Année politique Suisse 1981 : Economie / Agriculture
Tierische Produktion
Der Widerspruch zwischen der bäuerlichen Einkommenssicherung und dem Ziel eines Marktgleichgewichts äusserte sich vor allem in der tierischen Produktion. Um die anhaltende Überproduktion von Milch vermehrt einzudämmen, hatte der Bundesrat bereits gegen Ende des Vorjahres beschlossen, die
Milchkontingentierung auf den 1. Mai 1981 auf das Berggebiet auszudehnen. Der Unmut der Betroffenen kam zum Teil in heftigen Reaktionen inner- und ausserhalb des Parlaments zum Ausdruck
[29]. Auf Grund der vehementen Kritik sah sich der Bundesrat veranlasst, die entsprechende Verordnung bereits vor ihrer Inkraftsetzung wieder abzuändern. An der vorgesehenen Ausdehnung der Kontingentierung auf das Berggebiet wurde festgehalten, allerdings in gemilderter Form und vorläufig nur für ein Jahr. Für die Talgebiete bringt die neue Verordnung anstelle der strengeren einzelbetrieblichen Kontingentierung eine Rückkehr zu einem flexibel ausgestalteten Genossenschaftskontingent. Dagegen lehnte es der Bundesrat erneut ab, den vom Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten (ZVSM) beantragten Bonus für nicht ausgeschöpfte Kontingente einzuführen
[30]. Die erklärte Hoffnung Bundesrat Honeggers, mit diesen Erleichterungen die Situation in der Berglandwirtschaft wieder zu beruhigen, erwies sich trotz bleibender Vorbehalte weitgehend als berechtigt
[31]. Grundsätzlichere Kritiker aus dem nichtlandwirtschaftlichen Lager bewerteten die Kontingentierungspolitik freilich als schlechtes Beispiel staatlicher Intervention, wobei sie auf das ständige Nachgeben einerseits und die stetig wachsenden Milchverwertungskosten anderseits hinwiesen
[32].
In Anbetracht der anhaltenden Überproduktionstendenzen mehrten sich die Stimmen, die
wirksamere Massnahmen zur Produktionsbeschränkung und -lenkung verlangten. Die entsprechenden Ziele der Revision des Landwirtschaftsgesetzes von 1979 (Art.19) seien jedenfalls nicht erreicht worden. Mit den dort vorgesehenen, strukturlenkenden Eingriffen wie Höchsttierbeständen, Stillegungsbeiträgen, Stallbaubewilligungen sowie mit dem finanziellen Ausgleichssystem sei innert nützlicher Frist die gewünschte Umlagerung der Mast von den Grossbetrieben auf Mittel- und Kleinbetriebe gar nicht zu realisieren
[33]. Gegen diese Kritik wandten sich die Bundesbehörden. Finanzielle Engpässe und administrative Probleme hätten bisher den vollumfänglichen Einsatz des vorgesehenen Instrumentariums verhindert. Erste Erfolge der jüngsten Gesetzesrevision liessen sich aber insbesondere beim Abbau der Viehbestände nachweisen. Vor neuen Interventionen wolle man zunächst abwarten, was die erwähnten Massnahmen einbrächten
[34]. Weitgehend mit derselben Begründung und ohne Gegenvorschlag lehnte der Bundesrat auch das Volksbegehren «gegen übermässige Futtermittelimporte und Tierfabriken sowie für bestmögliche Nutzung des einheimischen Bodens» ab. Die von den Bauernverbänden bereits 1978 eingereichte Futtermittelinitiative zielt auf eine Eindämmung der Überschussproduktion unter gleichzeitiger Begünstigung der aufstockungswürdigen bäuerlichen Klein- und Mittelbetriebe mit hofeigener Futterbasis. Hiezu sind schärfere
Importbeschränkungen für Futtermittel und eine zweckmässige Neuzuteilung der Futtermittelkontingente vorgesehen. Obschon mit der Zielsetzung der Initianten prinzipiell einig, hielt der Bundesrat die vorgeschlagenen Massnahmen für unnötig und zu dirigistisch. Unliebsame Auswirkungen auf die Fleischpreise wären ausserdem unvermeidlich
[35]. Dass sich die Bauernorganisationen von der parlamentarischen Beratung trotzdem noch weitergehende Zugeständnisse erhoffen, bewies ihr Entschluss, einstweilen an ihrer Initiative festzuhalten
[36]. In einem Entwurf zu einem Bundesgesetz über die schweizerische Genossenschaft für Getreide und Futtermittel (GGF) beantragte der Bundesrat vor allem Anderungen wettbewerbspolitischer Art. An der bisherigen Globalkontingentierung der Futtermitteleinfuhr wird zwar festgehalten, doch sollen Neubewerber im Sinne der Reformvorschläge der Kartellkommission bei der Kontingentszuteilung besser berücksichtigt werden
[37].
Eine immer breitere Öffentlichkeit zeigt sich an der Herstellung gesunder Nahrungsmittel und an
tier- und umweltgerechten landwirtschaftlichen Produktionsmethoden interessiert
[38]. Nach der im Vorjahr bekannt gewordenen missbräuchlichen Verwendung von Hormonen bei der Kälbermast führten weitere Meldungen über unerwünschte oder schädliche Zusätze und Rückstände in agrarischen Erzeugnissen zu Kritik und Kontroversen (z.B. Perchloräthylen-Rückstände in der Milch, in Milchprodukten, Eiern, Geflügel und Schweinefleisch). Die einen bemängelten, dass die den Kantonen übertragene Lebensmittelkontrolle zu wenig effizient arbeite und keine Garantie gegen gesundheitsschädliche Rückstände in Lebensmitteln biete. Andere wandten sich dagegen, dass manbereits wegen kleinster Mengen von Fremdsubstanzen von gesundheitlichen Gefahren rede und damit zur weiteren Verunsicherung Anlass gebe
[39]. Der Bundesrat zog erste Konsequenzen aus den verschiedenen «Affären» im Lebensmittelbereich, was die Diskussion sichtlich versachlichte. Zum einen wurden die Kantone angewiesen, die Kontrollen zu verschärfen, worauf die künstlichen Hormone im Verlauf des Jahres — nach Stichproben zu schliessen — aus der Tiermast verschwanden
[40]. Zum andern soll eine kurzfristige Teilrevision der Lebensmittelverordnung den Konsumenten besser vor gesundheitsgefährdenden Stoffen schützen. Verwendete Fremdstoffe sind künftig dem Bundesamt für Gesundheitswesen zur Beurteilung vorzulegen
[41]. Weiter wurde die Expertenkommission, die sich mit der Totalrevision des Lebensmittelgesetzes befasst, mit der Ausarbeitung einer zusätzlichen Variante beauftragt; nach dieser soll auf die vielkritisierte Zweigleisigkeit bei Lebensmittelkontrolle und Fleischschau verzichtet und die letztere von den Tierärzten auf die Kantonschemiker übertragen werden
[42]. Die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission (GPK), die im Vorjahr zu Abklärungen im Zusammenhang mit der «Hormonaffäre» aufgefordert worden war, erachtete in ihrem Bericht namentlich die Information der Öffentlichkeit als verbesserungswürdig
[43].
Der Trend zur industriellen Nutztierhaltung und zu immer rationelleren Aufzuchtmethoden gerät zunehmend auch mit tierschützerischen Anliegen in Konflikt
[44]. Beispielhaft zeigt sich dies bei der Ausarbeitung der neuen
Tierschutzverordnung, um die es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Schutzgedanken und wirtschaftlichen Interessen kam. Hauptstreitpunkte bildeten die Nutztierhaltung und die Tierversuche
[45]. Der Bundesrat entschied sich schliesslich für eine «mittlere Lösung». So sind Tierversuche weiterhin möglich, doch werden sie beschränkt. Die bisher übliche Käfighaltung von Hühnern wird verboten, allerdings erst ab 1992
[46]. Obschon gegenüber früheren Entwürfen zurückhaltender, gingen die beschlossenen Regelungen den bäuerlichen Organisationen immer noch zu weit
[47]. Überhaupt nicht zufrieden mit dem Erreichten zeigten sich die Vertreter der Tierschutzkreise. Mit Eingaben und parlamentarischen Vorstössen will deshalb ein Aktionskomitee weitere Verbesserungen der Verordnung durchsetzen
[48]. Erste Erfolge buchte eine Gruppe um Franz Weber, dessen Volksbegehren «gegen die Vivisektion» bereits drei Monate vor Ablauf der Sammelfrist eingereicht werden konnte
[49].
[29] Vgl. die Interpellationen Cavelty (cvp, GR), Crevoisier (psa, BE) und Bühler (svp, GR) in Amtl. Bull. StR, 1981, S.18 ff. u. Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1350 ff. ; zu einer zurückgezogenen Motion Bühler vgl. ebenda, S. 1698 ff. Vgl. ferner Bund, 10, 14.1.81; TLM, 25.1.81; 51, 20.2.81; 24 Heures, 22, 28.1.81; 24, 30.1.81; NZZ, 48, 27.2.81; 65, 19.3.81 sowie SPJ, 1980, S. 85 f.
[30] Presse vom 9. u. 16.4.81. Ausgangsbasis für das Berggebiet bildet ein im Vergleich zu 1977 um 18 % höheres Kontingent, das nun für 1981-82 nochmals um rund 8% aufgestockt werden kann. Zur Eingabe des ZVSM vgl. NZZ, 52, 4.3.81. Bereits im Herbst erfolgten erneut Änderungen, die namentlich beim Milchkontingent für die Alpwirtschaft Erleichterungen brachten (AS, 1981, S. 1697 f.; vgl. auch Presse vom 22.10.81).
[31] NZZ, 93, 23.4.81; TLM, 113, 23.4.81.
[32] TA, 89, 16.4.81; BaZ, 90, 16.4.81; TW, 90, 18.4.81. Vgl. ferner Ww, 17, 22.4.81.
[33] NZZ, 48, 27.2.81; SGT, 63, 17.3.81. Vgl. auch parlamentarische Vorstösse zur Viehabsatzförderung aus dem Berggebiet in Amtl. Bull. NR, 1981, S. 650 u. 1688 ff. (überwiesenes Postulat Kühne, cvp, SG u. abgelehnte Motion Reichling, svp, ZH; vgl. auch SPJ, 1980, S. 85). Zur Fleischproduktionslenkung vgl. Amtl. Bull. StR, 1981, S. 13 ff. (als Postulat überwiesene NR-Motion Räz, svp, BE und überwiesenes Postulat Zumbühl, cvp, NW ; vgl. auch SPJ, 1980, S. 86). Zur Revision des Landwirtschaftsgesetzes vgl. SPJ, 1979, S. 95 f. ; über Umgehungen des Landwirtschaftsgesetzes vgl. BaZ, 225, 26.9.81; Woche, 14, 11.12.81.
[34] Vgl. die Antworten des BR auf die in Anm. 33 erwähnten parlamentarischen Vorstösse sowie NZZ, 237, 13.10.81.
[35] BBl, 1981, III, S. 542 ff.; vgl. ferner Presse vom 20.8. u. 7.11.81. Vgl. auch SPJ, 1978, S. 86; 1980, S. 86.
[36] NZZ, 193, 22.8.81; 246, 23.10.81. Vgl. auch wf, Dok., 34, 24.8.81; Woche, 4, 2.10.81.
[37] BBl, 1982, I, S. 101 ff.; vgl. auch eine überwiesene StR-Motion Dreyer, cvp, FR (Amtl. Bull. NR, 1981, S. 486) sowie SPJ, 1980, S. 86.
[38] Bund, 80, 6.4.81; TA, 110, 14.5.81; SZ, 116, 20.5.81; TW, 173, 28.7.81; NZZ, 190, 19.8.81.
[39] 24 Heures, 11, 15.1.81; Presse vom 3.3.81; Blick, 52, 4.3.81; NZZ, 58, 11.3.81; Suisse, 115, 25.4.81; BaZ, 212, 11.9.81. Vgl. auch eine als Postulat überwiesene Motion Christinat (sp, GE) für ein Einfuhrverbot für Hormone (Amtl. Bull. NR, 1981, S. 894 f.) und eine überwiesene NR-Motion Dürr (cvp, SG) insbesondere für eine wirksamere Kontrolle der Beimischung von Medikamenten in Futtermitteln (Amtl. Bull. StR, 1981, S. 10 f.; vgl. SPJ, 1980, S. 86 f.).
[40] Kontrollen : Presse vom 1.9.81. Stichproben : Suisse, 120, 30.4.81; Vat., 99, 30.4.81; Presse vom 4.11.81.
[41] AS, 1981, S. 1364 ff.; Presse vom 20.8.81. Vgl. auch Bund, 96, 27.4.81; NZZ, 298, 23.12.81.
[42] TA, 86, 13.4.81; 87, 14.4.81; Bund, 87, 14.4.81; NZZ, 87, 14.4.81.
[43] BBl, 1981, III, S. 996 ff. ; Presse vom 4.12.81. Vgl. SPJ, 1980, S. 87.
[44] Zu einer unternehmensinternen Initiative oppositioneller Migros-Genossenschafter (Migros-Frühling) gegen den Verkauf von Produkten aus industrieller Tierhaltung vgl. oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).
[45] NZZ, 39, 17.2.81; 107, 11.5.81; Vat., 71, 26.3.81; BaZ, 86, 11.4.81. Vgl. auch SPJ, 1980, S. 87 f.
[46] AS, 1981, S. 572 ff.; Presse vom 29.5.81. Zum ebenfalls auf den 1.7.1981 in Kraft gesetzten Tierschutzgesetz von 1978 vgl. AS, 1981, S. 562 ff. und SPJ, 1978, S. 87.
[47] NZZ, 122, 29.5.81; TA, 122, 29.5.81; IBZ, 26, 25.6.81.
[48] NZZ, 163, 17.7.81; 165, 20.7.81; BaZ, 240, 14.10.81; 24 Heures, 294, 18.12.81. Vgl. auch eine Interpellation und ein Postulat Kunz, fdp, BE (Amtl. Bull. NR, 1981, S. 655 f. bzw. Verhandl. B. vers., 1981, IV, S. 54). Vgl. ferner JdG, 88, 15.4.81 u. TA, 149, 1.7.81 (Tierschutz-Petition).
[49] BBl, 1981, III, S. 391 ff. (151 965 gültige Unterschriften) ; Presse vom 18.9.81. Vgl. auch CdT, 233, 12.10.81; 24 Heures, 241, 17.10.81 (F. Weber) sowie SPJ, 1980, S. 87.
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