Année politique Suisse 1982 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
 
Öffentliche Ordnung
Auch 1982 wurde die öffentliche Ordnung wieder öfters gestört, wobei ganz verschiedene Täterkreise mit ungleichen Motiven am Werke waren. Wie in den Vorjahren wollten Armenier durch Anschläge auf Probleme ihres Volkes aufmerksam machen und gegen die Haft eines Landsmannes in einem Genfer Gefängnis protestieren [9]. Besonderes Aufsehen erregte anfangs September eine kleine Gruppe bewaffneter Exilpolen, als sie die polnische Botschaft in Bern überfiel und neun Angehörige des Personals gefangenhielt. Die Geiselnahme fand nach drei Tagen ein Ende durch einen sorgfältig geplanten und präzis durchgeführten Handstreich der Berner Polizei, welche dafür bei Behörden, Presse und Publikum Beifall und Sympathien erntete. Die Schweiz hatte für ihre Gegenmassnahmen Hilfe aus dem Ausland abgelehnt, ebenso eine Auslieferung der Täter an Polen [10].
Nicht alle terroristischen Unternehmen in der Schweiz gingen auf Landesfremde zurück. Vermutlich waren es eher Einheimische, welche in Mühleberg bei Bern und in Saxon (VS) Leitungsmasten sprengten und in Aproz (VS) ein grosses Lagerhaus der Migros anzündeten. Gerüchte vermuteten, die beiden letztgenannten Aktionen gingen auf Rachegefühle von Walliser Produzenten zurück, welche den Grossverteilern die Verantwortung für die tiefen Tomatenpreise zuschoben. Zwar fanden die Walliser Behörden keine Beweise für diese Hypothese, doch beschuldigte Migros-Chef Pierre Arnold sie, den Fall eher lässig untersucht zu haben [11]. Brandstifter zerstörten anfangs Oktober bei den Pilatus-Flugzeugwerken in Stans vier Flugzeuge und verursachten Schäden von rund 2 Mio Fr. Ein «Bekennerbrief» bezeichnete das Attentat als Protest gegen die Lieferung von Pilatus PC-7-Maschinen nach Guatemala. Diese würden dort mit Waffen versehen und gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt [12].
National- und Ständerat entsprachen beide einstimmig dem Antrag des Bundesrates, die Schweiz möge das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom Jahre 1977 ratifizieren. Es soll die grenzübergreifende Bekämpfung von Verbrechen und besonders die Auslieferung international Gesuchter erleichtern. Schon auf Grund des bisher geltenden Rechtes entschied das Bundesgericht, die in der Schweiz inhaftierte deutsche Terroristin Gabriele Kröcher dürfe für die Durchführung eines Prozesses vorübergehend an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert werden. Dagegen entkam der steckbrieflich ausgeschriebene Lopez Rega, mutmasslicher Führer einer rechtsradikalen Terrororganisation in Argentinien. Behauptungen, er lebe seit einiger Zeit am Genfersee, wurden vom EJPD dementiert. Erst 1983 zeigte es sich, dass diese Hinweise dennoch das Richtige getroffen hatten, doch war Lopez Rega inzwischen verschwunden [13].
Im September schickte der Bundesrat einen Vorentwurf für einen neuen Verfassungsartikel und ein Gesetz über den Waffenhandel in die Vernehmlassung. Diese Materie gehörte bisher dem kantonalen Recht an und wurde durch ein Konkordat von 1969 und kantonale Ausführungsbestimmungen zum Teil large geregelt. Der Vorentwurf dagegen verlangt sogar für den Erwerb von Gewehren einen Waffenschein, was scharfen Widerstand bei Jägern und Schützen hervorrief. Anderseits ertönte der Ruf nach strengeren Vorschriften lauter, als bekannt wurde, die Besetzer der polnischen Botschaft in Bern hätten sich ihre Waffen anscheinend ohne Mühe in der Schweiz beschafft [14].
Ohne Störungen der öffentlichen Ordnung verliefen Grossanlässe wie der Friedensmarsch an Ostern in der Region Basel oder die Beamtenkundgebung für Arbeitszeitverkürzung und für vollen Teuerungsausgleich am 27. November in Bern mit je rund 30 000 Teilnehmern [15]. Bei anderen Gelegenheiten kam es aber zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen meist jugendlichen Demonstranten und der Polizei, die mehrmals massiv eingriff, etwa im September vor dem geschlossenen Jugendzentrum in Bern. Sie nahm hier über 230 Personen fest und schloss sie während Stunden im Hof der Polizeikaserne ein, wo Tränengas versprüht wurde. Der Fall erregte besonderes Aufsehen, weil die Massnahmen unbeteiligte Passanten in grösserer Zahl trafen, und weil sich unter den Arretierten auch prominente Politiker befanden wie die FDP-Grossrätin Leni Robert [16].
Die Meinungen über die Verhältnismässigkeit solcher Einsätze gingen auseinander, ebenso über Verfahren und Urteile der «Krawalljustiz». In einem Buch von 260 Seiten warf der ehemalige Zürcher Bezirksanwalt Peter Schneider den Behörden Missbräuche bei Einvernahmen, Einschüchterung von Entlastungszeugen und ähnliches vor, wobei er seine Behauptungen auf Stellen aus Gerichsprotokollen und anderen Akten stützte. Der Zürcher Kantonsrat sah sich aber nicht veranlasst, die Anschuldigungen durch eine unabhängige Untersuchungskommission untersuchen zu lassen und wies eine entsprechende Motion ab [17]. Das Bundesgericht verhärtete seine Haltung gegenüber Demonstranten deutlich. Im März interpretierte es den Begriff des Landfriedensbruches derart weit, dass nun dafür auch bestraft werden kann, wer sich nicht rechtzeitig absetzt von einer Zusammenrottung, aus welcher heraus Gewalttätigkeiten verübt werden. Der Angeklagte braucht dabei nicht selber gewalttätig zu handeln. Ja, im Gegensatz zu früheren Urteilen wird nicht einmal mehr verlangt, dass er die Gewalttätigkeiten ausdrücklich oder stillschweigend billige. Dieser Entscheid forderte selbst bei prominenten Strafrechtslehrern scharfe Kritik heraus, und der Zürcher Professor Peter Noll sprach von einem faktischen Ausgehverbot in Zeiten der Unruhe, das hier durch die Hintertür eingeführt werde. Noch im gleichen Monat doppelten die Richter in Lausanne nach, indem sie den Begriff der Zusammenrottung neu auslegten. Eine solche liege bereits vor, wenn sich ein Haufen zusammenfinde «der nach aussen als eine vereinte Macht erscheint und von einer für die öffentliche Friedensordnung bedrohlichen Grundhaltung getragen wird». Für einen Schuldspruch genüge dann unter Umständen bereits «unmittelbar bloss drohende Anwendung von Gewalt» [18]. Das Bundesgericht zog also hier den Kreis der Mitverantwortlichen weit. In auffallendem Gegensatz dazu stand vor allem in Zürich eine Reihe von Freisprüchen nach der Regel «Im Zweifel für den Angeklagten». Sie betrafen Polizisten, welche Demonstranten misshandelt haben sollten. Selbst wo Körperverletzungen erkennbar waren, blieben fast immer über die Identität des Täters vereinzelte Zweifel bestehen, zum Teil deshalb, weil Polizisten als Zeugen wenig zum Finden der vollen Wahrheit beitrugen. Sogar die Neue Zürcher Zeitung rügte es bei einer solchen Gelegenheit als falschen Korpsgeist, wenn bei einem Beamten das Solidaritätsgefühl grösser sei als das Rechtsverständnis [19].
Um die verhärteten Fronten aufzuweichen und ein Zeichen der Versöhnung zu setzen, richteten kirchliche Jugendverbände das Gesuch an die eidgenössischen Räte, sie möchten alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen amnestieren, welche, im Zusammenhang mit Jugendunruhen in den grösseren Schweizer Städten verurteilt worden waren. Die Petitionskommission des Nationalrates beantragte mit 9:8 Stimmen Eintreten, wollte jedoch die Amnestie auf den Tatbestand des Landfriedensbruches beschränken und sie nur gewähren, wenn während der Amnestieperiode keine weiteren bundesrechtlichen Delikte begangen wurden. Doch selbst dieser stark abgeschwächte Vorschlag fand keine Gnade. Der Nationalrat lehnte ihn im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit am 14. Dezember mit 99:79 Stimmen ab, und der Ständerat folgte ihm noch am selben Tag mit 31: 8 Stimmen [20].
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Polizei
Die Erhöhung der Bestände von Polizeikorps setzte sich 1982 fort, so bei der Stadtpolizei Bern. Deren Kommandant, O.W. Christen, sah sich Vorwürfen gegen seine Amtsführung ausgesetzt. Eine Untersuchungskommission stellte dann fest, er habe zwar Dienstvorschriften verletzt, aber keine Straftaten begangen, so dass nur Disziplinarmassnahmen angezeigt gewesen wären. Christen kam ihnen jedoch durch seine Demission zuvor [21]. Die Genfer Bürger genehmigten am 26. September in einer Volksabstimmung deutlich die Verstärkung der Polizeikräfte und knapp ein Gesetz über die Vornahme von Identitätskontrollen, von welchem die Gegner Willkür und Schnüffelei befürchteten [22].
 
[9] Presse vom 14.-21.1.82. Vgl. SPJ, 1981, S. 16.
[10] Presse vom 7.9.82 bis Mitte September 1982.
[11] Mühleberg: Presse vom 26.2.82. Saxon: Presse vom 19. und 20.8.82. Aproz: Presse vom 22.-24.8.82. Kontroverse P. Arnold – Walliser Behörden: Lib., 13, 15.10.82; TLM, 288, 15.10.82; 24 Heures, 240, 15.10.82.
[12] Presse vom 4. und 5.10.82.
[13] BBl, 1982, II, S. 1 ff. Menschenrechtskonvention: Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1154 ff.; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 679 f. Auslieferung G. Kröcher: NZZ, 149, 1.7.82. Lopez Rega: 24 Heures, 276, 26.11.82 und 277, 28.11.82; 24 Heures, 45, 23.2.83 und 48, 26.2.83; TLM, 54, 23.2.83.
[14] Presse vom 17.9.82. Jäger und Schützen: NZZ, 218, 20.9.82; LNN, 220, 22.9.82. Waffen Botschaftsbesetzer: TA, 215, 16.9.82.
[15] Friedensmarsch: Presse vom 13.4.82. Beamtenkundgebung: Presse vom 28. und 29.11.82.
[16] Bund, 219-222, 20.-23.9.82 und 259, 5.11.82; TW, 219-221, 20.-22.9.82; Woche, 39, 30.9.82. Vgl. unten, Teil I, 7d (Jeunesse).
[17] Peter Schneider, Unrecht für Ruhe und Ordnung. Ein Lehrbuch, Zürich 1982. Pressestimmen zum Buch: Vr, 83, 30.4.82; NZZ, 198, 27.8.82; vgl. auch BaZ, 100, 30.4.82. Abgelehnte Motion: Vr, 213, 14.9.82.
[18] Presse vom 5.3.82 (Landfriedensbruch); Bund, 233, 6.10.82; 234, 7.10.82; vgl. vor allem Bund, 260, 6.11.82; 263, 10.11.82; TA, 58, 11.3.82 (P. Noll); BaZ, 117, 22.5.82 (G. Stratenwerth); NZZ, 79, 5.4.82. Zum Urteil über Gewalttätigkeit: Presse vom 23.3.82.
[19] Liste der Freisprüche: Woche, 32, 12.8.82; NZZ, 166, 21.7.82 und 264, 12.11.82.
[20] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1640 ff. und 1694 ff.; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 681 ff.; TA, 154, 7.7.82; NZZ, 163, 17.7.82.
[21] Bestandserhöhung: Bund, 10, 14.1.82; 192, 19.8.82; 211, 10.9.82. Fall Christen: Bund, 10, 14.1.82; 11, 15.1.82; 104, 6.5.82; Woche, 3, 22.1.82.
[22] JdG, 219, 21.9.82; 224, 27.9.82; Suisse, 263, 20.9.82.