Année politique Suisse 1977 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
 
Raumplanung
In der Raumplanung ist ein neuer Versuch angelaufen, den verfassungsmässigen Auftrag zu einer zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedelung des Landes in einem Bundesgesetz zu verankern. Ein Jahr nach dem Nein zur ersten Vorlage ging der neue Entwurf in die Vernehmlassung. Er fand ein mehrheitlich positives Echo.
Schon im Frühjahr lösten verschiedene Gruppierungen ihr Versprechen zu konstruktiver Mitarbeit ein und legten eigene Entwürfe vor. Ende Januar trat das ehemalige «Schweizerische Aktionskomitee gegen die Raumplanung», in welchem sich Hauseigentümer, Gewerbler, bäuerliche Kreise und federführend das Redressement national vereinigten, mit einem 18 Artikel umfassenden «Kerngesetz» an die Öffentlichkeit. Ihm folgten eine Woche später die Waadtländer Liberalen. Beide Gruppierungen präsentierten extrem föderalistische und eigentumsfreundliche Lösungen, die nach Ansicht vieler Kommentatoren eine wirksame Raumplanung letztlich verunmöglichten [1]. Die rege Aktivität der Abstimmungssieger des Vorjahres rief aber auch die Verlierer auf den Plan. Mehrere Organisationen legten materielle Grundsätze vor, die es unbedingt in den neuen Erlass hinüberzuretten gelte. So betonte beispielsweise die Schweizerische Gesellschaft für Landschaftspflege die Notwendigkeit, Fluss- und Seeufer, Waldränder und andere Landschaften von besonderer Schönheit und Eigenart aus Bauzonen auszuschliessen [2].
Am 30. Juni wurde das Vernehmlassungsverfahren eingeleitet. Im neuen Text fehlen die umstrittenen Artikel über die Leitbilder, die Bundesrichtlinien und die planerische Enteignung. An die Stelle einer bundesgesetzlich geregelten Mehrwertabschöpfung tritt eine abgeschwächte kantonale Lösung. Die Kantone werden lediglich verpflichtet, in ihrer Gesetzgebung angemessene Abgaben für erhebliche Planungsmehrwerte vorzusehen. Damit entfällt auch der volkswirtschaftliche Ausgleich zugunsten der Landwirtschaft. Allgemein sind die Kompetenzen des Bundes stark beschnitten worden. Der Bund fixiert zwar Planungsgrundsätze, die umschreiben, nach welchen Wertungen zu planen sei; er koordiniert die kantonalen Richtpläne, setzt Fristen und ordnet das Verfahren im Streitfall. Zudem besitzt er die Möglichkeit, für besonders schützenwerte Gebiete vorübergehend Schutzzonen zu verfügen. Die eigentliche Durchführung der Raumplanung bleibt aber Sache der Kantone. Dem Bund fehlt die Befugnis, einschneidende Sanktionen zu ergreifen [3].
Mit der Bemerkung des Delegierten für Raumplanung, M. Baschung, das neue Gesetz stelle ein politisches Optimum dar, gingen denn auch vor allem die Gegner der ersten Vorlage einig [4]. Mit Genugtuung wurde festgestellt, dass den im Abstimmungskampf geäusserten Einwänden zu einem guten Teil Rechnung getragen worden sei. Der zentralistische Charakter sei abgebaut, die Richtplanung auf wesentliche Grundzüge beschränkt und die Rechte der Eigentümer durch den Verzicht auf den Enteignungsartikel gewahrt [5]. Weit skeptischer äusserte sich die politische Linke. Dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund gingen die Konzessionen eindeutig zu weit. Mit ihm bezweifelte Nationalrat A. Muheim (sp, LU), Präsident der nationalrätlichen Kommission bei der ersten Vorlage, dass mit dem neuen Gesetz der verfassungsmässige Auftrag noch erfüllt werden könne [6]. Recht stark auseinander gingen die Meinungen der Fachleute. Der Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung, R. Stüdeli, sprach von einem «wohlausgewogenen Entwurf». In einer Vernehmlassung von 33 wissenschaftlichen Mitarbeitern des ORL-Instituts der ETH Zürich wurde das neue Gesetz hingegen als «Rückfall hinter das schon Erreichte» bezeichnet [7]. Bis Ende Jahr sind beim EJPD mehr als 2000 Anregungen und Vorschläge eingegangen. Drei Viertel der Vernehmlasser äusserten sich positiv, unter ihnen die Mehrheit der Kantone, Parteien und Verbände [8]. Die politische Wetterlage für den neuen Gesetzesentwurf darf so als «vorwiegend heiter» bezeichnet werden.
Dass der Verzicht auf einschneidende Planungsinstrumente im eidgenössischen Raumplanungsgesetz nicht unbedingt auf die kantonale Gesetzgebung abfärben muss, demonstrierten die Stimmbürger des Kantons Basel-Stadt. Sie stimmten einer Ergänzung zum Hochbaugesetz zu, die es ermöglicht, bei Umzonungen entstehende Mehrwerte abzuschöpfen [9]. Stärker als die Abschöpfung von Mehrwerten wird die Behörden in Zukunft aber die Entrichtung von Entschädigungen beschäftigen. In zahlreichen Gemeinden wurden in der Zeit der Wachstumseuphorie und auf der Basis falscher Bevölkerungsprognosen Bauzonen ausgeschieden, deren Umfang den tatsächlichen Bedarf an baureifem Land bei weitem übersteigt. Um der fortgeschrittenen Zersiedelung Einhalt zu bieten, müsste ein Teil des Landes wieder ausgezont werden [10], Die sich daraus ergebenden Entschädigungsansprüche der Grundbesitzer übersteigen aber die finanziellen Möglichkeiten ärmerer Gemeinden und wirken so als Hemmschuh für eine realistische und umweltfreundliche Kantonsplanung. In den kantonalen Richtplänen wird auf die notwendige Redimensionierung des Siedlungsgebietes verzichtet [11].
Wie schwierig es ist, in kantonalen Gesamtplänen den Bedürfnissen und Interessen der nachgeordneten Planungsträger vollumfänglich Rechnung zu tragen, bewiesen die Reaktionen auf den Gesamtplan des Kantons Zürich. Verschiedene regionale Planungsgruppen opponierten gegen das im Richtplan verankerte Leitbild ihrer Region. Unzufrieden waren aber auch die Stadtzürcher Behörden. Sie kritisierten, dass die in einer eigenen Studie über die städtischen Entwicklungsvarianten (Jürgensen-Bericht) formulierten Ziele nicht in den Gesamtplan aufgenommen worden waren [12].
Die Zukunft der Stadt beschäftigt neben den Politikern und Fachleuten [13] immer mehr auch die Direktbetroffenen. In Basel, Bern, Freiburg, Lausanne und Zürich demonstrierten Quartiervereine und Aktionsgruppen gegen die zunehmende Verdrängung preisgünstiger Wohnungen aus dem Stadtkern. Eine Bürgerinitiative in Genf verhinderte dabei den Abbruch eines ganzen Wohnquartiers. In zahlreichen Städten sind zudem sog. «Arbeitsgruppen für wohnliche Städte» entstanden, die sich eine bessere Anpassung der Stadtentwicklung an die Bedürfnisse der Beplanten zum Ziele setzen [14].
 
[1] Schweiz. Aktionskomitee gegen die Raumplanung: Ldb, 6, 8.1.77; 8,11.1.77; NZ, 5, 7.1.77; TA, 9, 7.1.77; 24 Heures, 5, 7.1.77. Waadtländer Liberale: TLM, 11, 11.1.77; La Gruyère, 5, 13.1.77; Vat., 9, 12.1.77. Vgl. auch SPJ, 1976, S. 107 f.
[2] NZZ (sda), 8, 11.I.77; FA, 8, 11.1.77. Zum Vorschlag der Schweiz. Gesellschaft für Landschaftspflege: Ldb, 14, 18.1.77; TA (ddp); 14, 18.1.77.
[3] Presse vom 30.6.77. Gesetzesentwurf in Raumplanung Schweiz, Nr. 2, Juli 1977 (Sonderheft Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Raumplanung). Zusammenstellung von Pressekommentaren: Raumplanung Schweiz, Nr. 3, Sept. 1977, S. 31 f. Vgl. auch SPJ, 1976, S. 107 ff.
[4] Stellungnahme M. Baschung: Bund, 150, 30.6.77; TA, 150, 30.6.77. Vgl. Vernehmlassungen des Redressement national (TA, sda, 254, 31.10.77) und der Waadtländer Liberalen (24 Heures, 256, 3.11.77).
[5] Vgl. vor allem die ausführliche Stellungnahme des Direktors des Redressement national, R. Rohr, in NZZ, 183, 8.8.77.
[6] Vernehmlassung SGB: NZZ (sda), 293, 14.12.77. A. Muheim an der Mitgliederversammlung der Schweiz. Vereinigung für Landesplanung: LNN, 210, 9.9.77; BaZ, 218, 10.9.77.
[7] R. Stüdeli: NZZ, 208, 6.9.77. Mitarbeiter ORL-Institut: TA, 286, 7.12.77.
[8] NZZ, 298, 20.12.77; TA, 299, 22.12.77; Raumplanung Schweiz, Nr. 4, Dez. 1977, S. 3 fT.
[9] Der Basler Hausbesitzerverein hatte das Referendum ergriffen, nachdem die Gesetzesänderung vom Grossen Rat beinahe widerspruchslos genehmigt worden war (BaZ, 133, 17.6.77; 151, 5.7.77). In der Volksabstimmung sprachen sich 56% der Stimmbürger für die Gesetzesänderung aus (BaZ, 300, 2.12.77; 303, 5.12.77; NZZ, 281, 30.11.77; 285, 5.12.77). Vgl. unten, Teil II, 4d.
[10] Die Auszonung in der bemischen Gemeinde Wohlen wurde als schweizerischer Modellfall bezeichnet (Bund, 146, 25.6.77; BaZ, 143, 27.6.77). Grundsätzliche Artikel zum Problem der Entschädigungsansprüche bei Riickzonungen: NZZ, 60, 12.3.77; BaZ, 111, 25.5.77. Vgl. auch SPJ, 1974, S. 103; 1975, S. 116.
[11] Z.B. im Gesamtplan des Kantons ZH: NZZ, 269, 16.11.77; TA, 268, 16.11.77; LNN, 268, 16.11.77. Vgl. auch «Der Kanton Zürich von morgen. Wegweiser durch den kantonalen Gesamtplan», in TA, 307, 28.12.77 (Sonderbeilage).
[12] Stellungnahmen der Regionalplanungsgruppen Limmattal (TA, 239, 13.10.77), Zürcher Oberland (TA, 245, 20.10.77), Zürcher Weinland (Ldb, 269, 18.11.77) und Knonauer Amt (TA, 289, 10.12.77). Stadtzürcher Behörden: NZZ, 293, 14.12.77; Vr, 295, 17.12.77. Jürgensen-Bericht: vgl. SPJ, 1976, S. 110.
[13] Vgl. dazu O. Gmür, Stadt als Heimat, Teufen 1977; E. Keller, «Plädoyer für die gefährdete Stadt», in BaZ, 287, 19.11.77; L. Frey, «Teufelskreis der Stadtzerstörung», in NZ, 6, 8.1.77.
[14] Basel: BaZ, 197, 20.8.77; 243, 6.10.77. Bern: TW, 173, 27.7.77; Bund, 197, 24.8.77. Freiburg: TLM, 30, 30.1.77; b, 62, 14.12.77. Lausanne: TLM, 27, 2.2.77; 257, 14.9.77; 357, 23.12.77. Zürich: TA, 24, 29.1.77; Vr, 99, 22.4.77. Bürgerinitiative gegen den Abbruch des Wohnquartiers «Les Grottes» in Genf: TLM (ats), 21, 21.1.77; TG, 241, 19.10.77; 287, 12.12.77. Arbeitsgruppen für wohnliche Städte: BaZ, 209, 1.9.77.