Année politique Suisse 1982 : Chronique générale / Finances publiques / Steuern
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Ausgleich der Kalten Progression
Gegenläufig zu den Bemühungen um die Erschliessung neuer Einnahmequellen war der 1982 mit viel Nachdruck geführte Kampf um die Verwirklichung des verfassungsmässigen Anspruchs auf den Ausgleich der Kalten Progression. Eine Motion, welche den Bundesrat aufforderte, die Folgen der Kalten Progression periodisch auszugleichen, wurde im Ständerat zurückgewiesen [27]. Der Nationalrat wandelte drei Motionen zum selben Thema in Postulate um; im Falle des Vorstosses der FDP-Fraktion bedurfte es dazu allerdings des Stichentscheides der Präsidentin [28]. Diese ablehnende Haltung richtete sich nicht gegen den Grundsatz des Ausgleichs der Kalten Progression, sondern gegen dessen Verwirklichung zu einem Zeitpunkt, in dem die Lage der öffentlichen Finanzen eine Minderung der Steuereinnahmen als unangebracht erscheinen lässt. Der Verpflichtung des Bundes, die Folgen der Kalten Progression auszugleichen, steht nämlich eine andere, ebenfalls verfassungsmässige Verpflichtung gegenüber: diejenige, einen defizitfreien Staatshaushalt herbeizuführen. Angesichts der Konkurrenz dieser beiden Bestimmungen der Bundesverfassung mussten die eidgenössischen Räte Prioritäten setzen. Für einen dem Redressement National nahestehenden Teil des Bürgertums stand jedoch der Wunsch nach dem Ausgleich der Kalten Progression im Vordergrund. Aus diesen Kreisen formierte sich ein Komitee, welches eine eidgenössische Volksinitiative lancierte. Dem Komitee gehörten auch 30 Parlamentarier aus allen bürgerlichen Fraktionen an. Der Initiativtext sieht vor, dass der Bundesrat die Wehrsteuer ab 1984 um 15% ermässigen und danach die Inflation bei jeder Steuerveranlagung voll in Rechnung stellen muss; er lässt aber die Möglichkeit offen, anstelle der linearen Reduktion um 15% eine Senkung vorzunehmen, welche nach den tatsächlichen Auswirkungen der Kalten Progression auf die Steuerpflichtigen abgestuft wäre. Die Initiative ist insofern ungewöhnlich, als sie eine bereits bestehende Verfassungsbestimmung interpretiert [29]. Sozialdemokraten und Gewerkschafter kritisierten an der Initiative vor allem die Linearität der geplanten Senkung der direkten Bundessteuer. Ein solches Vorgehen komme einem Steuergeschenk an die Bezüger der höchsten Einkommen gleich, da diese — wenn sie bereits der obersten Steuerklasse angehören — die Kalte Progression gar nicht verspürten. Zudem bleibt die Initiative gemäss SPS und Gewerkschaften die Antwort auf die Frage schuldig, wie die Ausfälle an Steuereinnahmen zu kompensieren seien [30].
Kurz nach der Ankündigung des Volksbegehrens beauftragte der Bundesrat das Finanzdepartement, Massnahmen für einen Ausgleich der Kalten Progression auszuarbeiten. Im Herbst lag ein entsprechender Gesetzesentwurf vor. Dieser sieht keine Kompensation der bisherigen Wirkungen der Kalten Progression vor. Der Bundesrat hält die Angelegenheit für durch die neue Finanzordnung von 1981 erledigt, hatte doch diese eine teilweise Erleichterung gebracht. Die Landesregierung will künftig den Ausgleich nur dann vornehmen, wenn die Preissteigerung 10% beträgt, während die Initiative den Ausgleich bei jeder Veranlagung verlangt. Aus dem Initiativ-Komitee verlautete, man vermisse in der Gesetzesvorlage die Automatik des Ausgleichs. Die Christlichdemokratische Volkspartei, die Sozialdemokraten und der Landesring hiessen den bundesrätlichen Vorschlag gut [31].
 
[27] Amtl. Bull. StR, 1982 S. 99 ff. (Motion Affolter, fdp, SO); BaZ, 53, 4.3.82; 24 Heures, 52, 4.3.82; TW, 66, 20.3.82. Vgl. Amtl. Bull. StR, 1982, S. 194 f. (Postulat Kündig, cvp, ZG).
[28] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 919 ff. (Motionen der FDP-Fraktion, der Unabhängig-evangelischen Fraktion sowie von NR Chopard, sp, AG); Presse vom 25.6.82. Vgl. in diesem Zusammenhang Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1423 f. (Motion Carobbio, psa, TI, überwiesen als Postulat).
[29] BBl, 1982, II, S.113 ff.; SGT, 78, 3.4.82; Presse vom 7.5.82 und vom 26.5.82; NZZ, 126, 4.6.82 (Interview mit NR Lüchinger, fdp, ZH).
[30] TW, 202, 31.8.82; 265, 12.11.82; SGB-Pressedienst, 19, 10.6.82; SP-Info, 127, 8.11.82; vgl. TLM, 170; 19.6.82; vgl. auch NZZ, 199, 28.8.82; 232, 6:10.82.
[31] BBl, 1982, III, S. 1085 ff.; 24 Heures, 121, 27.5.82; Presse vom 25.11.82; NZZ, 276, 26.11.82; 302, 28.12.82; SGB-Pressedienst, 37, 2.12.82.