Année politique Suisse 1977 : Economie / Politique économique générale / Konjunkturpolitik
Wie wir bereits vor einem Jahr berichtet haben, unternahm die Landesregierung einen neuen Anlauf, um die
Konjunkturpolitik auf eine ausreichende verfassungsmässige Basis zu stellen. Die Reaktionen auf die Veröffentlichung des Entwurfs liessen eigentlich wenig Einwände erwarten, hatte sich doch der Bundesrat bemüht, möglichst alle umstrittenen Punkte des gescheiterten ersten Konjunkturartikels auszumerzen
[17]. Dennoch kam es bei der parlamentarischen Behandlung zu einem langwierigen Differenzbereinigungsverfahren zwischen den beiden Räten, wobei die Volkskammer mehrheitlich für ein Festhalten am bundesrätlichen Entwurf plädierte, die Ständekammer hingegen den Argumenten der Kantone und der Unternehmer vermehrt Nachachtung verschaffen wollte. Am Ende der Beratungen hatte man sich weitgehend auf Kompromisse geeinigt, welche zwar alle Vorschläge des Bundesrates aufrechterhielten, sie aber im Sinne des Ständerates abschwächten. Der erste Hauptstreitpunkt bestand darin, ob der Exekutive die Kompetenz einzuräumen sei, die Unternehmer zur Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven verpflichten zu können. Die bürgerliche Mehrheit des Ständerates lehnte diese Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit ab und wollte es beim geltenden System der. staatlichen Förderung der freiwilligen Reservebildung bewenden lassen. Schliesslich setzte sich die Lösung durch, welche zwar ein Obligatorium ermöglicht, dem Bund aber untersagt, den Unternehmern Vorschriften über die Verwendung der Reserven zu machen. Ebenfalls ins Schussfeld der bürgerlichen Kritik geriet das konjunkturpolitische Instrument der Steuerzuschläge und -rabatte. Während die Mehrheit des Nationalrates der Ansicht des Bundesrates zustimmte, dass eine wirksame und ausgewogene Stabilisierungspolitik nur dann möglich sei, wenn sich diese Steuermanipulationen sowohl auf die direkten als auch auf die indirekten Bundesabgaben erstreckten, wollte der Ständerat die direkten Steuern ausgeklammert wissen. Auch in diesem Konflikt einigten sich die Parlamentarier auf eine Abschwächung des Vorschlags der Exekutive: wohl sollen auch Abgaben auf direkten Steuern erhoben werden dürfen, diese müssen aber individuell zurückerstattet werden. Einzig die Zuschläge auf den indirekten Steuern können entweder als Satzreduktionen kollektiv zurückerstattet werden oder aber auch für allgemeine Arbeitsbeschaffungsprogramme verwendet werden. Etwas weniger imperativ als ursprünglich vorgesehen wurde auf Wunsch der Ständevertreter derjenige Passus formuliert, welcher die Kantone und Gemeinden zu einer konjunkturgerechten Ausgabenpolitik anhalten soll. Da aber die Landesregierung im neuen Vorschlag auf eine materielle Beeinflussung der Kantone und Gemeinden verzichtete, dürfte der Formulierung dieses moralischen Appells keine entscheidende Bedeutung zukommen. Unverändert aus dem ersten Entwurf wurde die Verpflichtung übernommen, bei der Konjunkturpolitik auf die Besonderheiten der einzelnen Regionen Rücksicht zu nehmen.
Gesamthaft gesehen präsentiert sich der
neue Konjunkturartikel wesentlich gemässigter als sein erfolgloser Vorgänger aus dem Jahre 1975. Auf Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit ausserhalb der sogenannt klassischen Bereiche (Geld- und Kreditpolitik, öffentliche Finanzen, Aussenwirtschaft) wurde diesmal verzichtet; einzige Ausnahme bildet die im ersten Entwurf nicht enthaltene Kompetenz des Bundes, die Unternehmer zur Bildung von Reserven zu verpflichten. Vollständig abgesehen wurde im weitern von einer wirksamen zentralen Beeinflussung der Budget- und Steuerpolitik der Kantone und Gemeinden
[18].
[17] Vgl. SPJ, 1976, S. 57 f. Zum ersten Konjunkturartikel vgl. SPJ, 1975, S. 63 ff.
[18] BBI, 1976, III, S. 677 ff; Amtl. Bull, NR, 1977, S. 568 if., 1090 ff., 1220 f. und 1368; Amtl. Bull. StR, 1977, S. 4 ff., 455 fr., 522 f. und 603; BBl. 1977, III, S. 251 ff. Zu den Reserven vgl. auch: Schweiz. Handels- und Industrie-Verein, Jahresbericht. 107/1976-77, S. 92; Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 33/1977, S..27 ff.
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