Année politique Suisse 1981 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Bildungspolitik
Der Wandel der Bildungspolitik wurde durch die Veröffentlichung statistischen Datenmaterials dokumentiert und gab zu einigen rückblickenden Betrachtungen Anlass. Seit 1974 ist der Anteil der Bildungsausgaben an den Gesamtaufwendungen der öffentlichen Hand rückläufig [1]. Der neoliberale Trend gegen zentralstaatliche Intervention, der in den Bemühungen um eine Entflechtung der Aufgaben von Bund und Kantonen und im Abbau der Bundessubventionen zum Ausdruck kommt, hat dazu geführt, dass das Bildungswesen vermehrt auf den Kantonen lastet. Die eigentliche Bewährung des Konzepts des kooperativen Föderalismus bei der Aufgabenneuverteilung im Bundesstaat steht aber noch aus, wenn auch schon einige Erfolge — wie etwa die interkantonale Vereinbarung über Hochschulbeiträge — verbucht werden können. Die Schulkoordination dagegen, integraler Bestandteil dieses Konzepts, geht so langsam vor sich, dass eine Tendenz zu zentralstaatlicher Regelung weiterbesteht [2].
Der Glaube an die Behebung gesellschaftlicher Mängel durch die Bildung und an die Erziehung des idealen Menschen ist in den 70er Jahren zusehends verblasst. Im Gegenzug ist die Reformpädagogik für neue gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht worden. Anstelle des schülerorientierten Postulates der Chancengleichheit ist die wirtschaftsfreundlichere Maxime der Chancenvielfalt getreten. Der St. Galler Regierungsrat Rüesch, Präsident der Ostschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, vertrat die Meinung, erste Forderung an das Bildungssystem sei die Befähigung der Schüler zu einer möglichst grossen Mobilität. Als weiteres Anliegen nannte er die Neubelebung der Grundwerte wie Fleiss, Pünktlichkeit, Wahrheitsliebe und Treue, die im Zeitalter der emanzipatorischen und antiautoritären Welle allzuleicht über Bord geworfen worden seien. Eine solche Äusserung kann wohl als Reaktion auf den Druck zum Abbau der «Leistungsschule» verstanden werden [3].
Es liegt auch im antistaatlichen Trend, der nach der Erschütterung des sozialstaatlichen Politikmodells durch den Kriseneinbruch Mitte der 70er Jahre aufgekommen ist, dass vermehrt ein Wettbewerb zwischen einzelnen Bildungsinstitutionen gefordert wird. Die freie Konkurrenz zwischen Staats- und Privatschulen soll nach diesen Vorstellungen durch eine gleichmässige Verteilung der staatlichen Subventionen garantiert werden. In diesem Zusammenhang wurde auch die Reprivatisierung gewisser Bildungsinstitutionen zur Diskussion gestellt.
Seit 1964 sind die Geburten stetig zurückgegangen. Dadurch hat die Ausbauphase der Primarschulen ihr Ende gefunden; einzelne Mittelschulen mussten jedoch im Berichtsjahr ihre Kapazität noch leicht erweitern. Der Andrang der geburtenstarken Jahrgänge an die Universitäten scheint weniger eigentliche Reformimpulse auszulösen als vielmehr in Richtung auf eine straffere Strukturierung der Organisation und auf eine vermehrte Beachtung der Effizienz des Lehrbetriebs zu wirken [4]. Auf allen Bildungsstufen wurden die hohen Reformziele etwas zurückgesteckt. Die Bestrebungen endeten, sofern sie in legislative Prozesse mündeten, in Anpassungen der Gesetze an die jeweils bestehenden kantonalen Schulverhältnisse. Während vor einem Jahrzehnt vom quantitativen Ausbau der Bildungsinstitutionen Reformimpulse ausgegangen waren, stehen heute unter veränderten konjunkturellen und politischen Verhältnissen Massnahmen zur Bewältigung von Kapazitätsproblemen im Vordergrund.
Ebenfalls ins Bild des erlahmenden Reformeifers gehört das Ende der Gewerkschaft Kultur, Erziehung, Wissenschaft (GKEW). Diese aus der 68er Bewegung entstandene Organisation hatte zehn Jahre lang versucht, alternative gewerkschaftliche Politik im Bildungsbereich zu betreiben. Die gesamtschweizerisch nie mehr als 500 Mitglieder zählende Organisation ging — z.T. auch als Folge einer Strategie der gewerkschaftlichen Doppelmitgliedschaft — im VPOD auf [5].
 
[1] Bundesamt für Statistik, Hochschulen und Bildung im Überblick, Bern 1981, S. 83.
[2] SGT, 7, 10.1.81.
[3] E. Rüesch, «Bildungspolitik zwischen gestern und morgen », in NZZ, 152, 4.7.81.
[4] Bundesamt für Statistik, Hochschulen und Bildung im Überblick, Bern 1981, S. 9 f. Ausbau der Mittelschulen : NZZ, 135, 15.6.81; 224, 28.9.81.
[5] PZ, 24, 25.6.81.