Année politique Suisse 1983 : Chronique générale / Défense nationale
 
Waffenplätze
Deutlich zugespitzt haben sich in den letzten Jahren die Widerstände gegen den Ausbau militärischer Ausbildungsplätze; weiterhin steht dabei die Kontroverse um den geplanten Waffenplatz in Rothenthurm im Vordergrund [18]. Nachdem das 1982 eingeleitete Enteignungsverfahren für ein Infanterie- und ein Aufklärungsgelände die Konfliktfronten weiter verhärtet hatte, unternahm Bundespräsident P. Aubert zum Jahresbeginn noch eine Vermittlungsaktion. Ihr Scheitern beantworteten radikale Waffenplatzgegner mit gewalttätigen Ausschreitungen. Die Landesregierung beantragte in ihrer Botschaft für die militärischen Infrastrukturanlagen einen Kredit von 108 Mio Fr. für den Bau des projektierten Waffenplatzes. In seiner Begründung unterstrich der Vorsteher des EMD, G.-A. Chevallaz, wenn der Bundesrat in dieser vorwiegend durch ausserparlamentarische Aktivitäten politisierten Frage nachgeben würde, wäre dies ein schweres Präjudiz nicht nur für weitere militärische Anlagen, sondern auch für Autobahn- und Flughafenbauten [19].
Angesichts dieser unnachgiebigen Haltung lancierten die betroffenen Rothenthurmer, unterstützt vom World Wildlife Fund (WWF), ein bereits ausgearbeitetes Volksbegehren. Es verlangt, dass Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und nationaler Bedeutung als Schutzobjekte zu erklären seien. Anlagen dürften hier nur erstellt werden, wenn sie der Aufrechterhaltung des Schutzzweckes oder der bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung dienten. Nach dem 1. Juni 1983 erstellte. Bauten müssten nach einer Annahme der Initiative zulasten der Erbauer abgebrochen werden [20].
Unter dem Druck der ausserordentlich rasch wachsenden Unterschriftenzahl für das Volksbegehren entstand vorübergehend ein Klima der Konzessionsbereitschaft. Noch sehr zurückhaltend deutete Bundesrat Chevallaz in einer Ansprache vor der Solothurner Offiziersgesellschaft an, dass er den berechtigten Naturschutzinteressen möglicherweise weiter als bisher entgegenkommen wolle. Nachdem die zuständige Ständeratskommission einen Zusatzbericht über den militärischen Wert des geplanten Aufldärungsgeländes verlangt hätte, signalisierte der Vorsteher des EMD, dass er mit dem Bau dieses Waffenplatzteiles bis zur Abstimmung über die lancierte Initiative im Jahre 1987 oder 1988 zuwarten wolle.
Eine neue Wende nahm die Angelegenheit, als die Militärkommission der kleinen Kammer mit 7:4 Stimmen beschloss, am Kreditbegehren des Gesamtbundesrates festzuhalten und damit das Waffenplatzprojekt in Rothenthurm als Ganzes zur Realisierung zu empfehlen [21]. Obwohl darauf der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) und die Sozialdemokraten ihre bis anhin befürwortende Haltung zum Projekt aufgaben und die Unterstützung der Unterschriftensammlung beschlossen, liess sich der Ständerat nicht umstimmen. Um ein klares Zeichen zugunsten der Landesverteidigung zu setzen, folgte er dem Antrag seines Kommissionspräsidenten H.U. Baumberger (fdp, AR) und bewilligte die ganze Kreditvorlage für militärische Bauten. Zuvor hatte der Rat einen Rückweisungsantrag, den der Sozialdemokrat E. Belser — unterstützt von den beiden Schwyzer Standesherren — gestellt hatte und der das Aufklärungsgelände aus dem Projekt herausnehmen wollte, mit 30:11 Stimmen abgelehnt. Auch der Nationalrat lehnte entsprechende Anträge ab und bewilligte mit 88:31 Stimmen den Kredit. Mit Blick auf die mehr als 160 000 eingereichten Unterschriften für die «Rothenthurm-Initiative» versicherte Bundesrat Chevallaz in der Volkskammer, man werde fest handeln, ohne stur zu sein. Damit hielt er sich die Option offen, vor dem Entscheid über das Volksbegehren den Ausbau des durch sie betroffenen Aufklärungsgeländes nicht zu forcieren [22].
Angesichts eines wachsenden Zielkonfliktes zwischen dem Schutz der Umwelt, der Erhaltung der Landwirtschaft und der Förderung des Tourismus einerseits sowie dem Bau neuer Waffen- und Schiessplätze anderseits scheint der Bundesrat ein Ausweichen ins Ausland nicht mehr völlig auszuschliessen. So beantragte das EMD, finanzielle und neutralitätsrechtliche Abklärungen für eine zukünftige Ausbildung von Berufspiloten des Überwachungsgeschwaders auf der italienisch-amerikanischen Militärbasis Decicomannu in Sardinien vorzunehmen [23].
 
[18] Vgl. SPJ, 1981, S. 50 f.; 1982, S. 46 f.
[19] Das Enteignungsverfahren in Rothenthurm beschäftigte die Öffentlichkeit mehrmals; vgl. Presse vom 27.1.83 (Auskunftsverweigerung der Gemeinde Rothenthurm), vom 3.5.83 (Fehler im Enteignungsverfahren) und vom 4.6.83 (Einsprachen). Vermittlungsaktion : Presse vom 4.1.-12.1.83. Proteste nach dem Scheitern : Presse vom 14.1.83. Botschaft des BR: BBl, 1983, II, S. 38 ff. ; Vat., 5.2.83; Ww, 7, 16.2.83; Presse vom 26.2.83. Vgl. auch TA, 20.1.83 (G.-A. Chevallaz).
[20] Eine vom WWF im Vorfeld der Lancierung durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass 62% der bereits informierten Schweizer Gegner, 17% Befürworter des Waffenplatzprojektes waren (Presse vom 22.1.83; zur Kritik: Bund, 14.6.83 ; NZZ, 8.8.83). Lancierung der Initiative: BBl, 1983, I, S. 907 ff. ; Presse vom 8.3.83 ; Ww, 11, 16.3.83; vgl. auch Panda, 16/1983, Nr. 4. Finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde Rothenthurm: Vat., 3.5.83.
[21] Entgegenkommen von BR Chevallaz: NZZ; 18.4.83; 29.4.83; TA, 18.4.83; BaZ, 19.4.83; 5.5.83; Vat., 5.5.83. Haltung der StR-Kommission: Presse vom 27.4.83; 21.5.83 und 24.5.83. Vgl. auch Vat., 27.5.83; Presse vom 1.6.83; NZZ, 14.6.83.
[22] Reaktion des SBN: BaZ, 26.5.83; TA, 30.5.83; vgl. auch SBN, Moore. Gefährdete Naturlandschaften, Rorschach 1983. Haltung der SPS: NZZ, 24.6.83; 12.9.83; Vat., 16.8.83. Unmittelbar nach Beginn der Unterschriftensammlung hatte die POCH ihre Unterstützung angekündigt (Vat., 22.3.83). StR-Debatte : Amtl. Bull. SIR, 1983, S. 300 ff.; Presse vom 22.6.83; NZZ, 27.6.83. NR-Debatte: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1253 ff.; TA, 26.9.83; Presse vom 29.9.83. Einreichung der Unterschriften: BBl, 1983, IV, S. 198 ff.; Presse vom 18.6.83 und 17.9.83.
[23] Ww, 1, 5.1.83; NZZ, 13.1.83; AT, 15.1.83; Friedenszeitung, Nr. 23, Juni 1983.