Année politique Suisse 1981 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Berufsbildung
Die Jugendunruhen gingen an den Mittelschulen nicht ganz spurlos vorbei. Ende 1980 wurde in Zürich eine Schülergewerkschaft gegründet, die in einer Charta eine «allgemeine Demokratisierung des Schulwesens» fordert. Unmittelbarer Anlass zur Gründung war die Ablehnung einer Weiterbeschäftigung dreier Lehrbeauftragter an der Kantonsschule Wiedikon gewesen. Am Ende des Jahres veröffentlichte die etwa 500 Schüler umfassende Organisation ein Schwarzbuch über Repressionsfälle an Zürcher Mittelschulen [15].
Der Bereich der Berufsbildung war auch im vergangenen Jahr geprägt durch die Auseinandersetzungen um den Vollzug des auf Anfang 1980 in Kraft getretenen Berufsbildungsgesetzes. Während die bürgerlichen Kräfte mit der bisherigen Entwicklung weitgehend zufrieden waren, sprach der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) von einer «kläglichen Bilanz». Das vom BIGA erlassene Mindestprogramm zur Lehrmeisterausbildung sei durch Gewerbekreise stark reduziert worden, gegen die obligatorischen externen Einführungskurse leisteten die Unternehmer Widerstand und das Freifächerangebot entspreche nicht den ursprünglichen Vorstellungen. Missbräuche im Bereich der Anlehre seien hingegen dank dem Druck der Gewerkschaften weitgehend ausgeblieben [16].
Im Frühling wurde eine ursprünglich vom Schweizerischen Gewerbeverband angeregte, dann aber von der öffentlichen Hand finanzierte Studie über die Qualität der Ausbildung von Lehrlingen publiziert. Die Untersuchung förderte auch einige dunkle Stellen ans Licht der Öffentlichkeit. Im Zentrum stand die Kritik an überlangen Arbeitszeiten und häufigen ausbildungsfremden Arbeiten in gewissen Berufen. Ferner wurden einige klare Verstösse gegen vertragliche und gesetzliche Ausbildungsvorschriften publik. Aufgewisse Mängel im Berufswahlsystem lässt die Tatsache, dass mehr als ein Drittel aller gewerblichen und industriellen Lehrlinge nicht mehr den gleichen Beruf erlernen würden, schliessen [17].
Nach Ansicht des BIGA war der Lehrstellenmarkt im Jahre 1981 im Vergleich zu den vergangenen zwei bis drei Jahren wesentlich entspannt. Aber immer noch standen eine recht grosse Zahl Schulentlassener einem zeitweise ausgetrockneten Lehrstellenangebot gegenüber. Betroffen waren vor allem Mädchen, schwächere Schüler, Ausländerkinder und Schüler aus wirtschaftlichen Randgebieten [18]. Als einen möglichen Lösungsvorschlag zur Überwindung dieser Schwierigkeiten wollte die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) eine von ihr lancierte eidgenössische Initiative verstanden wissen, nach der ein Recht auf vollwertige Berufsbildung gewährleistet und die Lücken im Lehrstellenangebot von den Kantonen ausgefüllt werden sollen. Entsprechende Vorstösse auf kantonaler Ebene sind bisher auf weitgehende Ablehnung gestossen. Der SGB, in dessen Programm die Einrichtung öffentlicher Lehrwerkstätten zur Ergänzung der privaten Ausbildungsplätze schon lange figuriert, wandte sich gegen die Initiative. Offensichtlich nicht gewillt, sich von der SAP ins Schlepptau nehmen zu lassen, warf er dieser übergrosse Staatsgläubigkeit vor und forderte im Gegenzug die Unterstellung der Lehrlinge unter die Gesamtarbeitsverträge [19]. Die Sozialdemokratische Partei, deren Unterorganisationen sich z.T. für die Lehrwerkstättenidee engagierten, versuchte ihrerseits, durch bundesrechtliche Regelungen die Situation der Lehrlinge und der jugendlichen Arbeitnehmer zu verbessern. Im Ständerat wurden Teile einer Motion Miville (sp, BS), die die Anrechnung des gesamten Berufsschulunterrichts an die Arbeitszeit forderte, als Postulat überwiesen [20]. In der Volkskammer drang eine Motion Bircher (sp, AG), die den Anspruch der minderjährigen Lehrlinge und jugendlichen Arbeitnehmer auf fünf Wochen Ferien in den obligationenrechtlichen Bestimmungen verankern wollte, als Postulat durch. In einer Interpellation übte Bircher ferner Kritik an der Sparpolifik im Bereich der Berufsbildung und forderte die Anwendung der Härteklausel für finanzschwache Kantone [21].
 
[15] TA, 34, 11.2.81; BaZ, 61, 13.3.81; LNN, 65, 19.3.81; Vr, 111, 11.6.81; 235, 3.12.81.
[16] SGB, 15, 16.4.81; TW, 92, 22.4.81; Bund, 189, 15.8.81; Woche, 6, 16.10.81; SGT, 273, 21.11.81.
[17] Schweizer Lehrlinge zwischen Ausbildung und Produktion, Muri-Bern 1981; LNN, 98, 29.4.81; NZZ, 99, 30.4.81. Von sozialdemokratischer Seite wurde kritisiert, dass die Studie anlässlich der Delegiertenversammlung des Gewerbeverbandes vorgestellt wurde und dass nur ausgewählte Journalisten zur Pressekonferenz eingeladen wurden (Einfache Anfrage Renschler, sp, ZH: Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1402). Eine Studie über die Lehrlingsausbildung im Oberwallis zeigte die prekäre Situation in wirtschaftlichen Randgebieten (BaZ, 209, 8.9.81).
[18] BaZ, 29, 4.2.81; NZZ, 82, 8.4.81. In der Presse war die Rede von der Gefahr, dass die zweite Ausländergeneration zur Hilfsarbeitergeneration herangezüchtet werde (BaZ, 119, 23.5.81; 210, 9.9.81; NZZ, 217, 19.9.81; vgl. SPJ, 1980, S. 137).
[19] Bresche, 173, 2.2.81; TLM, 34, 3.2.81; Presse vom 18.2.81. Gewerkschaftliche Stellungnahme zur SAP-Initiative: SGB, 7, 19.2.81 (V. Moser). Kritik des Initiativkomitees an der gewerkschaftlichen Stellungnahme : Vr, 46, 6.3.81; vgl. SPJ, 1979, 5.154.
[20] Amtl. Bull. StR, 1981, S. 251f.
[21] Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1314 f., 1371f.; Vr, 129, 7.7.81. Im Bereich der Berufsbildung wurde ferner ein Fortbildungslehrgang für administrativ tätige Beamte gefordert (Postulat Renschler, sp, ZH : Amtl. Bull. NR, 1981, S. 817) und die Botschaft über den Neubau des Schweiz. Instituts für Berufspädagogik veröffentlicht (BBI, 1981, III, 5.149 ff.).