Année politique Suisse 1980 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
 
Grundrechte
Die Diskussion über die Grundrechte hat sich in jüngster Zeit um eine neue Streitfrage erweitert. Beherrschten zuvor die Spannungen zwischen Freiheit und Ordnung sowie zwischen Individual- und Sozialrechten das Feld, so hat die Initiative «Recht auf Leben» dazu noch den Gegensatz von bewusstem und unbewusstem menschlichem Dasein in die Debatte geworfen. Neue gesetzgeberische Entscheide wurden jedoch in diesem Bereich keine getroffen.
Das Volksbegehren, das sich vor allem gegen jede Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs wie auch gegen eine aktive Sterbehilfe richtet, wurde im Juli eingereicht; es erzielte die höchste seit 1962 registrierte Unterschriftenzahl. Diese Unterstützung kam freilich ziemlich einseitig aus katholischen Gegenden. Am schwächsten war sie in den westschweizerischen Kantonen Waadt, Genf und Neuenburg [1]. Die Initianten betonten, dass es ihnen nicht nur um die Abwehr einer über die medizinische Indikation hinausgehenden Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu tun sei, sondern um eine allgemeine Vertiefung des Wertbewusstseins [2]. Der Initiative wurde entgegengehalten, sie widerspreche mit ihrer Definition des Lebens (Begrenzung durch Zeugung und «natürlichen Tod») weit verbreiteten Vorstellungen und sei geeignet, die Fronten in der Abtreibungsfrage zu verhärten; man vermisste zudem die Forderung, dass die Qualität des Lebens zu verbessern sei [3]. Auch katholische Stimmen meldeten Vorbehalte an [4].
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Datenschutz
Angesichts der zunehmenden Verbreitung des Computers wird ein gesetzlicher Datenschutz immer dringlicher. Im Sommer orientierte eine Tagung an der Hochschule St. Gallen über den Stand der Entwicklung [5]. Dabei wurde festgestellt, dass erst acht Kantone Schutzregelungen für ihre Verwaltung getroffen hatten; allein Genf besitzt ein Gesetz, das auch die Gemeinden einbezieht. Es laufen aber Vorbereitungen auf Bundesebene, in verschiedenen Kantonen und Gemeinden und schliesslich im interkantonalen Rahmen der Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz. Diese Vielfalt der Initiativen wird unterschiedlich beurteilt. Befürchtet man einerseits die Entstehung einer verwirrlichen Rechtsungleichheit, so wird anderseits betont, dass alle diese Bemühungen doch eine beträchtliche Übereinstimmung zeigen. Kompliziert wird die Lösung des Problems durch die bundesstaatliche Kompetenzordnung. So kann der Bund ohne Verfassungsgrundlage den Kantons- und Gemeindeverwaltungen keine Vorschriften machen; den Kantonen wiederum fehlen die zivil- und strafrechtlichen Befugnisse, um die Datenspeicherung und -verwendung durch Private zu reglementieren [6]. Wegen ihrer föderativen Struktur ist die Schweiz einstweilen auch nicht in der Lage, eine Datenschutzkonvention des Europarats zu unterzeichnen, die im Herbst ihre Genehmigung durch das Ministerkomitee gefunden hat; sie muss zuvor abwarten, bis sämtliche Kantone entsprechende Gesetze erlassen haben [7]. Ein Schutzbedürfnis besteht allerdings nicht nur gegenüber dem Missbrauch von elektronisch gespeicherten Daten. Auch die Weitergabe von Informationen aus konventionellen Karteien kann Persönlichkeitsrechte verletzen, was von kantonalen und kommunalen Erlassen oft zuwenig berücksichtigt wird [8].
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Persönlichkeitsschutz
Neben der grundsätzlichen Diskussion über den Persönlichkeitsschutz nahmen auch die Auseinandersetzungen um den Freiraum von politischen Aussenseitern ihren Fortgang. Das Deutschschweizer Fernsehen widmete der Frage «Kommunisten diskriminieren oder tolerieren» eine eigene Sendung, in der einerseits Diskriminierte von ihren Erfahrungen berichteten und anderseits der Zürcher Erziehungsdirektor Gilgen den im Vorjahr in Gebrauch gekommenen Begriff der «Grauzone» dahin präzisierte, dass er ausser der PdA noch die POCH und die RML einschliesse [9]. Die «Grauzone»-Theorie spielte auch in der Gesamtverteidigungsübung zu Anfang des Jahres eine Rolle. Durch Indiskretion wurde bekannt, dass man mit dem Szenario eines sowjetischen Angriffs auf die Schweiz die Annahme verbunden hatte, sozialistische Kreise in Armee und Zivilbevölkerung sabotierten den Widerstand. An der Übung Beteiligte erklärten zwar, es seien ganz verschiedene Situationen durchgespielt worden, doch der Vorstand der SPS protestierte gegen eine Kriminalisierung linker Organisationen, und im Parlament ersuchte die Fraktion von PdA, PSA und POCH den Bundesrat um eine Erklärung [10]. Dieser nahm zur angefochtenen Übungsanlage vor dem Jahresende noch nicht Stellung, wohl aber zu einer von derselben Fraktion schon im Sommer 1979 eingereichten Interpellation, die sich auf die Beurteilung der PdA durch die Zürcher Regierung bezog. Dabei rechtfertigte er das Verhalten der Zürcher Behörden mit der Begründung, die PdA habe die Anwendung nichtdemokratischer Mittel nie ausdrücklich ausgeschlossen [11].
Diskriminierungen durch private Staatsschutzaktivität wurden von den Behörden nur teilweise toleriert. Das Demokratische Manifest beschwerte sich darüber, dass das Bundesgericht unwahre Angaben, die in einem von der Gruppe um Ernst Cincera herausgegebenen Bulletin verbreitet worden waren, nicht als persönlichkeitsverletzend bewertet hatte [12]. Der Zürcher «Subversivenjäger» musste aber am Jahresende erleben, dass seine private Informationstätigkeit der Fortsetzung einer militärischen Karriere nicht dienlich war. Bundespräsident Chevallaz lehnte als Chef des EMD eine Beförderung Cinceras zum Obersten im Territorialdienst ab, da er befürchtete, eine solche würde bei Untergebenen Widerstände provozieren [13].
Über die Beeinträchtigung der Wirksamkeit von Vertretern abweichender politischer Auffassungen im Südjura berichten wir in anderem Zusammenhang. Dies gilt.auch für die von neuen Jugendunruhen aufgeworfenen Probleme und für die Frage der Übernahme internationaler Grundrechtskonventionen ins schweizerische Recht [14].
 
[1] Vgl. BBl, 1980, III, S. 270 ff.. sowie Presse vom 31.7.80. In den Kantonen mit mehr als zwei Dritteln katholischen Schweizerbürgern unterzeichneten fast 14% der Stimmberechtigten die Initiative, in denjenigen mit mehr als zwei Dritteln protestantischen Schweizerbürgem nur 2%. In VD, GE und NE waren es weniger als 1,5%. Vgl. ferner SPJ, 1979, S. 17 f.
[2] So Prof. W. Kägi in Ww, 52, 23.12.80; NR E. Blunschy-Steiner (cvp, SZ) in Civitas, 35/1979–80, S. 189 ff.; H. Studer (EVP) in LNN, 176, 31.7.80.
[3] Vgl. BaZ, 177, 31.7.80; JdG, 177, 31.7.80; LNN, 176. 31.7.80; Ww, 32, 6.8.80.
[4] So der Moraltheologe Prof. D. Mieth in Civitas, 35/1979–80, S. 197 ff., der die Gewährung eines rechtsfreien Raums für eine sittliche Entscheidung vermisste. Vgl. auch Vat., 176, 31.7.80, wo vor einer weiteren Polarisierung gewarnt und ein Kompromiss gefordert wurde. — Zur Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch vgl. ferner unten, Teil I, 7d (Avortement).
[5] TA, 131, 9.6.80; NZZ, 133, 11.6.80; Verwaltungspraxis, 34/1980. Nr. 7, S. 19 f. Vgl. dazu SPJ, 1979, S. 17.
[6] Zur Vielfalt der Initiativen vgl. C.M. Flück, «Datenschutznormierung auf kantonaler, nationaler und europäischer Ebene», in Schweiz. Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, 81/1980. S. 475 ff. Nach einer Information des Bundesamtes für Justiz haben 1980 zahlreiche Gemeinden Datenschutzreglemente erlassen. Über die kantonale Gesetzgebung orientiert Teil II, 1e. Über die Dringlichkeit eines Bundesgesetzes im Zusammenhang mit dem geplanten kriminalpolizeilichen Informationssystem (KIS) vgl. unten, Öffentliche Ordnung.
[7] BaZ (sda), 249, 23.10.80; vgl. auch Bund, 139. 17.6.80.
[8] Vgl. dazu auch TA, 81, 8.4.80; Bund, 162, 169, 175, 183, 14.7.–7.8.80; 306, 31.12.80.
[9] Bund, 13, 17.1.80; Vr, 11. 17.1.80. Vgl. SPJ, 1979, S. 16.
[10] Indiskretion: Vorwärts, 6, 7.2.80; Das Konzept, Nr. 2, Febr. 1980. Entgegnungen: BaZ (ddp), 33, 8.2.80: Vat., 32, 8.2.80; Bund, 33. 9.2.80. SPS: TA, 52. 3.3.80; vgl. auch Vr, 38. 25.2.80. PdA/PSA/POCH: Verhandl. B.vers., 1980, I, S. 28. Zur Gesamtverteidigungsübung vgl. unten. Teil I, 3 (Organisationsfragen).
[11] Amtl. Bull. NR, 1981, S. 396 ff.; NZZ (sda), 296. 19.12.80.
[12] BaZ, 175, 29.7.80 ; Vr, 169. 29.8.80. Zur Tätigkeit Cinceras vgl. SPJ, 1976.S. 15 f. ; 1979, S. 17 sowie unten, Teil I, 8c (Presse).
[13] NZZ, 304, 31.12.80.
[14] Südjura: vgl. unten, Teil I, 1d (Question jurassienne). Jugendunruhen: vgl. unten, Öffentliche Ordnung. Internationale Konventionen: vgl. unten, Teil I, 2 (Collaboration européenne).