Année politique Suisse 1977 : Chronique générale / Finances publiques
 
Budget 1978
So vielfältig wie die Interpretation des Abstimmungsresultates fielen auch die Vorschläge aus, wie das auf Grund gelaufene Finanzschiff wieder flott gemacht werden könnte. Im Vordergrund standen dabei Sparvorschläge in den Ausgabenbereichen Soziale Wohlfahrt, Bildung (Hochschulen), Verwaltung und ganz allgemein im Subventionswesen. Längerfristig sollte der Bund zudem von einzelnen kostspieligen Aufgaben befreit werden [21]. Demgegenüber hielt die Linke Ausschau nach alternativen Einnahmen. Nach Ansicht der SPS wäre ein guter Teil der entschwundenen MWSt-Millionen über einen wirksameren Kampf gegen die Steuerhinterziehung einzubringen, und eine Motion der Fraktion PdA/PSA forderte neben konkreten Massnahmen gegen Steuersünder eine stark progressive Besteuerung der grössten Einkommen und Vermögen [22]. Aktualisiert wurden aber auch Vorschläge wie die Erhebung einer Energieabgabe, die Einführung von Autobahnvignetten und Tunnelgebühren sowie die Aufhebung des Spielbankenverbotes [23].
Bundesrat Chevallaz, der vereinzelte Rücktrittsforderungen mit dem Hinweis auf die Gesamtverantwortung des Bundesrates ablehnte, unterstrich, dass neue Lösungen ein breit angelegtes Einvernehmen der politischen Parteien voraussetzten [24]. Schon wenige Tage nach dem Nein zur MWSt begannen denn auch erste Verhandlungen zwischen der Regierung und den vier Bundesratsparteien [25]. Ein alle Seiten befriedigender Kompromiss . konnte allerdings nicht gefunden werden. Die Ende August veröffentlichten «Finanzmassnahmen 77» brachten die finanzpolitische Einheitsfront ganz im Gegenteil arg ins Wanken. In seiner Botschaft «über erste Überbrückungsmassnahmen zur Vermeidung untragbarer Defizite im Bundeshaushalt» schlug der Bundesrat einen Abbau der Brot- und Buttersubventionen, eine Reduktion der Kantonsanteile an den Bundeseinnahmen um 15% Sowie eine Erhöhung der Stempelabgaben und der Tabaksteuer vor. Der Subventionsabbau bei lebenswichtigen Konsumgütern stiess auf den heftigen Widerstand der Sozialdemokraten. Trotz Schützenhilfe durch den Landesring und aus Konsumentenkreisen gelang es diesen jedoch nicht, die klare Annahme der Vorlage in den beiden Räten zu verhindern [26]. Von bürgerlicher Seite wurde das Ausscheren der SP kritisiert. Dem Koalitionspartner wurde vorgehalten, dass wichtige Schritte in der eidgenössischen Finanzpolitik der Zustimmung aller Regierungsparteien bedürften und sich eine oppositionelle Rolle im klassischen Sinn einer parlamentarischen Demokratie nicht mit der Beteiligung in der Mehrparteienregierung nach schweizerischem Zuschnitt vertrage [27]. Die Sozialdemokraten ihrerseits fühlten sich durch die Vorlage vom bürgerlichen Lager provoziert und lancierten das Referendum gegen die Brotpreiserhöhung. Am Vorabend des Stichtags für die Erhöhung der Unterschriftenzahlen wurden die nötigen 30 000 Unterschriften eingereicht [28].
Mit den «Finanzmassnahmen 77» konnte das nach der Ablehnung der MWSt auf über 2 Mia Fr. angewachsene. Defizit im Budget des Bundes für 1978 um 477 Mio Fr. reduziert werden. Überdies strich der Bundesrat in eigener Kompetenz weitere 471 Mio Fr., so dass schliesslich ein Fehlbetrag von 1132 Mio übrigblieb. In der ungewöhnlich kurzen und lustlos geführten Budgetberatung im Nationalrat wurde der Ausgabenüberschuss dann allerdings wieder um 80 Mio Fr. erhöht, insbesondere weil der vom Bundesrat ausgewiesene Betrag für die Exportrisikogarantie angesichts des stetig steigenden Frankenkurses als zu gering empfunden wurde. Zusammen mit dem Defizit im Voranschlag der Vermögensänderung ergab sich damit ein endgültiger Reinaufwand von 1576 Mio Fr. Mit einer Ausgabenerhöhung von nur 177 Mio Fr. gegenüber dem Budget des Vorjahres ist das Ausgabenwachstum praktisch gestoppt worden. Erstmals seit 1970 sind die Zuwendungen an die Landwirtschaft rückläufig. Die Ausgaben für die Soziale Wohlfahrt haben zudem jene für die Landesverteidigung überflügelt. 137 Mio Fr. sind für die Arbeitsbeschaffung reserviert [29].
 
[21] Ldb, 137, 16.6.77; TA, 137, 15.6.77; Vat.,138, 17.6.77; NZZ, 143, 21.6.77; 151, 30.6.77; 154, 4.7.77; 224, 24.9.77. Zur Entlastung des Bundes vgl. auch W. Wittmann, «Zukunftsgerechte Finanzreform», in BaZ, 134, 18.6.77 sowie unten, Finanzplanung.
[22] SPS: LNN, 134, 16.6.77; NZZ (sda), 139, 16.6.77; TW, 140, 18.6.77. Motion: Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1166 fl.; Vorwärts, 24, 16.6.77.
[23] Energieabgabe: TA, 154, 5.7.77; 172, 26.7.77; 282, 2.12.77; NZZ, 139, 16.6.77; 155, 5.7.77. Vgl. auch unten, Teil I, 6a (Conception globale de l'énergie). Verkehr: BüZ, 142, 18.6.77; 145, 22.6.77; NZZ, 146, 24.6.77. Vgl. auch unten, Teil I, 6b (Conception globale suisse des transports). Massnahmenbündel (mit Spielbanken): Postulat Oehen (na, BE) (Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1166 ff.).
[24] Rücktrittsforderungen kamen vor allem von seiten des Landesrings (Tat, 136, 13.6.77; 137, 14.6.77; LNN, 134, 13.6.77; BaZ, 129, 13.6.77). Stellungnahme von BR Chevallaz: Presse vom 13.6.77; NZZ, 137, 14.6.77.
[25] Lib., 214, 17.6.77; TA, 142, 21.6.77; 146, 25.6.77; 152, 2.7.77; 157, 8.7.77; TG, 157, 8.7.77.
[26] Botschaft: BBI, 1977, II, S. 1453 ff; Presse vom 27.8.77; Ww, 38, 21.9.77. Reaktion SP: BaZ, 210, 2.9.77; TW, 300, 3.9.77; NZZ (sda), 219, 19.9.77; Konsumenten: Tat, 200, 27.8.77; TA, 201, 30.8.77; NZZ (sda), 204, 1.9.77. Ratsverhandlungen: Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1166 ff.; NZZ, 228, 29.9.77; 229, 30.9.77; Amtl. Bull. StR, 1977, S. 487 ff ; NZZ, 222, 22.9.77; Tat, 222, 22.9.77. Die Brotpreissubvention wurde durch eine den Konsumenten belastende Zollerhöhung auf eingeführtem Brotgetreide reduziert, die der BR aufgrund einer Bestimmung des Zolltarifgesetzes schon vor der parlamentarischen Behandlung vorsorglich in Kraft setzte (AS, 1977, S. 1484 ff). Die «Finanzmassnahmen 77» wurden auch als «Sparpaket II» bezeichnet; die im Frühjahr vom Rat verabschiedeten Ausgabenkürzungen im Rahmen des Finanzplanes erhielten die Bezeichnung «Sparpaket I»; vgl. unten, Finanzplanung.
[27] Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1176 f. (NR Auer, fdp, BL); NZZ, 217, 16.9.77; 236, 8.10.77; Ldb. 235, 10.10.77. Zur Frage der Konkordanzdemokratie nach dem 12. Juni vgl. auch NZZ (sda), 139, 16.6.77; 141, 18.6.77; TA, 204, 2.9.77; Tal, 213, 12.9.77; Vorwärts, 37, 15.9.77; sowie unten, Teil III a (Regierungsparteien).
[28] Provokation: TW, 235, 7.10.77; 236, 8.10.77; Ww, 50, 14.12.77. Referendum: NZZ (sda), 243, 17.10.77; Vorwärts, 42, 20.10.77; TW, 301, 23.12.77. Anzahl Unterschriften: vgl. oben, Teil I, 1c (Volksrechte).
[29] Botschaft des Bundesrates... zum Voranschlag... für das Jahr 1978: Amtl. Bull. StR, 1977, S. 643 ff.; NZZ, 282, 1.12.77; Amtl. Bull. NR, 1977, S. 1520 ff.; NZZ, 287, 7.12.77; 288, 8.12.77; BaZ, 307, 9.12.77; Vorwärts, 50, 15.12.77. Exportrisikogarantie vgl. oben, Teil I, 2 (Exportförderung).