Année politique Suisse 1978 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Parteiensystem
Ist die Zeit der Parteien vorbei, wie Denis de Rougemont in einer welschen Jugendzeitschrift erklärt hat, und gehört die Zukunft Umwelt-, Konsumenten- und Menschenrechtsvereinigungen?
[1] Das politische Geschehen des Berichtsjahrs zeigt jedenfalls, dass das Leben in der schweizerischen Parteienwelt noch nicht erloschen ist. Die bedrängenden Wirtschafts-, Sozial- und Umweltprobleme geben da und dort wieder zur Profilierung, ja zur Neugründung Anlass. Gewiss haben die Parteien an Integrationskraft eingebüsst, vermögen sie ihre Wähler bei Volksabstimmungen nicht bei der Stange zu halten. Die Entscheide über das Hochschulförderungsgesetz und über die Bundessicherheitspolizei haben das erneut belegt
[2]. Dass aber die Sozialdemokraten in einer ganzen Reihe von Sachfragen aus der Konkordanz der grossen Vier ausgebrochen sind, zeugt von, ihrem zunehmenden Drang, vor allem Partei und erst in zweiter Linie Koalitionspartner zu sein
[3]. Die Frage bleibt freilich, wieweit es bei solcher Profilierung um zielstrebige Strategie und wieweit es um blosse Wahltaktik geht. Ob die Gründung einer «Grünen Partei» im Kanton Zürich einen neuen Kristallisationspunkt im schweizerischen Parteiensystem zu schaffen vermag, erscheint einstweilen zweifelhaft; immerhin lässt sie ein Bestreben erkennen, die besondere Betonung des Umweltthemas nicht in erster Linie ausserparteilichen Aktivitäten zu überlassen
[4].
In einem Mehrparteiensystem ist wirksame Politik nicht ohne Bündnisse möglich. Dass die Zauberformel den beteiligten Parteien für die Durchsetzung ihrer Ziele nicht genügen kann, zeigen die wachsenden Spannungen insbesondere zwischen SP und FDP
[5]. Im Berichtsjahr ist es infolge des Ausscherens der Sozialdemokraten wiederholt zum Zusammengehen der drei bürgerlichen Koalitionspartner gekommen; in drei von vier Volksabstimmungen war die Konstellation erfolgreich. Ob sie auch ausreichen würde, um die von der SP abgelehnte Finanzreformvorlage durchzusetzen, erschien am Jahresende zweifelhaft
[6]. Im Blick auf den Entwurf für eine neue Bundesverfassung ist erneut eine «schwarz-rote» Allianz, eventuell unter Einschluss des Landesrings, signalisiert worden
[7]. Anderseits war auf der Linken auch wieder von einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Sozialdemokraten und verschiedenen kommunistischen Gruppen die Rede; angesichts ihrer zahlenmässigen Überlegenheit bekundete jedoch die SP im allgemeinen nur mässiges Interesse an einer solchen Ausrichtung
[8]. Ein Hindernis für Koalitionen in der Bundespolitik bildet namentlich die föderalistische Vielgestaltigkeit des schweizerischen Parteiensystems. So kommt es auf nationaler Ebene eher zu sogenannten «unheiligen Allianzen»: zum bloss auf einzelne Sachfragen bezogenen Zusammenspiel linker und rechter Opposition gegen die Kompromisse der Konkordanzdemokratie
[9].
[1] Dialogue, Nr. 1, Nov. 1978, S. 22 f.
[2] Vgl. dazu Bund, 261, 7.11.78 sowie oben, Teil I, 1b (Öffentliche Ordnung) und 8a (Hautes écoles).
[3] Vgl. oben, Teil I, 1b (Öffentliche Ordnung), 4c (Milchwirtschaft), 5 (Polarisierung in der Finanzpolitik), 6a (Energie nucléaire) und 8a (Formation professionnelle), ferner P. Graf in SP-Information, 40, 5.10.78.
[4] Vgl. unten, Grüne Partei.
[5] Vgl. NZZ, 119,26.5.78; 141,21.6.78; TW, 146, 26.6.78 ; 150, 30.6.78; ferner BaZ, 175, 1.7.78 ; BN, 152, 3.7.78; Bund, 187, 12.8.78.
[6] Erfolge: Zolltarif (Brotpreis), Milchwirtschaftsbeschluss und Tierschutzgesetz; Misserfolg: Bundessicherheitspolizei. Finanzreformvorlage: vgl. Presse vom 16.12.78; Ldb, 297, 22.12.78.
[7] Auf eine Hauptträgerschaft von CVP und SP für den Verfassungsentwurf verwiesen Gegner wie Befürworter ; vgl. NZZ, 50,1.3.78 ; Tat, 53, 4.3.78. Auch im Zusammenhang mit der AHV-Politik (SP-Information, 26, 2.3.78 ; NZZ, 53, 4.3.78 ; vgl. oben, Teil I, 7c, Assurance-vieillesse et survivants) und der Mitbestimmungsfrage (BaZ, 71, 13.3.78 ; vgl. oben, Teil I, 7a, Participation) kam es zu entsprechenden Spekulationen. Vgl. dazu SPJ, 1975, S. 17, Anm. 37.
[8] Vgl. NZZ, 35, 11.2.78; TA, 113, 19.5.78; LNN, 144, 24.6.78. Zur Lage in TI: CdT, 150, 3.7.78; TA, 155, 7.7.78. Vgl. ferner H. von Gunten / H. Voegeli, Das Verhältnis des Sozialdemokratischen Partei zu andern Linksparteien in der Schweiz (1912-1977), Bern 1978.
[9] So gegen das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch (vgl. oben, Teil I, 7d, Avortement) und gegen die Bundessicherheitspolizei (vg. oben, Teil I, 1b, Öffentliche Ordnung). Vgl. dazu LNN, 99, 29.4.78.
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