Année politique Suisse 1982 : Chronique générale / Finances publiques
Finanzordnung
Trotz zunehmender Arbeitslosigkeit hielten Landesregierung und eidgenössische Räte 1982 grundsätzlich an der bisherigen, auf einen Ausgleich des Budgets abzielenden Finanzpolitik fest. Sowohl die politische Linke als auch die Rechte stuften die Sanierung des Bundeshaltes als eines ihrer zentralen Anliegen ein. Einer der Gründe für diese Haltung war die Sorge um die wachsende Zinslast aus der sich von Jahr zu Jahr anhäufenden Staatsschuld. Die Defizite in den Rechnungen der schweizerischen Eidgenossenschaft finden ihre Ursache nicht etwa im Bestreben, eine konjunktursteuernde Finanzpolitik zu betreiben. Sie sind vielmehr Ausdruck eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen Ausgaben und Einnahmen. Eine Sanierung erfordert die Beseitigung dieses Ungleichgewichts.
Alternativen zur gewählten Finanzpolitik — etwa im Sinne einer Erhöhung der staatlichen Ausgaben zur Stützung der Nachfrage im privaten Sektor der Wirtschaft oder einer Senkung der Steuern zur kostenseitigen Entlastung der Unternehmen — waren zwar im Gespräch ; angesichts des im internationalen Vergleich noch immer niedrigen Niveaus der Arbeitslosigkeit erschien jedoch die Abkehr vom Ziel des Budgetausgleichs und die Hinwendung zu einem auf die Beeinflussung der Konjunktur ausgerichteten Konzept nicht als wünschenswert
[1]. Bundesrat und Parlament zogen es vor, in einer anderen, indirekteren Form auf die beunruhigende konjunkturelle und strukturelle Entwicklung der privaten Wirtschaft zu antworten. Sie erarbeiteten ein «Impulsprogramm» zur Förderung der unternehmerischen Eigeninitiative. Kurz vor Jahresende kündigte sich ein gewisser Wandel in dieser zurückhaltenden Politik an, als der scheidende Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, Bundespräsident Honegger, für 1983 ein Beschäftigungsprogramm in Aussicht stellte. Dieses sollte — unter anderem durch das zeitliche Vorziehen von Bundesaufträgen — den Auslastungsgrad der Industrie während der Rezession erhöhen und so eine Entlastung des Arbeitsmarktes bringen
[2]. Die Annahme eines Beschäftigungsprogrammes käme einem Schritt in Richtung eines Wechsels zu einer konjunktursteuernden, antizyklischen Finanzpolitik gleich.
Während über das Ziel der Sanierung des Bundeshaushaltes weitgehend Einigkeit herrschte, gingen die Meinungen über die Gewichtung der zu verwendenden Mittel auseinander. Bürgerliche und Arbeitgeber sahen den Schwerpunkt bei einer am Sparen orientierten Politik. Sozialdemokraten und Gewerkschafter hingegen betonten die Vordringlichkeit der Erschliessung neuer Einnahmequellen. Diese beiden unterschiedlichen Strategien machen die gegensätzlichen Auffassungen über die Rolle des Staates deutlich. Die betont marktwirtschaftlich orientierten Kreise betrachten eine ihrer Meinung nach überbordende Staatstätigkeit als Gefahr und unter Umständen sogar als Ursache von Arbeitslosigkeit. Die Vertreter der Linken heben die gesellschaftlich ausgleichende Funktion des Staates hervor und warnen vor einer übertriebenen Sparpolitik im Sinne des Slogans «weniger Staat».
Im Zusammenhang mit dieser Kontroverse ergab sich aus einer Untersuchung des Bundesamtes für Statistik eine aufschlussreiche Tatsache: die
Staatsquote (das heisst der Anteil der Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden am Bruttosozialprodukt) hat sich in den Jahren von 1976 bis 1980 leicht gesenkt, nämlich von 28,3% auf 26,4%
[3]. Allerdings ist die Aussagekraft dieser Messgrösse beschränkt. Die öffentlichen Ausgaben enthalten ja auch reine Transferzahlungen, also Gelder, die zwar über die öffentliche Hand fliessen, aber von ihr nicht für eigenen Bedarf verwendet sondern nur umverteilt werden. Aus diesem Grund zeigt die Staatsquote eine zu hohe Bedeutung des öffentlichen Sektors in der Wirtschaft an. Das Bundesamt für Statistik hat deshalb zwei zusätzliche Kennziffern als Gradmesser vorgeschlagen. Es sind dies der Anteil des Staates an der Gesamtnachfrage sowie der Anteil des Staates an der Wertschöpfung. Beide liegen deutlich tiefer als die Staatsquote (12,1% bezw. 10,6% im Durchschnitt der Jahre 1976 bis 1980). Auch hier lässt sich jedoch die Tendenz zur Verringerung der Staatstätigkeit erkennen. Selbstverständlich vermögen all diese Zahlen lediglich ein Bild von der ökonomischen Aktivität des Staates zu geben. Sie sind kein Ausdruck für den gesamten Staatseinfluss auf die Wirtschaft, der sich auch über rechtliche Regelungen und Vorschriften vollzieht. Dennoch stellt die relative Verkleinerung des öffentlichen Sektors eine Entwicklung von grosser Tragweite — vielleicht sogar eine Trendwende — dar. Der Zentralverband der schweizerischen Arbeitgeber wertete die geringfügige Abschwächung der Staatstätigkeit als Silberstreifen am Horizont; er wies jedoch auf die seiner Meinung nach höchst problematische Verlagerung von den öffentlichen Ausgaben für Investitionen auf solche für Konsumzwecke hin
[4].
Das
überraschend gute Ergebnis der Staatsrechnung der Eidgenossenschaft aus dem Vorjahr
[5] — «die gefundene Milliarde» — gab zwar auf allen Seiten Anlass zur Genugtuung, trug dem Vorsteher des Finanzdepartementes (EFD), Bundesrat Ritschard, jedoch auch Kritik ein. Ihm wurde vorgeworfen, das Volk vor der Abstimmung im November 1981 über die Finanzordnung absichtlich nicht über die neueste Lage der Bundesfinanzen informiert zu haben, um die Annahme der Abstimmungsvorlage nicht zu gefährden. Auch zweifelte man an der Seriosität des Voranschlags für das Jahr 1981 und sprach von einem «Milliarden-Rechenfehler»
[6]. Die Anschuldigungen erwiesen sich aber als unhaltbar. Weder hatte der günstige Rechnungsabschluss zum fraglichen Zeitpunkt vorausgesehen werden können, noch was unsorgfältig budgetiert worden. Dies attestierten dem Chef des EFD die Finanzkommissionen sowohl der Grossen als auch der Kleinen Kammer
[7]. Bundesrat Ritschard seinerseits betonte, das geringe Defizit der letztjährigen Staatsrechnung stelle eine Ausnahmeerscheinung dar. Das ungewöhnlich hohe Zinsniveau hatte bewirkt, dass die Einnahmen aus der Verrechnungssteuer den budgetierten Betrag weit übertrafen. Ein Teil dieser Einnahmen ist jedoch nicht dauerhafter Natur, da der Fiskus die Verrechnungssteuer unter bestimmten Bedingungen zurückerstattet. Fallen diese Rückzahlungen in eine Periode sinkender Zinssätze, in der sich die laufenden Einnahmen aus der Verrechnungssteuer vermindern, so führt dies zu einer Verschlechterung der Staatsrechnung. Die 1981 erzielten ausssergewöhnlichen Mehreinnahmen sind nicht als Zeichen einer gelungenen Sanierung des Bundeshaushaltes misszuverstehen. Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen ist noch nicht beseitigt. Ritschard bezeichnete die finanzielle Lage des Bundes denn auch als nach wie vor besorgniserregend. Die Verschuldung von über 20 Milliarden Franken und die daraus entstehende jährliche Zinslast von rund einer Milliarde verlangten nach weiteren Sanierungsmassnahmen
[8]. Um den Wünschen nach vermehrter Information der Öffentlichkeit entgegenzukommen, beschloss das EFD, künftig monatlich über den Stand der Steuereinnahmen zu informieren
[9].
[1] Zur finanzpolitischen Diskussion vgl. «Die Finanzierung der Budgetdefizite des Bundes», in Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 38/1982, Nr. 2, S. 32 ff.; SBG Wirtschaftsnotizen, September 1982; P. Eberhard, «Strapazierte Staatsverschuldung?», in Wirtschaftspolitische Mitteilungen, Nr.10/11, 1982; H. Baumer, «Crowding out gefährdet die privaten Investitionen», in Der Monat, November 1982; A. Sturmthal, «Das Ende der Reaganomics?», in Profil/Rote Revue, Nr. 2, 1982. Vgl. auch NZZ, 12, 16.1.82; 46, 25.2.82; 51, 4.3.82.
[2] Massnahmen zur Förderung der technologischen Entwicklung und Ausbildung: vgl. oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik, Strukturpolitik) Beschäftigungsprogramm: BaZ, 305, 30.12.82; TA, 304, 30.12.82.
[3] Die Volkswirtschaft, 55/1982, S. 566.
[4] Die Volkswirtschaft, 55/1982, S. 559 ff. SAZ, 49, 9.12.82; SGB-Pressedienst, 28, 23.9.82; vgl. SBG, Wirtschaftsnotizen, März 1982. Zu den Transferzahlungen, die knapp 2/3 der Gesamtausgaben des Bundes betragen, vgl. Botschaft des Bundesrates... zum Voranschlag... für das Jahr 1983 (Botschaft Voranschlag 1983), S. 33* f.
[5] Vgl. SPJ, 1981, S. 81; Presse vom 25.2.82. Die Gesamtrechnung des Bundes, welche auch die Veränderungen im Vermögen berücksichtigt, schloss weit weniger gut ab als die Finanzrechnung, nämlich mit einem Defizit von rund 800 Mio: Botschaft des Bundesrates... zur Staatsrechnung... für das Jahr 1981 (Botschaft Staatsrechnung 1981), S. 51* ff.; Bund, 94, 24.4.82; NZZ, 94, 24.4.82; vgl. Amtl. Bull. StR, 1982, S. 351 f. (StR Hefti, fdp, GL).
[6] Ww, 9, 3.3.82; vgl. Suisse, 60, 1.3.82; 62, 3.3.82; vgl. auch NZZ, 66, 20.3.82 sowie TW, 94, 24.4.82; siehe Amtl. Bull. NR, 1982, S. 760 (NR Biel, Idu, ZH).
[7] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 757 f. ; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 350; NZZ, 114, 19.5.82.
[8] Siehe die Interviews mit BR Ritschard in Ww, 15, 14.4.82 und Vat., 136, 16.6.82 ; siehe auch Amtl. Bull. StR, 1982, S. 353, sowie Amtl. Bull. NR, 1982, S. 765 f. (BR Ritschard).
[9] Lib., 167, 21.4.82; NZZ, 91, 21.4.82; TA, 91, 21.4.82.
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