Année politique Suisse 1983 : Eléments du système politique / Problèmes politiques fondamentaux et conscience nationale
 
Totalrevision der Bundesverfassung
Dass eine Totalrevision der Bundesverfassung das «Helvetische Malaise» überwinden wird, erscheint immer weniger wahrscheinlich. Im August beschloss die Landesregierung, über die Fortsetzung des Revisionsverfahrens noch einmal das Parlament entscheiden zu lassen. Wie bekannt wurde, hatte das EJPD im Sommer 1982 dem Bundesrat eine Überarbeitung des Expertenentwurfs von 1977 vorgelegt, die in den umstrittensten Punkten (Kompetenzordnung im Bundesstaat, Eigentumsgarantie, Ständerat, Gesetzesinitiative, Verfassungsgerichtsbarkeit) zurücksteckte; doch diese Neufassung war vom Kollegium nicht übernommen worden. Kurt Furglers Nachfolger im EJPD, Rudolf Friedrich, betonte zwar die juristische Wünschbarkeit einer Totalrevision, zweifelte aber an ihren Realisierungschancen und strebte deshalb eine Rückendeckung bei den eidgenössischen Räten an [14]. Damit bot er der uneinigen Regierung einen Ausweg: die Weiterführung der Revisionsarbeiten wurde bloss empfohlen. Zugleich lehnte der Bundesrat das von verschiedener Seite gewünschte Vorgehen in Etappen — z.B. durch ein Vorziehen des Abschnitts über die Grundrechte — ab [15]. Ein Zwischenbericht, der auch die vom EJPD ausgearbeitete Fassung enthalten soll, wurde für 1984 angekündigt [16]. Der Beschluss wurde unterschiedlich aufgenommen. Es fehlte nicht an Stimmen, die der Exekutive Mangel an Führungswillen vorwarfen [17]. Namentlich die Sozialdemokraten zeigten sich enttäuscht. Ihre bürgerlichen Partner billigten den Entscheid, allerdings mit unterschiedlichen Erwartungen. Die SVP sprach sich für einen Abbruch des Verfahrens aus, in der FDP verwies man dagegen auf den eigenen, 1979 publizierten Entwurf [18].
 
[14] BR-Beschluss: Presse vom 19.8.83. Entwurf des EJDP: TA, 19.2.83; vgl. auch TA, 18.8.83. Haltung Friedrichs: Presse vom 30.4.83. Vgl. SPJ, 1982, S. 8 f.
[15] Uneinigkeit: AT, 20.8.83. Grundrechte: Motion Braunschweig (sp, ZH), vom NR nur als Postulat überwiesen (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1837 ff.), ferner über entsprechende Stimmen aus der CVP Suisse, 18.8.83 (H. P. Fagagnini) und SGT, 19.8.83 (Prof. Th. Fleiner).
[16] Presse vom 19.8.83: vgl. BR Friedrich in SGT, 27.8.83; NZZ, 3.11.83.
[17] TA, 19.8.83; Lib., 20.8.83; 24 Heures, 22.8.83.
[18] NZZ, 22.8.83. Vgl. auch NR Yvette Jaggi (sp, VD) in 24 Heures, 10.9.83 sowie NZZ, 27.8.83.