Année politique Suisse 1983 : Chronique générale / Défense nationale
Rüstung
Im Rahmen der schrittweisen Realisierung des noch geltenden Armeeleitbildes konnte im Berichtsjahr die Auslieferung der ersten Serie des Kampfflugzeugs «Tiger» beendet werden. Wegen der neuen finanzpolitischen Zielsetzungen des Bundes wird das gesamte Konzept für die Rüstungsbeschaffung jedoch erst 1985 ausgeführt sein
[10]. Wesentlich kostspieliger als dasjenige des Vorjahres war das Rüstungsprogramm 1983. Es umfasste einen Betrag von 1,39 Mia Fr. (1982: 0,96 Mia Fr.) und enthielt eine ganze Reihe mittlerer und kleiner Beschaffungsprojekte. Die grössten Ausgabenposten betrafen die Beschaffung neuer Artillerie-Feuerleitgeräte, modernisierter Übermittlungseinheiten und einer ersten Tranche des neuen Sturmgewehres der Firma SIG. Weitere Aufwendungen entfielen auf verschiedene Munitionsformen und auf neue Bekleidungen. Der Öffentlichkeit gegenüber betonte Bundesrat G.-A. Chevallaz den wirtschaftspolitischen Charakter des Programms: drei Viertel der Ausgaben würden in der Schweiz bleiben; während vier bis sechs Jahren fänden damit rund 2000 Personen ihr Auskommen
[11].
Noch bevor die parlamentarischen Kommissionen zum Rüstungsprogramm Stellung nehmen konnten, entstand eine Kontroverse über die Beschaffung des
Sturmgewehres 90. Die «Weltwoche» publizierte vertrauliche Dokumente über interne Auffassungsunterschiede, wonach vorerst führende Waffenchefs, später auch das EFD dem wesentlich leichteren Sturmgewehr keine dringende Priorität bei der Rüstungsbeschaffung beigemessen hatten; zudem verwiesen Fachleute auf die Versuche zur Herstellung von Handfeuerwaffen, welche hülsenlose Munition verschiessen. Weitere Kritiker wendeten sich gegen das im SIG-Gewehr verwendete Kaliber 5,6 mm, das wegen seiner Wirkungen völkerrechtlich geächtet ist und ausserdem vorerst im Ausland beschafft werden müsste. Zu einem von der Militärkommission des Nationalrats angestrebten Vergleich mit einem modernen deutschen Produkt kam es jedoch nicht, weil sich die Konkurrenz freiwillig zurückzog. Bei einer Enthaltung hiess sodann die Kommission der Volkskammer das Rüstungsprogramm mit 19: 0 Stimmen gut. Ebenfalls mit grosser Mehrheit passierte das Paket die Parlamentsberatung. Obwohl von verschiedener Seite Kritik an der vorgezogenen Einführung des Sturmgewehres geübt wurde, lehnte der Nationalrat eine von W. Carobbio (psa, TI) geforderte Streichung klar ab. Die Volkskammer fällte damit einen grundsätzlichen und langfristig wirksamen Entscheid zugunsten des SIG-Fabrikates, dem sich der Ständerat einstimmig anschloss
[12].
Mit der
Ersetzung des veralteten Panzers 68 durch das deutsche Produkt «Leopard 2» soll noch in diesem Jahrzehnt begonnen werden. Diesen Kaufbeschluss fasste die Landesregierung im Hinblick auf das Rüstungsprogramm 1984. Darin wird eine erste Serie der für die kommenden 15 Jahre geplanten 420 Kampffahrzeuge beantragt sein. Die Gesamtkosten belaufen sich, die Teuerung nicht eingeschlossen, auf zirka 4,5 Mia Fr.; damit wird der Panzerkauf zum teuersten Waffengeschäft werden, das die Schweizer Armee je getätigt hat. Als Lizenzbau soll der Leopard 2 unter der Leitung der Contraves AG zu 60% im Inland hergestellt werden ; für die verbleibenden 40%, die der Hersteller in der BRD baut, sind Kompensationsgeschäfte vorgesehen. Die Mehrkosten für die inländische Produktion werden auf rund 600 Mio Fr. geschätzt, was dem Preis von 60 Panzern entspricht. Nach Berechnungen des EMD würden damit in der privaten Rüstungsindustrie der Schweiz während Jahren rund 1000 Arbeitsplätze gesichert. Nebst diesen kommerziellen Überlegungen sprachen im Vergleich mit dem in die Evaluation einbezogenen Konkurrenzprodukt, dem amerikanischen Abrams M1, Geschützkaliber, Feuerkraft und Beweglichkeit für das deutsche Modell; einzig in bezug auf die Sicherheit der Mannschaft schnitt der «Leopard» schlechter ab. Der neue Panzer würde ab 1988 als Gegenschlagswaffe in den Mechanisierten Divisionen der Feldarmeekorps verwendet
[13].
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) mass dem Panzerkauf höchste Dringlichkeit bei. Die vom Bundesrat getroffene Wahl und die Fabrikationsbedingungen unterstützte sie mit dem Hinweis, Know-how und Infrastruktur würden damit gesichert. Begrüsst wurde das Geschäft ebenfalls von den drei bürgerlichen Regierungsparteien, während die Linke vorsichtig, aber mahnend auf Schwachstellen der Vorlage hinwies: Finanziell stosse der teure «Traumpanzer der Generäle» an die Grenzen der Möglichkeiten eines Kleinstaates, warnte die SPS; die POCH verglich die Kaufsumme mit den seit 1975 eingesparten Bundessubventionen im Sozialbereich
[14].
Mit 113 586 Unterschriften wurde die von den Sozialdemokraten lancierte
Initiative für ein Rüstungsreferendum fristgerecht eingereicht. Die Idee, dem Volk bei Rüstungskäufen und anderen Militärkrediten die Möglichkeit einer erweiterten Mitsprache zu gewähren, war 1979 vom Parteitag der Sozialdemokraten gegen den Willen der SPSGeschäftsleitung durchgesetzt worden. In der Folge hatten sich Teile der Partei gegen den Beschluss gestellt und der Initiative ihre Unterstützung verweigert. So musste es die SPS zulassen, dass knapp ein Drittel der benötigten Unterschriften von der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) mit einer deutlich armeekritischeren Motivation gesammelt worden waren
[15]. Noch im Berichtsjahr beschloss der Bundesrat, vorwiegend aus militärpolitischen Überlegungen dem Parlament zu beantragen, das Volksbegehren ohne Gegenvorschlag zu verwerfen. Die Referendumsmöglichkeit gegen Militärkredite würde nach Ansicht der Landesregierung die Beschaffung von Kriegsmaterial erschweren, verzögern und verteuern
[16].
Als Spätfolge der Affäre um den Panzer 68 fand im Bereich der Rüstungsbeschaffung eine administrative Reorganisation statt. Durch koordinierte Zielsetzungen und eine straffere Führung versuchte der Bundesrat die Existenz der eidgenössischen Rüstungsbetriebe und die ihnen zukommende Rolle für den Rüstungssektor sicherzustellen. Den von privaten Experten empfohlenen Abbau von 500 Stellen lehnte er dagegen ab
[17].
[10] Vgl. Gesch.ber., 1983, S. 191. Zusammenhang der Rüstungspolitik mit der Finanzpolitik vgl. unten, Teil I, 5 (Finanzplanung). Rolle der Rüstungsbeschaffung im Rahmen der Wirtschaftspolitik vgl. unten, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik) sowie P. Hug, «Arbeit durch Rüstung. Ein Dossier», in Friedenszeitung, Nr. 19, Febr. 1983.
[11] NZZ, 19.1.83 ; 22.2.83 ; Ww, 3, 26.1.83; Presse vom 17.2.83. Botschaft des BR : BBl, 1983, I, S. 1113; Presse vom 25.3.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 50.
[12] Ww, 10-12, 9.-23.3.83; Presse vom 9.3.83; NZZ, 16.3.83. NR-Kommission: Presse vom 7.4.83. StRKommission: NZZ, 1.9.83. NR-Debatte: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1099 ff., 1210; Presse vom 27.9.83. StRDebatte: Amtl. Bull. StR, 1983, S. 548 f.; Presse vom 6.10.83. Vertragsabschluss: NZZ, 8.11.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 45.
[13] Presse vom 25.8.83; Ww, 35, 31.8.83. Vorgeschichte: SGT, 20.8.83; TLM, 23.8.83; BaZ, 24.8.83.
[15] Unterschriftensammlung: Bund, 15.1.83; NZZ, 11.4.83; TA, 12.4.83. Einreichung: Presse vom 20.5.83. Kritische Kommentare zur SAP-Beteiligung: NZZ, 8.1.83; 13.4.83. Vgl. auch SPJ, 1981, S. 50 ff.; 1982, S. 45 ff.
[16] Presse vom 27.10.83.
[17] BaZ, 9.4.83 ; Bund, 9.4.83; NZZ, 9.4.83 ; TA, 9.4.83 ; Gesch.ber., 1983, S. 192 ff. Für die linke Kritik an der Rüstungsindustrie vgl. Waffenplatz Schweiz. Beiträge zur schweizerischen Rüstungsindustrie und Waffenausfuhr, Bern 1983, sowie B. Fux / E. Nadai, «Strukturen des militärisch-industriellen Komplexes in der Schweiz», in Schweiz. Zeitschrift für Soziologie, 9/1983, S. 257 ff.
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