rundschau, 70/1978, S. 35 ff. Uhrenindustrie: SZ, 154, 6.7.77; BaZ, 247, 10.10.77; vgl. auch unten Strukturpolitik.
[11] Die Volkswirtschaft, 51/1978, S. 116 ff.; Schweiz. Fremdenverkehrsverband (SFV), Bulletin, 1977, Nr. 4, S. 4 ff. Vgl. auch F. Mühlemann, «Stellenwert des Tourismus in der schweizerischen Volkswirtschaft», in SFV, Bulletin, 1977, Nr. 3, S. 2 ff.
[12] Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 250, S. 4; SKA, Bulletin, 83/1977, Nr. 12, S. 23 f.; NZZ, 148, 27.6.77. Vgl. auch unten, Teil I, 6c (Wohnungsbau).
[13] Mitteilung/Konjunkturfragen, Nr. 250, S. 7 f.
[14] Revidierter Index: B. Hardmeier, «Neuer Konsumentenpreisindex», in Gewerkschaftliche Rundschau. 69/1977, S. 316 ff; wf, Dok., 43, 23.10.77. Auswahl: 24 Heures, 264, 12.11.77; BIGA, «Haushaltrechnungen von Unselbständigen im Jahre 1976», in Die Volkswirtschaft, 50/1977, S. 509 ff. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 55.
[15] SAZ, 72/1977, S. 29; TW, 122, 27.5.77. Zur Problematik von Prognosen bei unsicherer Konjunkturlage vgl. auch BaZ, 273, 5.11.77.
[16] NZZ, 167, 19.7.77; BaZ, 174, 28.7.77; 315, 17.12.77. Nach weniger als einem halben Jahr veröffentlichte die Gruppe bereits ihren ersten Bericht: G. Bombach / H. Kleinewefers / L. Weber, Lage und Probleme der schweizerischen Wirtschaft, Bern 1977. Zu diesem Thema vgl. auch H. Kleinewefers / Regula Pfister, Die Schweizerische Volkswirtschaft. Frauenfeld 1977.