Année politique Suisse 1980 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Primar- und Mittelschulen
Auf der Stufe der Primar- und Mittelschulen standen verstärkte Bemühungen um die interkantonale Koordination im Vordergrund. Wie schon im 1970 vereinbarten Konkordat wird auch jetzt wieder der Hebel bei der sogenannten äusseren Koordination (Schulstrukturen, insbesondere Schuljahrbeginn) angesetzt, die dann die innere (Unterrichtsreform) nach sich ziehen soll. Volksbegehren und eine parlamentarische Initiative, die auf ein Eingreifen des Bundes hinzielen, hatten schon 1978 die kantonalen Erziehungsdirektoren veranlasst, einen neuen Versuch mit der Methode des kooperativen Föderalismus einzuleiten [5]. Aussichtsreicher wurden die interkantonalen Bestrebungen gegen Ende 1979, als die beiden grossen Stände Zürich und Bern, deren Stimmbürger 1972 den ersten Anlauf abgestoppt hatten, gemeinsam die Verlegung des Schuljahranfangs auf den Spätsommer an die Hand nahmen. Veränderte Umstände — reichliches statt mangelndes Angebot an Lehrern, Abnahme statt Anschwellen der Schülerzahl, Anwachsen statt Knappheit der Nachfrage nach Lehrstellen — liessen die Einschaltung eines Langschuljahres leichter erscheinen als vor der Rezession. Während heute erst eine Minderheit der Landesbevölkerung den Herbst- oder Spätsommerbeginn kennt, wären es mit Zürich und Bern zwei Drittel, so dass man mit einem Nachziehen der übrigen Bundesglieder rechnen könnte [6]. In beiden Kantonen gingen entsprechende Regierungsanträge an das Parlament [7]. Bereits meldete sich jedoch — namentlich in Zürich — heftige Opposition. Auch Befürworter der Umstellung räumten ein, dass es wichtigere Schulreformen gäbe als die Vereinheitlichung des Schulanfangs [8]. Einer Meinungsumfrage zufolge scheint aber weder ein allgemeiner Herbst- noch ein allgemeiner Frühjahrsbeginn von der Mehrheit der betroffenen Bevölkerung abgelehnt zu werden [9].
Als weiteres Postulat der äusseren Koordination ist auch die Dauer der Schulpflicht noch umstritten. In beiden Appenzell kamen Regierungsinitiativen für die Einführung des obligatorischen neunten Schuljahrs zum Stehen [10]. Auf dem Gebiet der inneren Koordination bleibt die Empfehlung der EDK zum Fremdsprachenunterricht von 1975 noch weitgehend Programm. Erst drei Kantone führen jener Aufforderung gemäss die zweite Landessprache schon im 5. Schuljahr oder früher ein ; entsprechende Versuche in anderen Kantonen haben mit Widerständen zu kämpfen. In der Methode stellt man nun die natürliche, situationsbezogene Kommunikation in den Vordergrund, nachdem sie in der audiovisuellen Phase zu kurz gekommen war [11]. Solcher Kommunikation dient auch der Schüleraustausch über die Sprachgrenzen, der angesichts der Lehrerarbeitslosigkeit noch durch einen Austausch von jungen Lehrkräften ergänzt wird [12].
Auf dem Weg zu einer Mittelschulreform wurde eine neue Etappe erreicht, als die zuständige Kommission der EDK ihre Vorschläge zur Revision der Eidgenössischen Maturitätsanerkennungsverordnung veröffentlichte. Diese bestehen in drei unterschiedlichen Modellen, deren erstes (A) die seit 1972 verankerten fünf Maturitätstypen auf drei reduziert (sprachlich-geisteswissenschaftlicher, mathematisch-naturwissenschaftlicher und wirtschaftlich-sozialwissenschaftlicher Typ), während die beiden anderen (B und C) die Gymnasialbildung allein durch Wahlfächer differenzieren. Die Modelle A und B halten an der Elfzahl der zu absolvierenden Fächer fest, wobei deren neun für alle Kombinationen obligatorisch sind; Modell B unterscheidet jedoch zwischen Normal- und Intensivkursen. Das Modell C, das sich dem deutschen Reformabitur annähert, begnügt sich mit vier obligatorischen Maturfächern [13]. Die Vernehmlassung ergab freilich ein kontroverses und eher negatives Echo ; vor allem wurde ein Abbau des Unterrichtsstoffs, zugleich aber auch die Wahrung des Zugangs zu allen Hochschulfakultäten gewünscht [14]. Weithin war eine grössere Skepsis gegenüber der Fruchtbarkeit struktureller Änderungen festzustellen; um so mehr Gewicht wurde auf den Einsatz der Lehrer für kleine Schritte im Rahmen des bestehenden Systems gelegt [15].
Trotz der erwähnten Skepsis sind auf kantonaler wie überkantonaler Ebene grössere Reformvorhaben im Gange. So liess die Innerschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz Schulpflegen, Eltern und Lehrer auffordern, ihre Wünsche und Vorstellungen für eine Neugestaltung der Primarschule mitzuteilen ; eine vor allem aus Betroffenen zusammengesetzte Kommission erhielt den Auftrag, aus der Fülle der widersprüchlichen Ausserungen Leitideen zu entwickeln [16]. In Basel-Stadt hatte eine vom Erziehungsdepartement eingesetzte Arbeitsgruppe Modelle für eine allgemeine Orientierungsstufe nach dem vierten Primarschuljahr vorgelegt, woraufein hauptsächlich aus Linkskreisen gebildetes Komitee eines dieser Modelle zum Gegenstand eines Volksbegehrens machte, um es in die öffentliche Diskussion zu bringen [17]. Auch in Bern laufen die Reformbemühungen auf verschiedenen Ebenen. Die Regierung liess sich vom Grossen Rat beauftragen, bis 1983 Grundsätze für eine Gesamtüberprüfung aller Bildungsgesetze vorzulegen. Aber ähnlich wie in Basel wurde hier ebenfalls der Initiativweg beschritten: ein Begehren der äussersten Linken zielt auf die Einführung einer gemeinsamen Beobachtungsstufe im 5. und 6. Schuljahr und längerfristig auch auf die Zusammenfassung der verschiedenen Schultypen in den obersten obligatorischen Schuljahren [18].
Stärker liess sich die Öffentlichkeit durch organisatorische Anliegen und Massnahmen erregen, die weniger den Bildungsprozess an sich als gewisse Zusammenhänge zwischen Schule und Gesellschaft betreffen. So ergriff die Bewegung für die Fünftagewoche weitere welsche Kantone. Obwohl sich die Regierung und die Mittelschullehrer dagegen aussprachen, drang in der Waadt die von einer Elternorganisation lancierte Initiative für den schulfreien Samstag durch [19]. Im Wallis versuchte man, parlamentarischen Vorstössen folgend, die öffentliche Meinung durch eine breite Umfrage zu ermitteln; deren Echo war eindeutig positiv. Im Kanton Genf dagegen, wo bereits der Donnerstag schulfrei ist, fiel eine Befragung sämtlicher Schüler der Mittelstufe mehrheitlich ablehnend aus [20]. Durch den Rückgang der Geburtenzahl ergaben sich für kleine Landgemeinden Schwierigkeiten, eine eigene Schule aufrechtzuerhalten. Während in Graubünden ein eigentliches «Schulsterben» im Gange ist, schützte im Kanton Jura das Verfassungsgericht eine Gemeinde, die sich der Schliessung ihrer Zwergschule widersetzte [21]. Vielerorts führt die fortschreitende Abnahme der Schülerzahlen zu einer faktischen Reduktion der Klassengrössen [22].
Die fortbestehende Lehrerarbeitslosigkeit, die freilich nicht in allen Kantonen festzustellen ist [23], lässt neben einer Verkleinerung der Klassen die Schaffung von halben Stellen wünschbar erscheinen. Im Tessin, wo die Anwärter infolge der sprachlichen Isolierung und des starken weiblichen Andrangs zum Lehrerberuf besonders zahlreich sind, wurde die Stellenteilung versuchsweise institutionalisierte [24]. Eine Entlastung kann auch die Lehrerfortbildung bieten, für welche Bern als erster Kanton sechsmonatige Kurse einrichtete [25]. In der Waadt suchte man die Lösung dagegen in erschwerten Bedingungen für die Zulassung zum Lehrerseminare [26]. Sanktionen gegen umstrittene Lehrkräfte machten insbesondere im Kanton Bern von sich reden. Auf den Einsatz des kantonalen Lehrervereins für separatistische Verbandsmitglieder im Südjura haben wir schon hingewiesen [27]. Am französischen Gymnasium von Biel führte die Nichtbestätigung des Rektors L. Perret wegen seiner Amtsführung zu einem Schülerstreik. Obwohl sich auch Kreise ausserhalb der Schule für den wenig autoritären Pädagogen einsetzten, blieb der Entscheid der Schulkommission in Geltung [28]. In Freiburg traten Spannungen zwischen der religiösen Tradition des Bildungswesens und den liberalen Grundsätzen der Bundesverfassung zutage. Als der Rektor des kantonalen Gymnasiums einem atheistischen Lehrer den Philosophieunterricht entzog und dies damit begründete, dass der Kanton kein laizistischer Staat sei, wurde er vom Erziehungsdirektor unterstützt [29].
Die Tendenz, gewisse öffentliche Aufgaben privater Initiative zu überlassen, wirkt sich auch im Bildungssektor aus. Da freilich Schulen meist keine besonders einträglichen Unternehmungen sind, erstrebt man im privaten Bildungswesen, das in der ganzen Schweiz rund 10% der Schüler aller Stufen erfasst, vermehrte staatliche Zuwendungen, um gegenüber der öffentlichen Konkurrenz besser bestehen zu können. Solche Unterstützungen werden bisher als direkte Schulsubventionen oder als normale Stipendien gewährt; in mehreren Kantonen zielt man nun aber auf besondere Abzüge bei der Steuerveranlagung oder gar aufdie Rückerstattung der Kosten, die ein Privatschüler dem Staat erspart, wie sie eine im Kanton Bern lancierte Initiative verlangt [30]. Besonders gelagert sind die Verhältnisse der schweizerischen Privatschulen im Ausland. Das 1974 erlassene Subventionsgesetz hat für die Beitragsberechtigung Bedingungen aufgestellt (z.B. Minimalanteil der schweizerischen Schüler von 30%), die oft nicht mehr erfüllt werden ; zudem zieht die Sparpolitik des Bundes einen Abbau der bisherigen Zuschüsse nach sich. Der Bundesrat hat sich aufgrund der bewegten Hilferufe immerhin bereit erklärt, eine Milderung der gesetzlichen Bestimmungen ins Auge zu fassen, leisten die Schweizerschulen im Ausland doch auch einen Beitrag an die Präsenz unseres Landes in der Welt [31].
 
[5] Vgl. SPJ, 1970, S. 148 f.; 1978, S. 135; 1979, S. 151.
[6] Bund, 19, 24.1.80; TA, 19, 24.1.80. Vgl. SPJ, 1972, S. 130 f. Die Erziehungsdirektoren der Ostschweiz wollen sich beim Schuljahrbeginn an Zürich, derjenige von Basel-Stadt eher an Bern anschliessen (Ldb, spk, 116, 22.5.80; BaZ, 285, 4.12.80).
[7] Bern: Bund, 244, 17.10.80. Zürich: NZZ, 5, 8.1.81; TA, 30, 6.2.81.
[8] Opposition: Ldb, 67, 21.3.80; TA, 69, 22.3.80. Vorbehalte: TA, 19, 24.1.80; SGT, 20, 25.1.80; Vat., 20, 25.1.80. Übersicht über verschiedene Stellungnahmen in Mitteilungen der Schweiz. Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen... (abgekürzt: Mitteilungen), 19/1980, Nr. 73, S. 52 ff.
[9] NZZ (sda), 165, 18.7.80; vgl. SPJ, 1979, S. 151.
[10] In AR opponierten die meisten Gemeinden, in Al der Grosse Rat (SGT, 203, 30.8.80; 242, 15.10.80; 277, 25.11.80). Das gesetzliche Obligatorium fehlt auch noch in AG, GR, NW, OW, SZ, TG und UR; in AG hat ihm der Grosse Rat zugestimmt (Vat., 37, 14.2.80; NZZ, 46, 25.2.81). In allen erwähnten Kantonen wird jedoch das 9. Schuljahr mit Erfolg zum fakultativen Besuch angeboten.
[11] JdG, 181, 5.8.80; TA, 209, 9.9.80; vgl. SPJ, 1976, S. 139 f. Der EDK-Empfehlung entsprechen FR, BS und VS (Information der Pädagogischen Arbeitsstelle des Kantons St. Gallen ; zur Empfehlung vgl. SPJ, 1975, S. 139). Zum Widerstand vgl. LNN, 145, 25.6.80 (Grosser Rat von LU).
[12] NZZ, 2, 4.1.80; 23, 29.1.80; 159, 11.7.80; TA, 111, 14.5.80; Bund, 167, 19.7.80; Lib., 2, 2.10.80.
[13] Schweiz. Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, Kommission für Mittelschulfragen, Die Reduktion der Maturitätstypen und Maturitätsfächer, Genève 1980. Vgl. dazu BaZ (sda), 18, 22.1.80 ; ferner SPJ, 1972, S. 131; 1976, S. 138 f.
[14] Vgl. Presse vom 16.5.80 (Gymnasialrektoren); Bund, 191, 16.8.80 (BE); NZZ, 228, 1.10.80 (ZH); BaZ, 237, 9.10.80 (EDK der Nordwestschweiz); ferner NZZ, 80, 5.4.80.
[15] Skepsis: NZZ, 28, 4.2.80; 67, 20.3.80. Kleine Schritte: TA, 238, 13.10.80.
[16] Vat., 9, 12.1.80; LNN, 32, 8.2.80; 166, 19.7.80; 257, 5.11.80.
[17] Modelle: BaZ, 192, 18.8.79; 262, 7.11.80. Initiative: BaZ, 12, 15.1.80; 297, 18.12.80; vgl. unten, Teil Il, 6a.
[18] Regierung: Bund, 97, 26.4.80; 107. 8.5.80; 109, 10.5.80. Die 1979 vom Grossen Rat genehmigte Teilrevision des Primar- und Mittelschulgesetzes wurde von den Stimmbürgern angenommen (vgl. SPJ, 1979, S. 152 u. 191 sowie unten, Teil II, 6a). Initiative: vgl. unten, Teil II, 6a.
[19] TLM, 229, 16.8.80; 327, 23.11.80; JdG, 192, 18.8.80 ; 216, 16.9.80; 24 Heures, 213, 12.9.80; Presse vom 1.12.80. Auch die meisten ländlichen Bezirke stimmten zu. Vgl. SPJ, 1979, S. 152.
[20] Wallis: 24 Heures, 68, 21.3.80; Suisse, 338, 3.12.80. Genf: JdG, 99, 29.4.80; vgl. auch JdG, 193, 19.8.80 sowie SPJ, 1979, S. 152. Schulfrei ist der Samstag bereits in JU und TI, teilweise auch in FR und NE (VO, 46. 21.11.80).
[21] Graubünden: Bund, 161, 12.7.80. Jura: Lib., 160, 12.4.80; Suisse, 152, 31.5.80; 225, 12.8.80; TLM (ats), 352, 18.12.80. Erfolgreich war der Rekurs der Gemeinde Montfavergier.
[22] Bundesamt für Statistik, Schülerstatistik. Schuljahr 1978/79. Schweiz, Bern 1980, S. 18 ff. Der Hinweis auf diese Entwicklung diente als Argument gegen die erfolglose Initiative für kleinere Schulklassen in UR (LNN, 221, 23.9.80; Vat., 226, 29.9.80; vgl. SPJ, 1979, S. 152).
[23] Ausnahmen bilden z. B. AG (Vat., 66. 19.3.80 ; sda. 279. 1.12.80). SZ (LNN, 30, 6.2.80) und der romanische Teil von GR (NZZ, sda, 284, 5.12.80).
[24] Mitteilungen, 19/1980, Nr. 75. S. 55; CdT, 108, 9.5.80; 281, 4.12.80. Der Zürcher Erziehungsrat erliess eine befürwortende Empfehlung (TA, 38, 15.2.80).
[25] Bund, 45, 23.2.80; 297, 18.12.80; TA, 45, 23.2.80. Vgl. auch Bund, 292, 12.12.80.
[26] Durch Einführung der Möglichkeit einer Aufnahmeprüfung (24 Heures, 106, 7.5.80).
[27] Vgl. oben Teil I, 1d (Question jurassienne), insbes. Anm. 17. Der Lehrerverein hatte sich auch mit einer grösseren Anzahl von Fällen im deutschsprachigen Kantonsteil zu befassen (TA, 140, 19.6.80).
[28] BaZ, 21, 25.1.80; TLM, 175—177, 23-25.6.80; 323, 19.11.80. Eine Beschwerde Perrets wurde vom Regierungsrat abgewiesen (Bund, 141, 19.6.80).
[29] Lib., 132, 8.3.80 ; 148, 27.3.80 ; JdG, 66, 19.3.80. Vgl. auch .Amtl. Bull. NR, 1980, S. 843 (Einfache Anfrage Dafflon, pda, GE).
[30] NZZ, 219, 20.9.80; Bund, 251, 25.10.80; TLM, 300, 26.10.80. Initiative: Bund, 79, 3.4.80; TW, 79, 3.4.80. Weitere Vorstösse: Suisse, 169, 17.6.80 (GE); BaZ, 288, 8.12.80 (BS). Vgl. auch NZZ, 144, 24.6.80.
[31] NZZ, 193, 21.8.80; 196, 25.8.80; 248, 24.10.80; JdG, 196, 22.8.80. Erklärung des BR: Amtl. Bull NR, 1980, S. 1695 f. (Postulat Bacciarini, fdp, TI). Vgl. dazu SPJ, 1974, S. 45.