Année politique Suisse 1980 : Chronique générale / Défense nationale
 
Rüstung
Finanzpolitische Erwägungen spielten auch bei der Rüstungsbeschaffung eine wesentliche Rolle [9]. Mit dem Rüstungsprogramm 1980 begehrte der Bundesrat einen Kredit in der Rekordhöhe von 1555 Mio Fr. an. Das Schwergewicht lag bei der Fliegerabwehr. Neu im Programm war das mobile und allwettertaugliche Lenkwaffensystem «Rapier» britischer Herkunft. Für die Tieffliegerabwehr gedacht, soll es den mechanisierten Divisionen, vorallem ihren Panzerregimentern, einen wirksamen Schutz gegen die Bedrohung aus der Luft gewähren. Die 60 vorgesehenen Feuereinheiten dieses Systems beanspruchen allein 1192 Mio Fr. Der andere Hauptposten umfasst eine dritte Tranche von 30 Fetierleitgeräten «Skyguard» für 98 Mio Fr. Mit diesen Geräten schweizerischer Herkunft wird die Modernisierung der Mittelkaliberflab vorläufig abgeschlossen. Der Restbetrag von 165 Mio Fr. entfällt auf Beleuchtungsgeschosse, Übermittlungsmaterial und Sanitätswagen [10].
Was bei der Beratung des Rüstungsprogramms in den eidgenössischen Räten als Militärdebatte begann, entwickelte sich immer mehr zu einer finanzpolitischen Kontroverse. Die bürgerlichen Votanten begründeten vorab die Notwendigkeit eines ausreichenden Flabschutzes für die Panzertruppe. Obschon die neuen Materialvorhaben auch von den Sozialdemokraten nicht grundsätzlich in Frage gestellt wurden, lehnten diese Rüstungskredite in der beantragten Höhe unter Verweis auf die fehlende bürgerliche, insbesondere freisinnige Bereitschaft zu Mehreinnahmen ab. Wollten die bürgerlichen Fraktionen zusätzliche Einnahmen bis zum Entscheid über die Verlängerung der geltenden Finanzordnung des Bundes zurückstellen, so war die SP nicht bereit, Rüstungspolitik «auf Pump» zu betreiben. Trotz dem Vorwurf von Bundespräsident Chevallaz, die Sozialdemokraten begäben sich in bezug aufdie Landesverteidigung an die äusserste Grenze ihrer Glaubwürdigkeit, beharrten diese auf ihrem Protest, den sie nicht als armeefeindlich, sondern als Kritik an der bürgerlichen Finanzpolitik verstanden wissen wollten. Sie enthielten sich der Stimme, wodurch die Vorlage freilich nicht gefährdet wurde. Sie passierte im Nationalrat unter dem von freisinniger Seite verlangten Namensaufruf mit 125 gegen 6 Stimmen der äussersten Linken, im Ständerat mit 31 gegen 0 [11].
In den Grundzügen wurde bereits das Rüstungsprogramm 1981 bekannt. Im Zeichen des Armeeleitbildes 80 und der neuen Regierungsrichtlinien steht die möglichst vollständige Realisierung der materiellen Vorhaben im Bereich der Panzerabwehr und der Luftverteidigung im Vordergrund. In einem ersten Teil beantragte der Bundesrat die Beschaffung einer zusätzlichen Serie von 38 «Tiger»–Kampfflugzeugen zum Preis von 770 Mio Fr. sowie von 40 Schulft gzeugen vom Typ Pilatus PC–7 für 110 Mio Fr. Der zweite Teil des Programms soll zu einem späteren Zeitpunkt unterbreitet werden und die Beschaffung von Panzerabwehr-Lenkwaffen «Dragon» für die Landwehrtruppen und von Pfeilmunition zur Steigerung des Kampfwerts der Panzer umfassen. Die Verstärkung der Panzerabwehr war ausserdem Gegenstand zweier vom Nationalrat diskussionslos überwiesener Postulate der freisinnigen Fraktion [12].
Trotz dem bundesrätlichen Beschluss des Vorjahres, auf die Entwicklung eines schweizerischen Kampfpanzers zu verzichten, kam es im Nationalrat nochmals zu einer ausgedehnten Panzerdebatte. Ausgangspunkt zur Wiedererwägung des Verzichtentscheids waren vor allem drei Motionen. Da man sich schliesslich einig war, dass der Verzicht nicht rückgängig gemacht werden könne, überwiesen die Volksvertreter die Vorstösse auf Vorschlag des Bundesrates bloss als Postulat. Damit wurde der Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass im allgemeinen die Interessen der schweizerischen Wirtschaft bei der Rüstungsbeschaffung optimal zu berücksichtigen seien. Speziell für eine spätere Panzergeneration solle wieder ein einheimisches Produkt Chancen erhalten [13]. Mit dem Vorentscheid, den neuen Kampfpanzer womöglich von einem schweizerischen Industriekonsortium unter Leitung der Bührle-Tochter Contraves AG im Lizenzbau herstellen zu lassen, unternahm das EMD bereits einen Schritt in diese Richtung. Die Herstellerin des neben dem amerikanischen XM-1 aussichtsreichsten deutschen Modells Leopard II setzte sich allerdings gegen die Idee einer schweizerischen Produktionsoberleitung zur Wehr [14].
Nicht ein privatwirtschaftlicher Betrieb, sondern die Konstruktionswerkstätte Thun wurde dagegen als Generalunternehmer für die Behebung der 1979 bekannt gewordenen Mängel am Schweizer Panzer 68 eingesetzt. Die Gruppe für Rüstungsdienste im EMD begründete diesen Beschluss namentlich mit der Möglichkeit, das nach dem Abbruch der Eigenentwicklung eines Kampfpanzers frei gewordene Personal dieses Betriebes dadurch weiterhin beschäftigen zu können [15]. Nach erfolgreicher Erprobung des verbesserten Panzers 68 konnten sowohl die Produktion der vierten Serie als auch der dazugehörige Verpflichtungskredit von 108 Mio Fr. vom EMD wieder freigegeben werden. Zunächst auf 45 Mio Fr. geschätzt, mussten die zusätzlichen Kosten der bis 1984 durchzuführenden Mängelbehebung später doppelt so hoch veranschlagt werden [16].
Im Anschluss an die Kritik am Panzer 68 hatte das EMD bereits 1979 ein betriebswirtschaftliches Gutachten über verschiedene Rüstungsabläufe der jüngsten Vergangenheit angefordert. Der nunmehr vorgelegte Bericht von Prof. E. Rühli verweist auf verschiedene Unzulänglichkeiten bei der Kriegsmaterialbeschaffung und enthält Verbesserungsvorschläge. Ins Auge zu fassen wäre insbesondere eine Verstärkung der Stellung des Generalstabschefs. Allgemein scheinen die Vorschläge Rühlis überdies eine Tendenzwende zu bestätigen, wie sie seit geraumer Zeit beobachtet wird. Nach der im Zeichen der Mirage-Affäre (1964) erfolgten Verstärkung der Position der «Zivilisten» in den zuständigen Organen schlägt offenbar das Pendel vermehrt zugunsten der «Militärs» zurück. Vorwürfe, wonach der mit der privaten Rüstungsindustrie eng verbundene Experte die eidgenössischen Rüstungsbetriebe redimensionieren oder sogar reprivatisieren und generell unbequeme Einflüsse der Politik ausschalten wolle, liess dieser allerdings nicht unwidersprochen [17].
Weitgehend mit dem Expertengutachten einig gingen die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat. In ihrem gemeinsam zum selben Thema verfassten Bericht wird namentlich auch ein Abbau des Gewichts der nicht unumstrittenen Gruppe für Rüstungsdienste im EMD angeregt. Nach Kenntnisnahme des Berichts überwies die Ständekammer, welche bereits Stellung nehmen konnte, je zwei Kommissionsmotionen und -postulate. Der Bundesrat soll danach Massnahmen zur Reorganisierung der Rüstungsbeschaffung einleiten, mögliche Vereinfachungen der Gruppe für Rüstungsdienste prüfen und nach zwei Jahren über den Stand der getroffenen Vorkehren berichten [18].
Brisante Auseinandersetzungen über die Kriegsmaterialbeschaffung stehen mit den Bestrebungen zur Einführung des fakultativen Referendums für Rüstungskredite bevor. Nach der grundsätzlichen, jedoch umstrittenen Befürwortung dieses Projekts am Parteitag des Vorjahres fasste man in SP-Kreisen zunächst eine entsprechende parlamentarische Einzelinitiative ins Auge. Tatsächlich in Gang gesetzt wurde ein solches Verfahren indes vom Zürcher POCH-Vertreter A. Herczog. Dessen Vorstoss lehnte aber die zuständige nationalrätliche Kommission hauptsächlich mit dem Argument mangelnder Entscheidungsfähigkeit des Stimmbürgers und fehlender Referendumsmöglichkeiten auf anderen Gebieten wie etwa der Entwicklungshilfe mit 10:3 Stimmen ab. In Anbetracht der bürgerlichen Opposition stellten sich dann die SP-Delegierten am Parteitag von Ende November einmütig hinter den Beschluss zur Lancierung eines Volksbegehrens für ein Rüstungsreferendum [19].
 
[9] Zu Rüstungsproblemen allgemein vgl. NZZ, 86, 14.4.80; 125, 2.6.80; 139. 18.6.80; Bund, 97, 26.4.80; Blick, 107, 9.5.80; 24 Heures, 126, 2.6.80; SP-Information, 78, 19.6.80; Ldb, 284, 6.12.80; G.–A. Chevallaz, «Rüstung und Armee», in Documenta. 1980, Nr. 3, S. 11 ff. ; ASMZ, 146/1980. Beilage zu Nr. 7/8 (Bericht über materielle Verteidigungsbereitschaft); Virus. Juli-Aug. 1980. S. 6 ff.
[10] BBl, 1980, II, S. 563 ff.; vgl. auch Presse vom 24.6.80; VO, 25, 27.6.80; SGT, 181, 5.8.80; NZZ, 225, 27.9.80. Zum «Rapier» vgl. auch NZZ, 113, 17.5.80 und eine Einfache Anfrage Renschler (sp, ZH) in Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1712. Mit Rücksicht auf eine mögliche Verwendung geheimer «Rapier»–Dokumente durch einen Mitarbeiter der Firma Bührle zwecks Propagierung eines schweizerisch (Bührle)-amerikanischen Konkurrenzprodukts leitete das EMD ein Untersuchungsverfahren ein (vgl. NZZ, 235. 9.10.80; TW, 238, 10.10.80). Zum «Skyguard» vgl. SPJ, 1976, S. 49 f.
[11] Amtl. Bull. NR, 1980, S. 1 184 ff.; Amtl. Bull. StR, 1980. S. 622 ff. ; BBl, 1980, III, S. 1445 f. Vgl. auch Presse vom 8.–9.10.80 und 4.–5.12.80; TW, 290, 10.12.80; NZZ (sda), 289, 11.12.80; Vr, 246, 16.12.80. Aus der SP stimmte einzig der Thuner Stadtpräsident, NR Eggenberg zu.
[12] Rüstungsprogramm 81: NZZ, 265, 13.11.80; zum «Tiger» vgl. SPJ, 1975, S. 58 f.; zum «Dragon» vgl. SPJ, 1977. S. 50. Postulate: Amtl. Bull. NR, 1980, S. 466 f.; vgl. auch ein Postulat Rüegg (fdp, ZH), a.a.O, S. 250.
[13] Motionen Oehler (cvp, SG), Reimann (sp, BE) und der LdU/EVP—Fraktion sowie Interpellation Kunz (fdp, BE): Amtl. Bull. NR, 1980, S. 454 ff.; vgl. auch ein Postulat Steiner (svp, SH) in Amtl. Bull. StR, 1980, S. 157 ff. sowie SPJ, 1979, S. 60. Zu ähnlich besorgten Reaktionen von Arbeitnehmerseite vgl. TA, 30, 6.2.80; Profi!, 59/1980. S. 252 ff. Zum Problem der Inlandquote bei der Rüstungsbeschaffung allgemein vgl. JdG, 69, 22.3.80; NZZ, 69. 22.3.80; 96, 25.4.80; TA, 100, 30.4.80 sowie SPJ, 1977, S. 50 f.; 1978. S. 49.
[14] TA, 98, 28.4.80; Presse vom 7.5.80; Ww, 21. 21.5.80.
[15] NZZ (sda ), 6.9.1.80 ; TA, 6, 9.1.80 ; vgl. auch SPJ, 1979, S. 59 f. Vgl. ferner ein Postulat Eggenberg (sp, BE) und eine Interpellation Kunz (fdp. BE) in Amtl. Bull. NR, 1980, S. 251 und 454 f.
[16] TLM, 38, 7.2.80; BaZ, 39, 15.2.80; TA, 38, 15.2.80; NZZ (sda), 60. 12.3.80; 303. 30.12.80; Presse vom 16.12.80. Aus betont armeekritischer Sicht Virus. Sept. 1980, S. 9.
[17] Bericht: Presse vom 10.6.80; NZZ, 134, 12.6.80; vgl. auch SPJ, 1979, S. 60; zur Tendenzwende vgl. auch SPJ, 1978, S. 46 f. Vorwurf: TW. 133, 10.6.80; 139, 17.6.80 (Replik Rühlis).
[18] Bericht: Bund, 148. 27.6.80; Presse vom 22.11.80. Ständerat: Amtl. Bull. StR, 1980. S. 616 ff. (Kenntnisnahme) und 621 ff. (Vorstösse). Zur Kritik an den Rüstungsinstitutionen vgl. auch NZZ, 15, 19.1.80; 64. 17.3.80; 281. 2.12.80; zur Kritik an der Gruppe für Rüstungsdienste vgl. ferner SPJ, 1979, S. 60.
[19] Vorstösse: BaZ, 13. 16.I.80; SGT, 101, 1.5.80; Verhandl. B. vers.. 1980, I, S. 17. Parteitag: Presse vom 1.12.80; vgl. auch SPJ, 1979, S. 57 sowie unten, Teil III a (Sozialdemokratische Partei).