Année politique Suisse 1978 : Infrastructure, aménagement, environnement / Protection de l'environnement
 
Umweltschutzpolitik
Trotz der wirtschaftlichen Rezession der letzten Jahre soll nach Ansicht einer Mehrheit der Bevölkerung der Umweltschutz keinesfalls vernachlässigt werden. Eine im Berichtsjahr durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt als wichtigstes Ziel der schweizerischen Politik betrachtet wird [1]. Um diesem eindeutigen Volkswillen, welcher sich bereits 1971 mit der überwältigenden Annahme des Verfassungsartikels über den Umweltschutz manifestiert hatte, gerecht zu werden, legte der Bundesrat einen zweiten Entwurf zu einem Umweltschutzgesetz vor [2]. In Anbetracht der Kritik am ersten, in der Vernehmlassung gescheiterten Entwurf will sich das neue Gesetz auf die Regelung der Bereiche Luftverschmutzung, Lärm und Abfallbewirtschaftung beschränken. Für diese Problemkreise soll der Bundesrat Vorschriften (insbesondere über Emissionsgrenzwerte) erlassen können. Die Erhebung einer Lenkungsabgabe, welche die Schadstofferzeuger mit materiellen Sanktionen zu einem umweltgerechten Verhalten veranlassen könnte, ist hingegen nicht vorgesehen. Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit des neuen Gesetzes (falls es in der vorliegenden Form verabschiedet wird), dürfte es demnach sein, welche Grenzwerte der Bundesrat vorschreiben wird und von welchem Zeitpunkt an sie eingehalten werden müssen. Mit dem neuen Gesetz soll im weitern eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt werden, welcher sich alle grössern Bauvorhaben zu unterziehen hätten [3].
Das noch 1978 abgeschlossene Vernehmlassungsverfahren zeigte, dass auch dieser zweite Entwurf nicht mit allgemeiner Zustimmung rechnen kann. Die Kritik kommt allerdings diesmal von der entgegengesetzten Seite. Die Umweltschutzorganisationen, die SPS, die SVP und der Landesring würden eine umfassendere Vorlage bevorzugen; dies würde ihrer Meinung nach auch besser dem Verfassungsauftrag entsprechen. Daneben bemängeln sie insbesondere den grossen Ermessensspielraum, welcher dem Bundesrat beim Erlass der Emissionsgrenzwerte eingeräumt werden soll, und den Verzicht auf das Instrument der Lenkungsabgabe. Sie begrüssen jedoch die Verankerung des Verursacherprinzips sowie die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und hoffen, die Vorlage bei der parlamentarischen Beratung noch in einigen Punkten zu ihren Gunsten abändern zu können [4]. Weitgehend befriedigt äusserten sich die CVP, die FDP und die Vertreter der Wirtschaft. Dabei warnte der Vorort bereits vor einer strengen Auslegung des Gesetzes, da sonst die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft gefährdet werden könnte [5].
Nachdem in der Westschweiz Umweltschutzparteien bereits einige lokale Wahlerfolge verzeichnet hatten, erfolgte nun auch in der deutschen Schweiz der Versuch. sogenannte «Grüne Parteien» ins Leben zu rufen. Da sich aber die traditionellen Umweltschutzorganisationen mehr davon versprechen, ihren Einfluss bei der Kandidatenauswahl der etablierten Parteien geltend zu machen, sehen die Entwicklungschancen dieser Parteineulinge nicht allzu gut aus. Erschwerend für ihren Erfolg dürfte sich zudem auch auswirken, dass unser politisches System den Umweltschutzverbänden breite ausserparlamentarische Mitbestimmungsmöglichkeiten (Initiative, Referendum, Vernehmlassungsverfahren, Expertenkommissionen) einräumt und sie deshalb nicht unbedingt auf die Vertretung ihrer Anliegen durch spezielle politische Parteien angewiesen sind [6].
 
[1] SKA, Bulletin, 84/1978, Nr. 10, S. 9 f. Zum Problemkreis der Widersprüche zwischen den Erfordernissen der Wirtschaft und des Umweltschutzes fand in St. Gallen ein Symposium statt (NZZ, 29, 4.2.78). Mit der gleichen Fragestellung befasste sich auch der Parteitag der LPS (JdG, 30, 6.2.78; Parti libéral suisse, Ecologie et liberté, 1978).
[2] Zur Vorgeschichte des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vgl. SPJ, 1976, S. 114; 1977, S. 115. Vgl. auch Th. Bühler, «Grenzen einer schweizerischen Umweltschutzgesetzgebung», in Wirtschaft und Recht. 30/1978, S. 425 ff.
[3] Presse vom 22.2.78.
[4] Umweltschutz: Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz. Bulletin. 1978, Nr. 2; NZZ, 133, 12.6.78. SPS: NZZ. 227, 30.9.78 ; SVP: NZZ. 216, 18.9.78. LdU : BaZ, 205, 5.8.78. Zum Instrument der Lenkungsabgaben vgl. auch NZZ, 164, 18.7.78; 174, 29.7.78.
[5] CVP: LNN, 280, 2.12.78. FDP: FDP-Information, 1978, Nr. 4, S. 34. Wirtschaft: NZZ, 182, 9.8.78; wf. Dok., 45, 6.11.78; 46. 13.11.78.
[6] Focus, 1978, Nr. 102, S. 22 ff.; Ldb, 128. 7.6.78. Vgl. auch unten. Teil I, IIIa (Grüne Partei).'