Année politique Suisse 1978 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Grundrechte
International betrachtet, stand das Berichtsjahr in doppelter Hinsicht im Zeichen der
Menschenrechte: die UNO hatte es im Gedenken an ihre « Allgemeine Erklärung» von 1948 zum «Jahr der Menschenrechte» proklamiert, und der Europarat feierte das 25jährige Jubiläum seiner entsprechenden Konvention. Dies gab auch bei uns Anlass zu Rück- und Ausblicken
[1], vermochte aber keine neuen völkerrechtlichen Schritte herbeizuführen. Das nachgeholte Vernehmlassungsverfahren zur Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta zeitigte wohl Zustimmung bei den Gewerkschaften sowie bei CVP und SP, jedoch Bedenken bei der FDP und Ablehnung bei den Unternehmerverbänden, die sich gegen einen ausländischen Druck auf die schweizerische Rechtsentwicklung verwahrten; von verschiedener Seite wurde eine Unterstellung der Frage unter das Referendum gewünscht. Ungünstig wirkte, dass die Beratende Versammlung des Europarats im September einen weiteren Ausbau der Charta empfahl, obwohl die Schweizer Vertreter darauf hinwiesen, dass diese erst durch 11 von den 20 Mitgliedstaaten ratifiziert worden sei
[2]. So blieb die Sanktionierung der schweizerischen Unterschrift in der Schwebe. Das hinderte unser Land freilich nicht, sich an internationalen Bestrebungen zugunsten der Menschenrechte zu beteiligen, wie an anderer Stelle näher zu zeigen sein wird
[3]. Von den in Strassburg gegen schweizerische Behörden vorgebrachten Beschwerden wurden deren zwei zulässig erklärt, aber noch keine entschieden
[4].
Mochte auch — von aussen gesehen — das Verhalten der Schweiz gegenüber der Entwicklung der Menschenrechte zögernd erscheinen, so schritt doch die Anpassung einheimischer Rechtsformen an die übernommenen Verpflichtungen fort. Die Vorschläge, mit denen der Bundesrat die administrative Versorgung zu liberalisieren strebte, wurden vom Parlament ohne grössere Änderungen genehmigt. Damit ist es künftig möglich, jeden Freiheitsentzug aus fürsorgerischen Gründen vor dem Richter anzufechten, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention verlangt; ein entsprechender Vorbehalt der Schweiz gegen Art. 5 der Konvention kann deshalb zurückgezogen werden. Über die Erfordernisse der Vereinbarung hinaus wurde auch ein Recht auf Entlassung bei Wegfall der Einweisungsgründe gewährt. Verschiedene, namentlich von Sozialdemokraten gestellte Anträge, den Schutz administrativ versorgter Personen noch weiter zu verstärken, drangen dagegen nicht durch
[5]. Wie in anderem Zusammenhang dargelegt wird, stimmten die eidgenössischen Räte ausserdem einer Revision des Militärstrafrechts zu, die den Anforderungen der Strassburger Konvention Genüge leistet
[6].
Aber auch unabhängig von internationalen Vereinbarungen nahm der
Ausbau des Persönlichkeitsschutzes seinen Fortgang. Eine Verschärfung der Kontrolle von behördlichen Überwachungsmassnahmen (insbesondere im Bereich des Telefon- und Postverkehrs), wie sie von der Initiative Gerwig (sp, BS) angeregt worden war, fand nun im Ständerat ebenfalls Zustimmung. Die Kantonsvertreter zeigten sich allerdings bestrebt, die vom Nationalrat im Vorjahr gutgeheissenen Schutzbedingungen zu vereinfachen und damit etwas abzuschwächen. Sie erreichten, dass die umstrittenen Methoden der Strafverfolgungsbehörden praktisch nur von richterlichen Instanzen überprüft werden sollen, während die Volkskammer in dieser Hinsicht noch den parlamentarischen Geschäftsprüfungskommissionen einen ausdrücklichen Auftrag hatte erteilen wollen
[7].
Neben der behördlichen Überwachung bildet die missbräuchliche Verwendung elektronisch gespeicherter Daten Gegenstand gesetzgeberischen Bestrebens. Nachdem Nationalrat Gerwig auch auf diesem Feld zwei Initiativen eingereicht hatte, zielten weitere parlamentarische Vorstösse in dieselbe Richtung
[8]. Die mit der Behandlung der beiden Initiativen Gerwig betraute Kommission der Volkskammer beschloss jedoch, Vorarbeiten der Verwaltung für eine eidgenössische
Datenschutzgesetzgebung abzuwarten
[9]. Eine interdepartementale Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. M. Pedrazzini (St. Gallen) erhielt vom EJPD den Auftrag, zunächst eine Regelung für die Datenverarbeitung und Datensicherheit in der Bundesverwaltung vorzubereiten. Die Arbeiten des EJPD laufen nicht ohne Rücksichtnahme auf andere Staaten Westeuropas, die den Datenschutz schon weiter ausgebaut haben und für den grenzüberschreitenden Datenverkehr Beschränkungen vorsehen, wenn ein Partnerstaat in seiner Rechtsentwicklung nicht gleichzieht. Die Schweiz beteiligt sich deshalb an entsprechenden Koordinationsbestrebungen der OECD und des Europarats. Anderseits stellt sich die Frage, wieweit der Bundesgesetzgeber auch die Datenverwaltung der Kantone und Gemeinden regeln soll; diese besitzen zum Teil schon eigene Ordnungen
[10]. Von einem eidgenössischen Datenschutzgesetz erwartet man schliesslich Einschränkungen für die Tätigkeit zahlreicher privater Auskunftsbüros, die vor allem über die wirtschaftliche Lage und Kreditwürdigkeit bestimmter Personen informieren und dabei oft falsche oder diskriminierende Angaben machen, ohne dass die Betroffenen sich dagegen wehren können
[11].
Solche diskriminierende Auskunftstätigkeit, freilich mit politischer Ausrichtung, wird vor allem dem als Subversionsspezialisten geltenden Grafiker und Oberstleutnant
Ernst Cincera vorgeworfen. Dieser versuchte weiterhin, seine
umstrittene Dokumentation vor behördlichem Zugriff zu bewahren. Im November bestätigte jedoch das Bundesgericht die Befugnis des Zürcher Bezirksgerichts, das 1976 versiegelte Archiv zu durchsuchen
[12]. Die Gruppe «Demokratisches Manifest» setzte inzwischen ihre eigenen Nachforschungen fort: im Frühjahr wies sie gewisse Informationskontakte zwischen Cincera und dem EMD nach. Dieses besitzt in seinem Dokumentationsdienst auf Mikrofilm aufgenommene Einzelbestände des «Subversionsarchivs», bestreitet aber, die erhaltenen Dokumente in sein elektronisches Nachweissystem aufgenommen zu haben. Eine militärgerichtliche Untersuchung ist im Gange
[13].
Die Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit durch politische Diskriminierung kann freilich durch Schutzgesetze und Gerichtsverfahren nur bis zu einem gewissen Grade vermieden werden. So betont man in Fällen, da ein politisch als Aussenseiter abgestempelter Bewerber abgewiesen wird, es gebe kein Recht auf eine staatliche oder private Anstellung. Hier hilft nur ein toleranteres und weniger ängstliches allgemeines Bewusstsein. Grösser ist der Rechtsschutz gegenüber Entlassungen aus einer öffentlichen Funktion
[14]. Was der Richter weiter durchsetzen kann, ist Gleichberechtigung bei öffentlichen Dienstleistungen oder auch Wahrung der amtlichen Diskretionspflicht. So musste sich die Bündner Regierung vom Bundesgericht in zwei Fällen sagen lassen, dass Militärdienstverweigerung noch kein Grund zum Ausschluss von Ausbildungsmöglichkeiten sei
[15]. Und ein bernisches Amtsgericht verurteilte einen Schulkommissionspräsidenten, der ein Protokoll über das Verhalten engagierter Lehrer ins Cincera-Archiv hatte wandern lassen
[16].
[1] Vgl. Prof. W. Hofer in NZZ, 281, 2.12.78 und Prof. H. Haug in NZZ. 286, 8.12.78; ferner LNN (sda), 201, 31.8.78; BaZ, 229, 2.9.78; 313, 9.12.78; BT, 205, 2.9.78; TA, 204, 4.9.78.
[2] Vernehmlassung: NZZ, 203, 2.9.78; BaZ, 264, 13.10.78; ferner Gewerkschaftliche Rundschau. 70/1978, S. 278 fl. ; NZZ, 267, 16.11.78 (Vorort); FDP-Information, 1978, Nr. 4, S. 35 f. sowie Civitas, 33/1977-78. Nr. 11 ; vgl. SPJ, 1977, S. 13. Europarat: BaZ, 251, 28.9.78; 252, 29.9.78.
[3] Vgl. unten, Teil I, 2 (Menschenrechte).
[4] Commission européenne des droits de l'homme, Compte rendu annuel, 1978, S. 40; NZZ, 239, 14.10.78; ferner TA, 186, 14.8.78; 203, 2.9.78 ; BaZ, 275, 26.10.78. Vgl. SPJ, 1976, S. 14.
[5] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 36 ff., 403 ff.; Amtl. Bull. NR, 1978,S. 745 ff., 1230 ff. Definitiver Text: BBI, 1978, Il, S. 863 f Vgl. auch BaZ, 18, 19.1.78; TW, 136, 14.6.78; TLM, 165, 14.6.78 sowie SPJ, 1977, S. 14.
[6] Vgl. unten, Teil I, 3 (Innere Ordnung der Armee).
[7] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 292 fr., 627 ff.; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1362 ff., 1813 f.; BBI, 1979, I, S. 574 ff. Vgl. SPJ, 1977, S. 15.
[8] Motion Carobbio (psa, TI), vom NR als Postulat überwiesen (Amtl. Bull. NR, 1978, S. 69 ff.) und Interpellation Gloor (sp, VD) (Amtl. Bull. NR, 1978, S. 219 ff.). Vgl. SPJ, 1977, S. 15.
[9] TA, 7, 10:1.78. Zur Revision des Persönlichkeitsrechts vgl. auch SPJ, 1975, S. 12 f.; 1976, S. 16.
[10] LNN, 76, 3.4.78; Bund, 82, 10.4.78; Lib., 199, 31.5.78; NZZ, 136, 8.7.78; (sda), 217, 19.9.78; Ww, 42, 18.10.78; Gesch. ber., 1978, S. 109 f. Vgl dazu die Entwicklung eines kriminalpolizeilichen Informationssystems des Bundes und der Kantone (unten, Öffentliche Ordnung).
[12] TA, 283, 5.12.78. Vgl. SPJ, 1977, S. 14 f.
[13] Presse von 31.3. und 1.4.78; TA, 78, 5.4.78; Amtl. Bull. NR. 1978, S.708, 711. Vgl. auch TW, 100, 1.5.78; Vr, 196, 23.8.78.
[14] Zum allgemeinen vgl. LNN, 167, 21.7.78; 203, 2.9.78; ferner NZZ, 45, 23.2.78. Einzelne Fälle und kantonale Regelungen: vgl. unten, Teil I, 3 (Infrastrukturanlagen) und 8a (Enseignement primaire et secondaire, Hautes écoles).
[15] BüZ, 72, 29.3.78 ; NZZ, 288, 11.12.78.
[16] BaZ, 82, 25.3.78; TW, 71, 25.3.78.
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