Année politique Suisse 1982 : Infrastructure, aménagement, environnement / Energie
 
Wasserkraftwerke
Nachdem noch zu Beginn der siebziger Jahre die Elektrizitätsproduzenten die Phase des Neu- und Ausbaus von Wasserkraftwerken für praktisch beendet erklärt hatten, entwickelte sich im Zusammenhang mit den steigenden Energiepreisen und den Verzögerungen bei der Errichtung von Kernkraftwerken wieder ein gesteigertes Interesse an der hydraulischen Stromgewinnung. In einem gegenüber früheren Prognosen revidierten Bericht gelangt der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband zum Schluss, dass die Erzeugung bis zur Jahrtausendwende um ungefähr 8% erhöht werden kann. Diese Mehrproduktion soll zu etwa gleichen Teilen aus der Erweiterung bzw. Modernisierung bestehender, sowie der Konstruktion neuer Werke stammen [31]. Derartige Pläne stossen aber auf heftigen Widerstand von Seiten des Landschaftsschutzes und der Fischer, welche die Ansicht vertreten, dass sich eine zusätzliche Beeinträchtigung der Fliessgewässer nicht verantworten lasse. Eine vom Fischereiverband des Kantons Bern angeregte Volksinitiative zur Verhinderung weiterer Wasserkraftwerke befindet sich zur Zeit in Ausarbeitung [32].
Unter den geplanten Neubauten sorgen immer noch diejenigen von Ilanz (GR) für die meisten Schlagzeilen. Gegen die von der Kantonsregierung vorgenommene Restwasserbestimmung, welche die streckenweise Trockenlegung einiger Seitenzuflüsse des Vorderrheins gestatten würde, legten Umweltschützer Verwaltungsbeschwerde beim Bundesgericht ein [33]. Nicht Argumente des Landschaftsschutzes sind demgegenüber die Ursache für den Protest der Walliser Gemeinde Saint-Léonard gegen die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks Tseuzier. Da an der Staumauer und im Gelände Deformationen festgestellt worden waren, hatte dessen Becken geleert werden müssen. Gemäss dem Urteil einer vom Bund eingesetzten Expertenkommission trägt mit hoher Wahrscheinlichkeit der Vorantrieb eines Sondierstollens für die geplante Rawil-Autostrasse (Nationalstrasse N 6) die Schuld an den Verschiebungen. Dank der von der Landesregierung verfügten Einstellung der Arbeiten am Sondierstollen sollten sich die geologischen Verhältnisse wieder stabilisieren und, nach einigen Reparaturen, ein risikoloses Wiederauffüllen des Stausees möglich machen. Diese Ansicht wird jedoch von der direkt unterhalb der Staumauer gelegenen Gemeinde, welche sich auf einen von der Kantonsregierung beauftragten Fachmann stützt, nicht geteilt: sie fordert die Durchführung einer zusätzlichen Expertise [34].
Wir haben bereits in früheren Jahreschroniken erwähnt, dass die Gebirgskantone Graubünden, Tessin, Uri und Wallis gewillt sind, in Zukunft eine aktivere Rolle bei der Energieerzeugung zu spielen. Gefördert werden diese Bestrebungen insbesondere durch die Aussicht, in den kommenden Jahren eine Reihe von Wasserkraftwerken infolge des Auslaufens der Konzessionsdauer übernehmen zu können (sog. Heimfall). Ahnlich wie in Graubünden gründeten nun auch im Wallis Kanton und Gemeinden eine Elektrizitätsgesellschaft, um aus dem Heimfall möglichst grosse Vorteile zu ziehen. Daneben beabsichtigt die neue Gesellschaft aber auch eine direkte Beteiligung an noch zu bauenden Werken auf dem Kantonsgebiet [35].
Bei den neueren Anlagen, wo ein Auslaufen der Konzessionsdauer noch in weiter Ferne ist, möchten die Gebirgskantone wenigstens finanziell besser gestellt werden. Beide eidgenössischen Kammern anerkannten die Berechtigung dieses Anliegens und verabschiedeten oppositionslos eine Motion Columberg (cvp, GR), mit welcher die Heraufsetzung der Höchstsätze der Wasserzinsen verlangt wird [36]. Problematischer ist die vom Kanton Graubünden vorgebrachte Beschwerde, dass das Steuersubstrat von sogenannten Partnerwerken zu gering ausfalle, da diese die erzeugte Energie den im Unterland ansässigen Gründergesellschaften nur zu Selbstkosten- und nicht zu Marktpreisen abtreten. Graubünden verlangte nun mit einer Standesinitiative ein Gesetz über die Steuerausscheidung zwischen den an Stromproduktion und -absatz beteiligten Gesellschaften. Der Ständerat lehnte dieses Anliegen aus steuerrechtlichen Gründen ab, wobei er feststeilte, dass es sich bei den Partnerwerken einerseits und den Elektrizitätsgesellschaften andererseits um unabhängige Steuersubjekte handelt und somit die Verfassungsbestimmung über die Vermeidung der Doppelbesteuerung, welche eine Ausscheidung erlauben würde, nicht anwendbar ist. Hingegen ist nach der Meinung des Bundesrates eine Gewinnberichtigung durch die kantonalen Steuerbehörden bereits heute durchfiihrbar, wobei den Partnerwerken natürlich ein Einspracherecht gegen diese Korrektur ihres Gewinnausweises zusteht. Ein erster derartiger Fall, dem zweifellos eine exemplarische Funktion zukommt, wird zur Zeit von der bündnerischen Justiz bearbeitet, ohne dass bereits ein Urteil gefällt worden ist [37].
 
[31] «Der weitere Ausbau der Schweizer Wasserkräfte bis zur Jahrtausendwende», Bericht des Schweiz. Wasserwirtschaftsverbandes vom 14.7.1982, in Wasser, Energie, Luft, 74/1982. S. 158 ff. Das Zuwachspotential entspricht knapp der Hälfte der Produktion eines grossen Kernkraftwerks (Typ Gösgen). Vgl. auch TA, 168, 24.7.82.
[32] TW, 49, 1.3.82; SGU-Bulletin, Dezember 1982, S. 6. Siehe ebenfalls Daniel Vischer, «Wasserkraftnutzung und Umweltschutz», in Wasser, Energie, Luft, 74/1982, S. 33 ff.
[33] SGT,157, 9.7.82; NZZ, 213, 14.9.82; SGU-Bulletin, September 1982, S. 5 B. und Dezember 1982, S. 6. Vgl. im weitern SPJ, 1981, S. 102. Zur Problematik der Restwassermenge siehe den Schlussbericht der interdepartementalen Arbeitsgruppe «Restwasser» (Vorsitz NR Akeret, svp, ZH), Bern 1982.
[34] «Comportement anormal du barrage-voûte de Zeusier (Suisse)», in Wasser, Energie, Luft, 74/1982, Sonderheft April, S. 65 ff. ; BaZ, 87, 15.4.82; TLM, 201, 20.7.82; 216, 4.8.82; 219, 7.8.82. Vgl. auch SPJ, 1980, S. 103 sowie unten, Teil I, 6b (Strassenbau).
[35] 24 Heures, 22, 28.1.82 ; BaZ, 36,12.2.82; TLM, 364, 30.12.82. Zum Heimfallrecht siehe auch Blaise Knapp, « La fin des concessions hydrauliques », in Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 101/1982, II, S. 121 ff. sowie Alfred Rey, «Energiepolitik aus der Sicht der Bergkantone», in NZZ, 213, 14.9.82.
[36] Amtl. Bull. NR, 1982, S. 965; Amtl. Bull. StR, 1982, S. 573 ff. Eine letzte generelle Erhöhung der Wasserzinsen fand 1975 statt (SPJ, 1975, S. 103).
[37] Amtl. Bull. StR, 1982, S. 708 ff.; LNN, 199, 23.8.82 ; Vat., 219, 21.9.82; Toni Russi, «Die Alpen-Opec ist im Recht », in SHZ, 50, 16.12.82. Zum Standpunkt der Elektrizitätswirtschaft siehe NZZ, 256, 3.11.82. Vgl. auch SPJ, 1981, S. 101.