Année politique Suisse 1982 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
Arbeitnehmer
Spannungen traten erneut auch bei den Organisationen der Arbeitnehmer auf
[25]. So ebenfalls im Zusammenhang mit der
Wahl eines neuen Präsidenten des SGB zum Nachfolger von Nationalrat R. Müller, der aus Altersgründen auf die Bewerbung für eine weitere Amtsperiode verzichtete. Der SGB-Vorstand optierte nach längerem Seilziehen mit Dreiviertelmehrheit für die Kandidatur des Berner SP-Nationalrates
F. Reimann
[26]. Widerstand gegen den Präsidenten des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeitnehmer-Verbandes (SMUV) regte sich namentlich seitens welscher Gewerkschafter. Diese hatten gehofft, dass mit dem Präsidenten des Schweizerischen Eisenbahner-Verbandes (SEV), J. Clivaz, nach mehr als hundertjähriger Verbandsgeschichte zum ersten Mal ein Vertreter der französischen Schweiz zum Zug komme. Clivaz selber unterstrich zwar am Kongress in Lausanne den Anspruch der Romandie auf das höchste Gewerkschaftsamt deutlich, zog aber nach Absprache mit dem SEV im letzten Moment seine Kandidatur zurück. Angesichts einer Periode wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten lehne er es ab, die Einheit im SGB aufs Spiel zu setzen. Die Delegierten sprachen sich daraufhin ziemlich klar für die Wahl des Deutschschweizers aus. Gegenstimmen und Stimmenhaltungen kamen indessen nicht nur aus den Reihen der Westschweizer, sondern ebenfalls von progressiven Branchenwerkschaften einerseits, von den Organisationen des öffentlichen Personals anderseits. Der neue SGB-Präsident stellte in seiner Antrittsrede die Existenz eines sprachlichen «Grabens» als Legende in Abrede und unterstrich im übrigen mit integrativen Formulierungen die Koordinationsaufgabe des Spitzenverbandes, der die Ziele der Einzelgewerkschaften zu einer einheitlichen Stossrichtung zu bündeln habe. Dabei wies er den Verzicht auf vollen Teuerungsausgleich als unhaltbare Forderung entschieden zurück und rückte neben Demokratisierung und Humanisierung der Arbeitswelt den Kampf um die Erhaltung der Vollbeschäftigung und der Arbeitsplätze in den Vordergrund
[27]. Erstmals und zudem einstimmig wählten dafür die Delegierten des VPOD ein welsches Mitglied an ihre Spitze. Bei der Nachfolgerin für die zurücktretende R. Schärer handelte es sich in der Person der Genfer Rechtsanwältin C. Brunner erneut um eine Frau, die aber im Unterschied zu ihrer Vorgängerin eher dem militanten Flügel ,des .Verbandes zugerechnet wird
[28].
Demonstrierte man beim VPOD trotz divergierender Standpunkte Einigkeit, so spitzten sich die
Gegensätze innerhalb der
Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) weiter zu. Den Hintergrund der heftigen Richtungskämpfe bilden die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des kämpferischen Präsidenten der Zürcher Sektion und gesamtschweizerischen Vizepräsidenten, F. Aeberli, auf der einen, dem gemässigten Lager um den Verbandspräsidenten E. Gerster auf der anderen Seite. Dass eine Einigung schwieriger denn je geworden ist, zeigte sich, als das für die Wahl des Vizepräsidenten massgebliche Zentralkomitee entgegen einer Empfehlung der Delegiertenversammlung entschied, Aeberli in seinem Amt nicht mehr zu bestätigen, da dieser sich in ständiger Opposition zur Verbandsspitze befinde
[29]. Wesentlich mehr Staub wirbelte der Konflikt aber auf, als der von der Geschäftsleitung ausgeschlossene Gewerkschaftsführer im Zusammenhang mit einer bereits im Mai 1981 bekannt gewordenen Wahlfälschung bei der damaligen GDP-Präsidentenwahl mehr als ein Jahr später festgenommen und von den zuständigen Untersuchungsbehörden eine Woche lang in Haft gehalten wurde. Die Begründung der Justizbehörde lautete auf Kollusionsgefahr (Verdunkelungsgefahr)
[30]. Der Fall entwickelte sich zu einer Art Kriminalgroteske, als sich ein Unbekannter in einem «Bekennerbrief» dafür verantwortlich erklärte, im Mai 1981 in absichtlich plumper und auffälliger Weise 750 Wahlzettel auf den Namen Aeberlis gefälscht zu haben, um durch die zu erwartende Aufdeckung des Unterfangens diesem «Linksextremisten» einen Denkzettel zu verabreichen und dessen Wahl zum GDP-Präsidenten zu verunmöglichen
[31]. Die Verhaftung löste scharfe Proteste der Gewerkschaften und der Linksparteien aus. Der SGB sprach von einer «unangemessenen und willkürlichen» Massnahme, mit der man offensichtlich einen unbequemen Gewerkschafter habe ausschalten wollen. Die polizeiliche Abklärung der Wahlfälschungsaffäre war Ende Jahr immer noch im Gang
[32].
Interessengegensätze anderer Art förderten die Bestrebungen der Gewerkschaften zutage, sich angesichts der Umschichtungsprozesse in der Arbeitnehmerschaft und der technisch-organisatorischen Umstrukturierung (insbesondere in Richtung Mikroelektronik) vermehrt den
Angestellten und dem Dienstleistungsbereich zuzuwenden
[33]. Zur Förderung des einheitlichen Zusammenschlusses der Arbeitnehmer in sogenannten Industriegewerkschaften organisierte der SGB erstmals eine Angestelltenkonferenz
[34]. Die Reaktion der traditionellen Angestelltenorganisationen fiel ziemlich heftig aus und signalisierte deutlich Distanz zu derartigen Integrations- und «Nivellierungstendenzen»
[35]. Vornehmlich um die Regionalverbände und die unterschiedlichen Mitgliederkategorien aufzuwerten, änderten mehrere Gewerkschaften ihre Statuten
[36]. Den stark verschuldeten Verband evangelischer Arbeitnehmer zwangen die Existenzsorgen nach einer misslungenen Rettungsaktion gar zum Anschluss beim «grossen Bruder», dem katholisch orientierten Christlichnationalen Gewerkschaftsbund
[37].
[25] Zu den Gewerkschaften allgemein vgl. die Reports in BaZ, 221, 222, 226, 228, 233, 235, 238, 239, 22.9.-13.10.82; Ww, 40, 6.10.82. Vgl. überdies Documenta, 1982, Nr. 4, S. 5 f. (BR Chevallaz). Zur Gewerkschaftsgeschichte vgl. Camera e Segretariato del Lavoro del Canton Ticino, Camera del lavoro 1902-1982, Lugano 1982.
[26] Der ebenfalls im Gespräch gewesene VPOD-Sekretär W. Renschler (sp, ZH) verzichtete auf eine Kandidatur. Vgl. TA, 87, 16.4.82; 193, 21.8.82; 197, 26.8.82; TLM, 108, 18.4.82; 273, 30.9.82; 24 Heures, 196, 24.8.82.
[27] Wahl: Reimann wurde mit 145:26 Stimmen bei 53 Enthaltungen gewählt; vgl. Presse vom 18.10.82. Antrittsrede: Gewerkschaftl. Rundschau, 74/1982, S. 298-306.
[28] Suisse, 178, 27.6.82; Presse vom 28.6.82. Vgl. ebenfalls TA, 145, 26.6.82; Ww, 27, 7.7.82.
[29] TA, 13, 18.1.82; Presse vom 19.1.82.
[30] Presse vom 10., 13. und 15.7.82; vgl. auch SPJ, 1981, S. 211.
[31] Presse vom 16.7.82. Vgl. auch Sonntags-Blick, 29, 18.7.82 (Interview mit Aeberli) und Woche, 30, 29.7.82.
[32] TA, 158, 12.7.82; TW, 159, 12.7.82; NZZ, 159, 13.7.82; Vr, 133, 13.7.82; VO, 29, 22.7.82.
[33] Vgl. NZZ, 4, 7.1.82; Vat., 112, 15.5.82 (G. Casetti). Zur Entwicklung der Mikroelektronik siehe auch Werkmeister, 88/1982, S. 179 ff.; Gewerkschaftl. Rundschau, 74/1982, S. 6-14 sowie SPJ, 1979, S. 202; 1981, S. 211. Zu einem Weissbuch des SMUV zur Mikroelektronik vgl. SGB, 18, 27.5.82; Presse vom 26.5.82.
[34] NZZ, 230, 4.10.82; TW, 231, 4.10.82; TA, 231, 5.10.82; SGB, 30, 7.10.82.
[35] NZZ, 143, 24.6.82; 244, 20.10.82; BaZ, 270, 18.11.82.
[36] Zur Änderungen beim SGB vgl. BaZ, 131, 9.6.82; TW, 170, 24.7.82; Presse vom 18.10.82; vgl. auch SPJ, 1975, S.182; 1978, 5.180; 1981, 5.211. Gewerkschaft Textil, Chemie Papier: TA, 235, 9.10.82; Presse vom 11.10.82. VPOD: NZZ, 143, 24.6.82; Presse vom 25.6.82.
[37] Rettungsaktion: TA, 33, 9.2.82; Bund, 102, 4.5.82. Anschluss: Presse vom 11.5. und 6.9.82; AT, 212, 11.9.82; Suisse, 254, 11.9.82. Zur CNG-Geschichte vgl. Christlichnationaler Gewerkschaftsbund, 75 Jahre CNG, Bern 1982.
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