Année politique Suisse 1982 : Infrastructure, aménagement, environnement / Energie
Energiepolitik
Die momentan infolge weltweiter Erdölüberproduktion unbedenklich erscheinende Versorgungslage, und der sich daraus ergebende Preiszerfall für diesen bedeutendsten Energieträger liess vermehrt die Frage aufkommen, ob eine bundesstaatliche Energiepolitik, wie sie die Landesregierung mit ihrer
Gesamtenergiekonzeption (GEK) realisieren will, überhaupt nötig sei. Andere Beobachter verneinten die Notwendigkeit staatlicher Interventionen mit dem Hinweis auf die Marktkräfte, welche über eine Verteuerung verknappender Produkte automatisch zu deren Substitution und Einsparung führen
[1]. Die Befürworter eines verstärkten staatlichen Engagements stellten diese Mechanismen zwar nicht in Abrede, sie beurteilen ihre Auswirkungen aber als zu abrupt und daher oft gesamtwirtschaftlich schädlich
[2].
Dem
Energieverfassungsartikel erwuchs im Parlament allerdings weniger von den Gegnern als vielmehr von den Anhängern interventionistischer Lösungen Opposition
[3]. Diesen sich vorwiegend aus den Linksparteien und dem Landesring rekrutierenden Abgeordneten gehen die vorgesehenen neuen Kompetenzen im Bereich der Energieeinsparung und der Substitution von Erdöl zu wenig weit; insbesondere kritisieren sie aber den Verzicht auf die Erhebung einer verbrauchslenkenden Energiesteuer, deren Erträge zur Finanzierung der Erforschung und Anwendung neuer Energiequellen verwendet werden könnte. Der Bundesrat sieht darin keinen Nachteil; er gibt sich zuversichtlich, dass die erforderlichen Mittel auf dem Weg der Unterstellung aller Energieträger unter die Warenumsatzsteuer (WUST) — er hatte dies bereits 1980 vorgeschlagen — aufgebra.cht werden könnten. Ob sich dieser Weg als gangbar erweist, bleibt einstweilen noch ungewiss, beschloss doch die zuständige Nationalratskommission die Sistierung des Geschäfts bis zum Abschluss der Debatte über den Energieartikel. Zwar ertönten gegen die diesbezüglichen Ausführungen Bundesrat Schlumpfs während der Energiedebatte kaum Einwände, hingegen hatten sich die vier Regierungsparteien in anderem Zusammenhang gemeinsam gegen das Vorhaben ausgesprochen
[4].
In der
parlamentarischen Beratung wurden die Verschärfungswünsche der Linken und Umweltschützer ausnahmslos zurückgewiesen. Im Gegensatz dazu konnten sich gegenüber dem Entwurf gelockerte Bestimmungen zweimal durchsetzen. Zum einen wurde ein neuer Absatz beigefügt, der besondere Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Tragbarkeit und die regional unterschiedlichen Verhältnisse postuliert. Zum andern sollen nicht nur Techniken zur Nutzung neuer, sondern auch herkömmlicher Energiequellen gefördert werden. Die von der Exekutive beantragte Ausweitung der Bundeskompetenz im Bereich der Rohrleitungen (Art. 26 bis BV) auf die Fernwärmeversorgung lehnte das Parlament ebenso ab wie ein vom Ständerat vorgeschlagener Passus, mit welchem der Bund ermächtigt worden wäre, die Anschlusspflicht an Fernheizwerke zu verfügen. Gerade diese, den Interessen der Atomenergiegegner entgegenkommenden Beschlüsse verdeutlichten, dass sich die bürgerliche Ratsmehrheit: in untergeordneten Punkten durchaus kompromissbereit zeigte, mit dem Ziel, die Gegnerschaft der Linken und der Umweltschützer möglichst gering zu halten. Diese Taktik erwies sich als recht erfolgreich, lehnte doch in der Schlussabstimmung nur gerade die LdU/EVP-Fraktion den neuen Verfassungsartikel ab, während sich die SP der Stimme enthielt
[5]. Ein wichtiger Grund für die erstaunlich positive Haltung der meisten bürgerlichen Parlamentarier in der Frage der Ausdehnung der zentralstaatlichen Interventionsmacht im Bereich der Energiepolitik stellt zweifellos das Interesse dar, der im Vorjahr von den Umweltschutzorganisationen eingereichten wesentlich radikaleren Volksinitiative für einen Energieartikel nicht mit leeren Händen gegenüberzustehen
[6]. Ob die Unterstützung aber stark genug ausfallen wird, um die gleichgültig bis negativ eingestellte Koalition von Linken, Umweltschützern und Atomenergiegegnern zu überwinden, ist fraglich. Dies umso mehr, als auch einflussreiche ausserparlamentarische Gruppierungen der Rechten die Verfassungsrevision sehr skeptisch beurteilen und zum Teil sogar ablehnen
[7].
Inwieweit es gelingen wird, die vom Bundesrat anvisierte Reduktion des Erdölkonsums von heute knapp 70% auf 57% sowie Einsparungen im Umfang von 18% des prognostizierten Gesamtverbrauchs bis zur Jahrtausendwende zu erreichen, hängt nicht allein von der eidgenössischen Politik, sondern in wesentlichem Ausmass auch von der
Aktivität der Kantone ab. Diese Einsicht ist aber offenbar nicht in allen Teilstaaten gleichermassen verbreitet. So lehnten die Urner Stimmbürger sowohl eine Initiative der Atomenergiegegner als auch den Gegenvorschlag der Regierung für die Aufnahme eines Energieartikels in die Kantonsverfassung ab. In St. Gallen beschloss der Grosse Rat, auf ein spezielles Energiegesetz zu verzichten und sich mit der Integration einiger Bestimmungen energiepolitischen Gehalts in das revidierte Baugesetz zu begnügen. Auch in Solothurn war das Parlament nicht bereit, dem Kanton eine aktivere energiepolitische Rolle zukommen zu lassen. Die Taktik der gegen jegliche staatliche Einflussnahme auf den Energiemarkt opponierenden Gruppen war dabei unverkennbar: In einer ersten Phase bekämpfte man, meist erfolgreich, sämtliche einschneidenden Bestimmungen, um dann in einer zweiten Phase den derart amputierten Entwurf als überflüssig und wirkungslos zu bekämpfen
[8].
Das im Vorjahr von der Bündner Regierung vorgestellte Gesetz, welches die Energiepolitik — mit Ausnahme der Information — praktisch ausschliesslich den Gemeinden übertragen wollte, scheiterte in der Volksabstimmung an der von der Linken und den Umweltschützern getragenen Opposition, zu denen sich allerdings auch die Gegner jeglicher Staatsintervention gesellten. Im Kanton Zürich hiess das Parlament einen Entwurf der Regierung gut, der sich in den Rahmen der bestehenden kantonalen Energiegesetze (Basel-Land, Bern, Neuenburg) einfügt. Da die Mehrzahl der Bestimmungen allerdings nur auf Neubauten anwendbar sein sollen, dürften sich gesamthaft relevante Auswirkungen erst nach längerer Zeit ergeben
[9]. Im Aargau und in Basel-Stadt befinden sich Energiegesetze in parlamentarischer Behandlung. Während im Aargau die SP und die Umweltschützer den Entwurf als ungenügend taxieren, sind sie mit dem baslerischen Projekt sehr zufrieden und stellen den Rückzug ihrer im Berichtsjahr eingereichten Volksinitiative in Aussicht
[10]. Im Gegensatz dazu ist in Luzern keine Übereinstimmung zwischen den energiepolitischen Ansichten der Exekutive einerseits, der Linken und der Atomenergiegegner andererseits festzustellen. Die Behörden empfehlen ein von diesen Gruppen eingereichtes Volksbegehren zur Ablehnung, währenddem die Initianten den regierungsrätlichen Gesetzesentwurf heftig kritisieren
[11]. Die Sozialdemokraten, welche unter den Parteien die energiepolitisch aktivsten sind, arbeiteten in den Kantonen Bern und Solothurn Volksinitiativen aus, um Energiegesetze zu verschärfen (Bern) resp. einzuführen (Solothurn)
[12].
Die sinkende Tendenz der Erdölpreise beeinträchtigt die Durchsetzungschancen von neuen, noch wenig erprobten Methoden der Energienutzung. Die Nationalrätin Doris Morf (sp, ZH) forderte deshalb mit einer Motion, die
Nutzung einheimischer Energiequellen sei zur dritten Säule im Kampf um die Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit zu erklären (neben der Landesverteidigung und der Landwirtschaft) und entsprechend zu unterstützen. Der Bundesrat und die Volkskammer sprachen zwar dem Gedankengang seine generelle Berechtigung nicht ab, sie erachten aber die vom neuen Energieartikel vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten als ausreichend
[13]. Neben den vergleichsweise hohen Anlagekosten wirken sich oft auch mangelhafte fachtechnische Kenntnisse und Fähigkeiten zu ungunsten der Nutzung alternativer Energiequellen aus. Die von der Landesregierung im Rahmen des sogenannten Impulsprogramms zur Förderung der technologischen Ausbildung konzipierte Verbesserung der Berufsbildung im Bereich der Haustechnik sollte diesbezüglich positive Folgen zeitigen
[14]. Mit diesem Ausbildungsprogramm will man aber nicht nur die Kenntnisse auf den Gebieten der Installation und Nutzung von Energieanlagen auf einen höheren Stand bringen, sondern auch das Wissen um Isolationstechniken zwecks der Erzielung von Energieeinsparungen verbessern
[15]. Schwierigkeiten anderer Art können sich bei der Nutzung der Umgebungswärme mittels Wärmepumpen einstellen. Um ein unerwünscht starkes Absinken der Temperatur des Grundwassers zu vermeiden, gab das Bundesamt für Umweltschutz eine Wegleitung heraus; der Kanton Nidwalden verfügte gar einen Bewilligungsstop für derartige Anlagen
[16].
Der
Gesamtenergieverbrauch fiel, nicht zuletzt infolge der wirtschaftlichen Rezession, mit einer Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahr von – 1,5% leicht rückläufig aus (1981: -1,0%). Wiederum wurde Erdöl eingespart oder durch andere Energieträger ersetzt; der Konsum nahm um 3,6 % ab (1981: – 4,5%), wobei sich die Reduktion auch in diesem Jahr auf das Heizöl beschränkte, während der Treibstoffverbrauch anstieg. Eine erste Phase der Umstellung der Industrie auf Kohle scheint abgeschlossen zu sein, konnte doch mit einer Steigerung um 7,9% die spektakulären Zuwachsraten der beiden Vorjahre nicht mehr erreicht werden (1981: 47,5%; 1980: 44,4%). Da ebenfalls der Absatz von Elektrizität und Gas um + 1,5% resp. + 7,4% zunahm (1981: 2,7% resp. 9,9%), verringerte sich der Anteil des Erdöls an der Energieversorgung erneut und belief sich noch auf 67,3% (1981: 68,8%)
[17].
[1] Vgl. dazu NZZ, 30, 6.2.82 sowie die Stellungnahme der Erdölwirtschaft zum Energieartikel (NZZ, 105, 8.5.82). Die Verfechter dieser Theorie konnten darauf hinweisen, dass trotz des steigenden Gesamtenergieverbrauchs der Erdölkonsum in der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren auch ohne Marktinterventionen um durchschnittlich 1,1% pro Jahr zurückgegangen ist (wf, Dok., 27, 5.7.82).
[2] Siehe dazu die Ausführungen des Bundesrates in der Botschaft zum Energieartikel (BBl, 1981, II, S. 324) und des Direktors des Bundesamtes für Energiewirtschaft (E. Kiener) in NZZ, 251, 28.10.82. Vgl. im weitern Fritz Honegger, Volkswirtschaftliche Aspekte einer gesicherten Energieversorgung, Bern 1982. Zur Prognose des Energiebedarfs siehe Charles Spier, La demande d'énergie en Suisse, Genf 1982.
[3] Zum Entwurf des Bundesrates vgl. SPJ, 1981, S. 94 f. Parlamentsdebatte: Amtl. Bull. NR, 1982, S. 1055 ff., 1277 f. und 1480.
[4] Einzig StR Hefti (fdp, GL) legte Wert auf die ausdrückliche Feststellung, dass die Zustimmung zum Energieartikel keinesfalls als Präjudiz zugunsten der WUST-Unterstellung interpretiert werden dürfe (Amtl. Bull. StR, 1982, S. 92). Zur WUST-Unterstellung vgl. SPJ, 1980, S. 90 f. ; TA, 42, 20.2.82; 83, 10.4.82 sowie oben, Teil I, 5 (Einnahmeerhöhungen). Zur Wirksamkeit einer als Lenkungssteuer konzipierten Energiesteuer, wie sie die Kommission fir die GEK postuliert hatte, vgl. B. Laplanche et al., «Régulation de la demande de produits pétroliers : le cas de la Suisse», in Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 118/1982, S. 369 ff.
[5] BBl, 1982, III, S. 127 f. Siehe auch Presse vom 9.10.82.
[6] NZZ, 251, 28.10.82. Zur Initiative vgl. SPJ, 1980, S. 91.
[7] Von den Organisationen, die noch im Berichtsjahr ihre Parole fassten, erwähnen wir die — ohne Begeie.terung erfolgte — Zustimmung der Schweiz. Gesellschaft für Umweltschutz (TW, 295, 17.12.82) und die Ablehnung durch Hauseigentümerverband und Handels- und Industrieverein (Var., 295, 21.12.82; wf, Dok., 50, 13.12.E:2). Bereits hat sich je ein aus Politikern der grossen bürgerlichen Parteien gebildetes Pro- resp. Contra-Komitee gebildet (NZZ, 290, 13.12.82 und 300, 24.12.82). Auf die Haltung der Parteien und übrigen Organisationen, den Abstimmungskampf und das negative Verdikt der Volksabstimmung werden wir in unserer nächsten Jahreschronik eingehen.
[8] UR: Vat., 109, 12.5.82; 119, 25.5.82; 121, 27.5.82; 224, 27.9.82. In der Abstimmung, bei welcher ein doppeltes Ja erlaubt war, wurden beide Vorlagen abgelehnt. In der damit allerdings bedeutungslos gewordenen Eventualabstimmung sprachen sich 1029 Bürger für die Initiative und 3187 für den Gegenvorschlag aus (vgl. auch unten, Teil II, 4a). SG: TA, 95, 24.3.82. SO: SZ, 245, 21.10.82. Siehe ebenfalls SPJ, 1981, S. 96.
[9] GR: Vat., 226, 29.9.82; Bund, 231, 4.10.82 (8934 Ja: 10 456 Nein). ZH: NZZ, 225, 28.9.82; 231, 5.10.82; 279, 30.11.82; TA, 279, 30.11.82; Bund, 280, 30.11.82. Vgl. auch SPJ, 1981, S. 96.
[10] AG: AT, 63, 17.3.82; 69, 24.3.82; 75, 31.3.82; 80, 27.4.82. BS: BaZ, 54, 5.3.82; 211, 10.9.82; 216, 16.9.82; 247, 22.10.82. Da das Bundesgericht 1981 das im waadtländischen Energiegesetz enthaltene Verbot der Elektroheizungen als verfassungswidrig erklärt hatte, versucht nun die Basler Regierung dasselbe Ziel mit einem Verbot des Anschlusses an das öffentliche Elektrizitätsnetz zu erreichen (vgl. dazu SPJ, 1980, S. 92 und 1981, S. 98).
[11] LNN, 132, 11.6.82; 173, 29.7.82; 225, 28.9.82. Siehe auch SPJ, 1981, S. 96.
[12] Lanciert worden sind die beiden Begehren allerdings noch nicht. BE: Bund, 25, 1.2.82. SO: SZ, 256, 2.11.82. Siehe ebenfalls SPS, Handbuch für kommunale Energiepolitik, Bern 1982.
[13] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 231 ff.
[14] BBl, 1982, I, S. 1298 ff.; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 360 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1982, 5.1278 ff. ; BBl, 1982, III, S. 171 f.; LNN, 123, 29.5.82. Zum Impulsprogramm vgl. oben, Teil I, 4a (Strukturpolitik).
[15] Eine Untersuchung des Energieforums ergab, dass das Sparpotential nicht nur im Wohnungsbau, sondern auch in der Industrie noch keineswegs ausgeschöpft ist (Energieforum Schweiz, Wie steht es mit dem Energiebewusstsein in der Schweizer Wirtschaft, Bern 1982).
[16] NZZ, 177, 3.8.82; LNN, 217, 18.9.82.
[17] NZZ, 94, 23.4.83; SPJ, 1981, S. 97.
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