Année politique Suisse 1979 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
Unternehmer
Das von der Polarisierung geprägte Wahljahr wirkte sich auch auf die Tätigkeit der Wirtschaftsverbände aus. Besonders in den Unternehmerorganisationen von
Industrie und Handel zeigte man sich bestrebt, einerseits den Angriffen der Linken gegen Bürgertum und Privatwirtschaft entgegenzutreten und anderseits die Unternehmensleiter vermehrt zur parlamentarischer Aktivität aufzufordern, um nicht nur auf die vorparlamentarische Phase der Gesetzgebung Einfluss nehmen zu können
[6]. Erstmals verbreitete die Wirtschaftsförderung in allen Haushaltungen der deutschen und der französischen Schweiz eine boulevardorientierte Zeitungsnummer, die sich zwar jeder direkten parteipolitischen Stellungnahme enthielt, jedoch deutlich gegen Postulate der Linken Front machte
[7]. Diskreter, aber zugleich gezielter soll sich der Vorort in einem Zirkular an die «der marktwirtschaftlich-freiheitlichen Ordnung verpflichteten Parteien» gewandt haben, um sie wirtschaftspolitisch wirksamer zu dokumentieren. Dass er die Programme dieser Parteien in bezug auf das Verhältnis zwischen Staat und Privatwirtschaft teilweise als unklar und inkonsequent beurteile, sprach der Präsident des Vororts, L. von Planta, vor den Delegierten des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins (SHIV) offen aus
[8].
Als besondere Gefahr signalisierte der Vorort eine allfällige Steigerung von Interessengegensätzen innerhalb der Privatwirtschaft (Werkplatz — Finanzplatz, Klein- und Mittelunternehmungen — Multis); demgegenüber betonte er das gemeinsame Interesse an einer Wirtschaftsordnung, welche die bestehende Vielfalt überhaupt erst möglich mache
[9]. Von gewissen Spannungen zeugte auch die Reorganisation der Verbandsstruktur des Import- und Grosshandels. Die Vereinigung des schweizerischen
Import- und Grosshandels (VSIG), die dem SHIV angehört, ist Dachorganisation von zahlreichen Handelsverbänden, umfasst aber nicht alle in Betracht fallenden Gruppen. Durch die Gründung eines Forums des schweizerischen Import- und Grosshandels wollte man nun einerseits die Struktur der VSIG straffen, anderseits einen Schulterschluss mit den übrigen Organisationen des Wirtschaftszweigs ermöglichen, um dessen besondere Interessen wirksamer vertreten zu können; dabei machte man namentlich die protektionistischen und dirigistischen Tendenzen im Welthandel geltend
[10]. Wieder heiterer erschien der Himmel — trotz Einreichung der sozialdemokratischen Bankeninitiative — über dem
Bankwesen. Die von der Kartellkommission veröffentlichte Erhebung über dessen Struktur und Tätigkeit wurde vom Präsidenten der Bankiervereinigung, A. E. Sarasin, im wesentlichen mit Genugtuung kommentiert
[11].
Noch mehr als in Industriekreisen fühlte man sich im Gewerbe bei den eidgenössischen Wahlen engagiert. Das Organ des
Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) setzte sich nicht nur für eine Verstärkung der gewerblichen Deputation im Parlament ein, sondern rief die Standesgenossen ausdrücklich dazu auf, keinem Sozialdemokraten eine Stimme zu geben. Es musste nach dem Wahltag freilich feststellen, dass es nicht einmal gelungen war, die Rücktritte verschiedener Gewerbevertreter wettzumachen
[12]. Verbandsdirektor O. Fischer, freisinniger Nationalrat, betonte, dass der SGV, im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsverbänden, eine ganzheitliche, bürgerlich-liberal orientierte Politik betreibe und sich deshalb von einer Partei nur wenig unterscheide. Obwohl Fischer sein politisches Engagement ganz auf die Beschränkung der Befugnisse und Finanzmittel des Staates ausrichtet, vermochte er 1979 so wenig wie 1977 seinen Verband für eine Neinparole zur Finanzvorlage zu gewinnen
[13]. Der Baumeisterverband, der die starke Abhängigkeit des Baugeschehens von der öffentlichen Hand betonte, befürwortete ausdrücklich eine gezielte Einflussnahme des Staates aufdie Schwankungen der Baukonjunktur mit Hilfe seiner Aufträge
[14]. An einer gewerblichen Tagung wurde auch auf den Widerspruch zwischen den Sparforderungen und den Klagen über einen Druck öffentlicher Auftraggeber auf die Preise hingewiesen
[15]. Im September feierte der SGV sein 100jähriges Jubiläum, wobei der Präsident, R. Etter, darauf hinwies, dass die Volksentscheide der vergangenen drei Jahre meist im Sinne der gewerblichen Parolen ausgefallen seien. In einer Jubiläumsschrift wurde die Entwicklung des Verbandes zu einer Art parlamentarischer Opposition und zur Führung der «Fronde des Souveräns» gegenüber der Regierungspolitik hervorgehoben
[16].
[6] Aufrufe zu parlamentarischer und parteipolitischer Tätigkeit: H. Rüegg, « Der Unternehmer in der Politik - Lobbyist oder Diener am Staat?», in SAZ, 23, 7.6.79; A. Keller, «Unternehmer und Politik», in Wirtschaftspolitische Mitteilungen (wf, 35/1979. Nr. 9: vgl. ferner JdG, 82. 7.4.79 (Erster Sekretär des Vororts): Vat., 252, 30.10.79 (StR Binder, cvp, AG, vor der Vereinigung christlicher Unternehmer).
[7] Blickpunkt Marktwirtschaft, Aug. 1979 - Réalités de l'économie de marché en Suisse (Sept. 1979). Das Blatt enthielt einen Wettbewerb. bei dem 1 kg Gold zu gewinnen war. Vgl. dazu Direktor R. Reich in SGT, 219, 19.9.79.
[8] Zirkular: SP—Information, 47. 1.2.79. Programmkritik: NZZ, 214, 15.9.79.
[9] SHIV (Vorort), Jahresbericht, 109/1978—79, S. 31 ff.
[10] Mitteilungen VSIG, 1979, Nr. 7/8, 10 u. 12; NZZ, 271. 21.11.79.
[11] NZZ, 226. 29.9.79. Vgl. dazu oben, Teil I, 4b (Banken).
[12] Aufrufe: SGZ, 13, 29.3.79; 41, 11.10.79; 42, 18.10.79. Ergebnis: SGZ, 43. 25.10.79.
[13] Vgl. O. Fischer in LNN, 211. 12.9.79 (Interview) und in Unternehmungsführung im Gewerbe, 12/1980. Nr. 1, S. 37 ff. (Referat am Schweiz. Gewerbekongress vom 12.9.79). Parole zur Finanzvorlage 1979: SGZ, 13. 29.3.79. Der SGV gab beidemal die Stimme frei (vgl. SPJ, 1977, S. 179 f.).
[14] Schweiz. Baumeisterverband, Jahresbericht, 82/1978. S. 42 ff.
[15] LNN, 77, 2.4.79 (Tagung des Schweiz. Instituts für Unternehmerschulung im Gewerbe).
[16] Vgl. Presse vom 13. u. 14.9.79: ferner R. Etter in Unternehmungsführung im Gewerbe, 12/1980. Nr. 1, S. 41 (r. (Tätigkeitsbericht) sowie Das Gewerbe in der Schweiz: 100 Jahre Schweizerischer Gewerbeverband, 1879-1979, Bern 1979.
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