Année politique Suisse 1982 : Economie / Politique économique générale
 
Wirtschaftsordnung
Die wirtschaftliche Abkühlung und die Sorgen um die Erhaltung von Arbeitsplätzen mögen mitverantwortlich gewesen sein, dass das bestehende Wirtschaftssystem weniger heftiger Kritik ausgesetzt war als in früheren Jahren. Grundsätzlich angelegte Konzepte zur Systemveränderung machten wieder einer vermehrt pragmatisch orientierten Betrachtungsweise Platz. Besonders deutlich kam diese Tendenz am Parteitag der Sozialdemokraten in Lugano zum Ausdruck, wo es darum ging, über ein neues Parteiprogramm zu beschliessen. Die vom linken Flügel in den Mittelpunkt gestellte Selbstverwaltungswirtschaft nach jugoslawischem Vorbild wurde nur noch als eines der potentiellen Instrumente zu der nach wie vor angestrebten Umgestaltung der Wirtschaftsordnung anerkannt. Daneben haben jedoch die herkömmlichen und weniger radikalen sozialdemokratischen Strategien wie etwa der Ausbau der Mitbestimmung oder die Vergrösserung der staatlichen Einflusssphäre ihre Bedeutung beibehalten [2]. Aber auch auf der andern Seite des politischen Spektrums macht es den Anschein, als ob sich die Einwände gegen das System der sozialen Marktwirtschaft, zu dessen Eigenschaften auch ein bestimmtes Ausmass wirtschaftlicher Potenz des Staates gehört, abgeschwächt hätten. In dem von den Freisinnigen vorgelegten Versuch einer Konkretisierung ihres Wahlslogans «Mehr Freiheit und Selbstverantwortung — weniger Staat» liegt der Hauptakzent nicht mehr auf der noch 1980 mit einer von 85 Nationalräten unterzeichneten Motion geforderten Privatisierung bisher von der öffentlichen Hand erfüllter Aufgaben, sondern eher auf einer gesteigerten Effektivitätskontrolle staatlichen Handelns. Möglichkeiten zur Privatisierung staatlicher Aufgaben werden nun vorwiegend im Bereich der von den Kantonen und Gemeinden erbrachten Dienstleistungen erblickt [3]. Zu dieser freundlicheren Beurteilung des Staates haben wahrscheinlich auch Untersuchungen beigetragen, welche darlegten, dass von einem andauernden Machtzuwachs der öffentlichen Hand seit einigen Jahren keine Rede mehr sein kann. Die Staatsquote und weitere Gradmesser für die staatliche Aktivität haben sich in der Zeit von 1976 bis 1980 zurückgebildet (die Staatsquote von 28,3 % auf 26,4%), und auch der Anteil der Bundesbeamten am Bevölkerungstotal ist seit 1960 stabil geblieben [4].
 
[2] Vgl. dazu die Presse vom 15.11.82 sowie unten, Teil III a (Sozialdemokratische Partei). Siehe ebenfalls SPJ, 1980, S. 56 und 1981, S. 56 f.
[3] Politische Rundschau, 60/1981, Nr. 4; TA, 72, 27.3.82. Siehe ebenfalls unten, Teil III a (Freisinnig-demokratische Partei) und SPJ, 1980, S. 56. Im Kanton Aargau beauftragte das Parlament die Regierung mit der Ausarbeitung von konkreten Privatisierungsvorschlägen (BaZ, 77, 1.4.82).
[4] Siehe dazu Bundesamt für Statistik, «Der Staat in der Nationalen Buchhaltung der Schweiz», in Die Volkswirtschaft, 55/1982, S. 559 ff. sowie den durch ein Postulat des Nationalrats ausgelösten «Bericht über Privatwirtschaft und Staatstätigkeit», in BBl, 1982, II, S. 81 ff. Vgl. im weitem C. Sommaruga, «Stato ed economia », in Documenta, 1982, Nr. 2, S. 34 ff. und unten, Teil I, 5 (Finanzpolitik). Der Bundesrat beschloss, für die Erforschung des Themas «Wechselwirkungen zwischen privatem und öffentlichem Sektor» im Rahmen von Nationalfondsprojekten 2 Mio Fr. bereitzustellen (NZZ, 207, 7.9.82).