Année politique Suisse 1979 : Economie / Agriculture / Landwirtschaftspolitik
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Berglandwirtschaft
Mit den Preisbegehren des SBV können die Einkommensprobleme der Berglandwirtschaft nur sehr beschränkt bewältigt werden. Den grossen Differenzen zwischen den Einkommen der Berg- und Talbauern ist auf dem herkömmlichen Wege der Produktionspreise und -subventionen nicht beizukommen. Werden nämlich die Produktionspreise gehoben, so fördert man einerseits durch diesen Anreiz die Überproduktion, vor allem bei der Milch; anderseits begünstigt man weiter das unter leichteren Bedingungen produzierende Talgebiet und vergrössert die Unterschiede noch mehr. Landwirtschaftliche Betriebe mit erschwerten Produktionsverhältnissen bedürfen daher einer Art Kompensation fir ihre Benachteiligung. Durch einzelne Beitragsleistungen wird bereits seit einiger Zeit versucht, für die Berglandwirtschaft einen gewissen Ausgleich zu schaffen: wir kennen Familienbeiträge, Kinderzulagen, diverse Investitionskostenbeiträge, Viehabsatzförderungen und neuerdings auch eine Begünstigung in der Milchkontingentierung [18]. Einer Vereinfachung und Vereinheitlichung dieses Systems könnte aber leicht von der einen oder anderen Seite Opposition erwachsen.
Die Berglandwirtschaft ist nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus ökologischen Gründen unentbehrlich. Gerade in den letzten Jahren hat man der Rolle des Bergbauern als «Landschaftsgärtner» vermehrte Beachtung geschenkt, da das Brachliegen von Bergland schwerwiegende Folgen zeitigt. Wo kein Vieh mehr weidet und kein Heu geschnitten wird, entstehen Erdrutsche, Brände, Steinschlag, eine Vergandung und die Gegend wird unansehnlich, was nicht nur dem Interesse der Bauern, sondern auch dem des Tourismus widerspricht, da dessen Hauptkapital eine intakte Landschaft ist.
In der Absicht, den benachteiligten Gebieten eine Aufbesserung ihrer Einkommenslage zu gewähren, hatte die Landesregierung ein «Bundesgesetz über Bewirtschaftungsbeiträge an die Landwirtschaft mit erschwerten Produktionsbedingungen» ausarbeiten lassen. Dieses sieht vor allem für die landwirtschaftliche Nutzung von starken Hanglagen die Ausrichtung von Beiträgen pro Flächeneinheit vor. Der Bundesrat wollte die Vorlage zuerst von der Annahme der Finanzreform abhängig machen. Die unbestrittene Notwendigkeit einer Einkommensverbesserung für die Bergbevölkerung liess aber eine Hinausschiebung nicht verantworten [19]. Der Nationalrat behandelte das Gesetz im Juni. Die SP begrüsste es, da es ihrer agrarpolitischen Tendenz entsprach. Auch bei den bürgerlichen Parteien war die Vorlage im Prinzip unbestritten; es forderten indessen einige Votanten eine Ausklammerung der Hanglagen im Talgebiet. Der Rat verwarf jedoch eine solche Beschränkung, ebenso die Anträge, Bauzonen auszunehmen und die Bergzonen 2 und 3 ganz statt nur an den Hanglagen zu berücksichtigen. Dagegen fügte er auf Antrag seiner Kommission eine Finanzierungsbestimmung bei, welche vorsah, dass die erforderlichen Beträge nach Möglichkeit den Preiszuschlägen auf eingeführten Futtermitteln zu entnehmen und alle fünf Jahre in Rahmenkrediten vom Parlament zu bewilligen seien. Das Gesetz wurde mit nur wenigen Gegenstimmen gutgeheissen und gleichfalls ein erster Rahmenkredit von 400 Mio Fr. für die Periode 1980-84 ; eine höhere Summe, wie sie bäuerliche Vertreter wünschten, wurde mit Rücksicht aufdie Finanzlage des Bundes abgelehnt. Der Ständerat vermochte noch eine Anderung zugunsten von Betrieben in ebener, aber sehr hoher Lage (wie z.B. Obergoms und Oberengadin) durchzusetzen; diese bilden künftig eine neue Bergzone 4, in der als Korrektiv für die ausfallenden Flächenbeiträge erhöhte Viehhaltungsbeiträge ausgerichtet werden. Im Dezember stimmten beide Räte der bereinigten Vorlage zu [20].
Wie der Bundesrat in seiner Botschaft ankündigte, sollen Bauern im Berg- und Hügelgebiet für die Bewirtschaftung von Hängen mit mehr als 18% Steigung jährliche Beiträge von 200 Fr. pro ha Wiese oder Ackerland und 80 Fr. pro ha Weide erhalten. Das Gesetì sieht jedoch die Festlegung einer Maximalfläche sowie oberer Einkommensgrenzen vor, um die Unterstützung von rentablen Grossbetrieben zu vermeiden. Für bestossene Sömmerungsweiden werden «Alpungsbeiträge» pro Vieheinheit ausbezahlt. Etwas völlig Neues bildet die Verpflichtung der Grundeigentümer. die Bewirtschaftung von Brachland durch Fremde unentgeltlich zu dulden, wenn dafür ein öffentliches Interesse besteht. Diese Bestimmung gab in den Räten Anlass zu Diskussionen. ob sie mit der Eigentumsgarantie der BV vereinbar sei, doch wurde sie schliesslich gebilligt. Ihre Dringlichkeit wird durch die Tatsache illustriert, dass in einigen Tälern der Kantone Wallis und Tessin bereits bis zu 75% des Kulturlandes brachliegen [21].
Den Problemen der Bergregionen trug man auch dadurch Rechnung. dass die Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern erhöht wurden. wie wir in anderem Zusammenhang zeigen werden. Dagegen fanden Vorstösse für eine Erweiterung der Investitionshilfe und der Wohnbausanierung im Berggebiet weder beim Bundesrat noch im Parlament Zustimmung [22].
 
[18] Zu den Kinderzulagen vgl. unten. Teil I, 7d (Politique familiale), zur Milchkontingentierung unten, Tierische Produktion. Vgl. dazu ferner J. C. Piot. Schwerpunkte der schweizerischen Agrarpolitik (Referat vom 2.3.1979 am Seminar der Ökonomischen und gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Bern) sowie BBl, 1977, I, S. 459 f.
[19] Botschaft: BBl, 1979, I, S. 1309 ff. Vgl. dazu NZZ, 105, 8.5.79 sowie SPJ, 1978, S. 84.
[20] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 789 ff, 1402 f., 1462 f. ; Amtl. Bull. StR, 1979, S. 470 ff., 537 f. Vgl. dazu TA, 142, 22.6.79 ; Vat., 142. 22.6.79 sowie zur SP-Politik oben, Landwirtschaftliches Einkommen. Infolge der Einführung der Bergzone 4 wurde der Rahmenkredit für die Flächenbeiträge auf 385 Mio Fr. reduziert.
[21] Definitiver Text: BBl, 1979. III, S. 1145 ff.
[22] Familienzulagen: vgl. unten, Teil I. 7d (Politique familiale). Investitionshilfe: Motion Pini (fdp. TI), nur zum kleinsten Teil als Postulat überwiesen (Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1409 ff.). Wohnbausanierung: Postulat Dirren (cvp. VS). abgelehnt (Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1414): eine Revision des bestehenden Gesetzes ist in Vorbereitung (NZZ, sda, 200, 30.8.79).