Année politique Suisse 1978 : Economie / Agriculture
 
Einkommenspolitik
Ebenfalls auf Ablehnung der bäuerlichen Interessenvertreter stiess das Konzept genereller und prodtiktionsunabhängiger Ausgleichszahlungen an die Bauern in Form von Beiträgen für die von ihnen bewirtschafteten Flächen, wie sie übrigens auch in Wittmanns Vorschlag und in einer Parlamentarischen Initiative Schmid (sp, SG) als ergänzende Massnahme vorgesehen sind [10]. Ausgehend vom Dilemma der traditionellen (globalen) Preispolitik, dass zu kostendeckenden Preisen der Markt die Produkte nicht mehr aufnehmen kann, bei marktkonformen Preisen aber die Kosten nicht gedeckt sind, setzt sich — v. a. bei Ökonomen — zunehmend die Ansicht durch, bei einer klaren Trennung von Preis- und Einkommenspolitik könnten die Ziele einer absatzgerechten Produktion und einer Sicherung des Paritätslohnes besser erreicht werden als bisher und dies erst noch zu geringeren volkswirtschaftlichen Gesamtkosten. Einerseits liesse sich über direkte Einkommenstransfers, abgestuft nach den jeweiligen Betriebsgrössen und Produktionsbedingungen, die gewünschte Bewirtschaftung des Kulturlandes auch in Berg- und Randgebieten erreichen, und andererseits könnten die Preismassnahmen einer wirksamen Produktionslenkung vorbehalten bleiben [11].
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) hielt indes — jedenfalls für die Talbetriebe — unentwegt an der traditionellen Preispolitik fest, obwohl diese das landwirtschaftliche Einkommen längst nicht mehr zu sichern vermag [12]. Selbst in einem guten Jahr wie 1978 erreichten die für die Preispolitik massgebenden, rationell geführten Betriebe den Paritätslohn nicht; der Arbeitsverdienst je Normalarbeitstag blieb um 4 Fr. hinter demjenigen eines Facharbeiters zurück, im Dreijahresmittel 1976-78 gar um 11 Fr. [13].
Wesentlich höher als. die Einkommensdisparitäten zwischen Landwirtschaft und vergleichbaren Wirtschaftsgruppen sind jedoch die Unterschiede im Arbeitsverdienst innerhalb der Bauernschaft selbst zu veranschlagen, und diese Unterschiede nehmen bei linearen Preisverbesserungen tendenziell noch zu [14]. Innerhalb derselben Zonen verdienten die Grossbauern nicht selten viermal mehr als die Inhaber von Kleinbetrieben, und für die Berglandwirtschaft belief sich das Manko zum Paritätslohn im Mittel gar auf 43 Fr. [15].
Für den Sonderfall der Berggebiete forderte auch der SBV produktionsunabhängige Einkommenstransfers aus der Bundeskasse [16]. Vom Parlament dazu aufgefordert, schickte der Bundesrat einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung, der Bewirtschaftungsbeiträge für Hang- und Steillagen sowie Alpungsbeiträge vorschlägt, die dafür zu budgetierenden Mehrausgaben von 80 Mio Fr. jährlich jedoch mit der Bedingung verknüpft, erst müsse die Bundesfinanzreform 1978 vom Volk genehmigt werden [17]. Die Vorlage fand allgemein eine positive Aufnahme, aber gleichzeitig wurde betont, es gehe nicht an, diese notwendige und auch in den Regierungsrichtlinien vorgesehene Unterstützung der Berglandwirtschaft, die das Einkommensmanko ohnehin nur um ein Fünftel reduzieren könne, zum Gegenstand politischen Drucks der Exekutive auf den Souverän zu machen [18]. Das Parlament forderte die Regierung auf, die Kostenbeiträge für Viehhalter im Berggebiet nur noch an bedürftige Bauern auszurichten [19]; die Subventionsmöglichkeiten des Bundes für die Wohnbausanierung in Bergregionen wurden hingegen verbessert [20].
Die Behörden betonten, der Paritätslohnanspruch sei zwar keine gesetzliche Verpflichtung, wohl aber ein moralisches Recht, auf das sich die Einkommenspolitik auszurichten hätte [21]. Der Bundesrat sah sich jedoch ausserstande, Preisforderungen des SBV aus dem Vorjahr voll zu entsprechen. Nachdem er bereits Ende 1977 Preisverbesserungen für gewisse Agrarprodukte und eine Vergrösserung der Basismilchmenge beschlossen hätte, erhöhte er auf den 1. Mai den Milchgrundpreis um 1 Rappen und reduzierte den Rückbehalt von 3,5 auf 2 Rappen je Liter. Damit gewährte er nur die Hälfte der von den Bauern geforderten Mehreinnahmen von 5 Rappen pro Liter, konnte die Kosten jedoch der Milchrechnung belasten, ohne die Konsummilch verteuern zu müssen [22].
 
[10] Vgl. Verhandl. B. vers., 1978, V/VI, S. 14.
[11] Vgl. Ww, 18, 3.5.78; Vat., 107, 10.5.78; TW, 141, 20.6.78; NZZ. 120, 27.5.78; BaZ. 289, 11.11.78.
[12] IBZ, 53, 28.12.78. Vgl. auch TLM, 16. 16.1.78; Union, 4. 25.1.78.
[13] NZZ, 226, 29.9.78; 230, 4.10.78; IBZ, 46, 9.11.78; 2, 11.1.79; TLM, 357, 23.12.78. Vgl. ferner Duttweiler, Ergebnisse von landwirtschaftlichen Buchhahungserhebungen, Tänikon 1978.
[14] BaZ, 65, 7.3.78. Vorschläge für differenzierte Produzentenpreis: 14 Heures, 1 I,14.I.78 ; TA, 101, 3.5.78 ; BaZ, 123, 9.5.78; NZZ, 173, 28.7.71; 175, 31.7.78.
[15] Vgl. TLM, 16, 16.1.78; Presse vom 1.3.78; MZ. 59, 11.3.78; IBZ, 28, 6.7.78. Vgl. ferner CdT, 111, 18.8.78; Vr, 289, 9.12.78 und B. Walther, Die landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebe im Berggebiet, Diss. Bern 1977.
[16] IBZ, 8, 16.2.78; 53, 28.12.78.
[17] Amtl. Bull. StR, 1978, S. 52 f. (Motion Vincenz, cvp, GR); Amtl. Bull. NR, 1978, S.256 f. (Motion Tschumi, svp, BE); Presse vom 26.4.78.
[18] Vgl. TW, 96, 26.4.78; NZZ, 120, 27.5.78; 173, 28.7.78; IBZ, 35, 24.8.78.
[19] Amt Bull. NR, 1978, S. 85 f. (Motion Rippstein, cvp, SO) und 1534 f. (Motion des StR). Vgl. auch SPJ, 1977, S. 90.
[20] BBI, 1977, III, S. 69 ff.; Amtl. Bull. StR, 1977, S. 724 ff.; Amtl. Bull NR, 1978, S. 257 ff.: BBl, 1978, I, 659 ff. Vgl. auch Bundesamt für Wohnungswesen, «Massnahmen zur Verbesserung der Wohnverhältnisse in Berggebieten», in Die Volkswirtschaft, 51/1978, S. 218 ff und BR Hürlimann, «Die Sozialpolitik des Bundes im Dienste der Berggebiete», in Documenta, 1978, Nr. 5, S.20 f.
[21] Vgl. 24 Heures, 46, 24.2.78; Bund, 124, 21.5.78; IBZ, 24, 8.6.78.
[22] Vgl. IBZ, 1, 29.12.77 ; 2, 5.1.78 ; NZZ, 50, 1.3.78 ; GdL, 96, 26.4.78 ; Presse vom 27.4.78. Vgl. auch Amtl. Bull NR, 1978, S. 1540 f. (Motion Dürr, cvp, SG). Vgl. ferner SPJ, 1977, S.87 f.