Année politique Suisse 1983 : Economie / Agriculture
Agrarpolitik
Die Frage des Staatsinterventionismus beherrschte auch 1983 die Diskussion in der Agrarpolitik. Jean-Claude Piot, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, sprach sich an der schweizerischen Landmaschinenschau in Lausanne «Agrama 83» gegen «noch mehr Staat» aus und plädierte für eine verstärkte Eigenverantwortung der Bauern ; der Preis der Freiheit — Erfolg und Misserfolg — müsse auch in der Landwirtschaft Geltung haben. Ziel dieser Äusserungen war namentlich die Futtermittelinitiative, welcher Piot vorwarf; sie beraube den Bauern seines Status als freien Unternehmers
[2]. Gegen die einzelbetriebliche Futtermittelkontingentierung sowie weitere handelspolitische Schutzmassnahmen wandte sich auch die «Neue Zürcher Zeitung»; sie befürchtete, solche interventionistischen Exzesse könnten das unternehmerische Selbstverständnis der Bauernschaft verkümmern lassen
[3]. In ihrem Leitbild für eine künftige Landwirtschaftspolitik lehnt sodann die CVP dirigistische Eingriffe ab. Sie befürwortet jedoch Massnahmen wie staatliche Förderungsbeiträge, welche nur leitbildgemässen Familienbetrieben zukommen sollen, sowie Ausgleichszahlungen für bäuerliche Betriebe in Berggebieten, um die Zahl der gewerblich-industriellen, bodenunabhängigen Tierhaltungsbetriebe abzubauen und die bodenabhängigen bäuerlichen Familienbetriebe zu fördern. Die CVP plädiert ferner für die Entlastung des Marktes in der Viehproduktion durch Veränderung des Preisverhältnisses zwischen Ackerbau- und Milchprodukten zuungunsten der MilchProduktion
[4]. In eine ähnliche Richtung zielt die Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) mit ihrer «Kleinbauern-Initiative», welche den bäuerlichen Familienbetrieb gegen nichtbäuerliche Betriebe («Tierfabriken») sowie gegen Importkonkurrenz schützen will. Die Initianten bezwecken ferner ein Plebiszit über die offizielle Agrarpolitik, der sie vorwerfen, sie lasse die Landwirtschaft «gesundschrumpfen» und stelle einseitig auf die unternehmerische und zuwenig auf die ökologische Leistungsfähigkeit ab
[5].
Aufgrund der sinkenden Hypothekarzinsen fiel die Kostenrechnung für die Preisbegehren des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) zur
Einkommenssicherung der Landwirtschaft niedriger aus als im Vorjahr und betraf vor allem die Anpassung der Richtpreise für grosses Schlachtvieh, Kälber und Schafe sowie die Heraufsetzung der Preise für Brotgetreide, Kartoffeln, Zuckerrüben und Raps. Die beantragte Paritätslohnerhöhung für die Talbauern betrug 3,5% und für die Bergbauern 5,1 %. Trotzdem empörten sich weite Kreise darüber, dass der SBV zu einem Zeitpunkt, wo manche Arbeitnehmer gegen Reallohnabbau kämpfen müssten, derartige Forderungen aufstelle. Als ebenso störend wurde es empfunden, dass die bäuerliche Einkommensverbesserung schwergewichtig über die Preise realisiert werden solle und somit Arbeitnehmer und Konsumenten empfindlich belaste
[6]. In seinem Entscheid kam der Bundesrat den Forderungen des SBV wie gewohnt etwa zur Hälfte entgegen; Gewinner waren — trotz der angestrebten Förderung des Ackerbaus und der Klein- und Mittelbauern — die Milchproduzenten und die Grossbauern. Der Bundesrat erhöhte den Milchpreis um 4 Rp. pro kg und passte die Preise für Konsummilch, Butter und Käse dieser Erhöhung an. Durch diese Beschlüsse wurde die Milchrechnung um weitere 40-44 Mio Fr. belastet. Der Bundesrat verzichtete vorläufig darauf, die vielerseits kritisierte Verteuerung der importierten Fette und Öle zum Schutz der inländischen Milchprodukte zu erneuern. Um zu verhindern, dass ein Teil der etwa 13 000 Kuhhalter ohne Verkehrsmilchproduktion wieder zur Milchlieferung übergehe, erhöhte er ferner die Kuhbeiträge um 50 bis 100 Fr. Auf heftige Kritik der Arbeitnehmer- und Konsumentenorganisationen stiessen die Preisaufschläge der Grundnahrungsmittel Fleisch, Kartoffeln, Zucker und Brot. Diese Preisbeschlüsse des Bundesrates, welche die Produzentenpreise um durchschnittlich 3,5 bis 4% anhoben, gewährten den Talbauern eine Lohnerhöhung von 8,5 bis 10 Fr. — der Arbeitsverdienst pro Normalarbeitstag beträgt somit etwa 140 Fr. — und den Bergbauern eine solche von 10 bis 11 Fr. (Arbeitsverdienst etwa 90 Fr.). Die Mehrbelastung des Bundes um 60 bis 65 Mio Fr. blieb jedoch angesichts der zusätzlichen Mehreinnahmen von 30 bis 35 Mio Fr. noch unter der Belastung des Vorjahres.
Während der SBV die Ergebnisse dieser Preisrunde als Minimum betrachtete, äusserten Arbeitnehmer- und Konsumentenorganisationen zusammen mit den Klein-, Mittel- und Bergbauernorganisationen ihre Unzufriedenheit darüber. Von kleinbäuerlicher Seite wurde bemängelt, dass solche Preisrunden nur für «rationell wirtschaftende» Talbetriebe günstig seien ; solange keine Abstufung der Produzentenpreise nach Produktionskosten eingeführt werde, würden — so die VKMB — die Reichen noch reicher, und für die Kleinen falle nichts ab. Die VKMB verlangte daher, dass die Milchpreiserhöhungen nur jenen Bauern zugute kommen sollten, welche weniger als 50 0001 Milch pro Jahr abliefern. Die Konsumenten- und Arbeitnehmerorganisationen ihrerseits kritisierten am System der landwirtschaftlichen Einkommenssicherung, dass es den Paritätslohn über die Preise realisiere. Dies sei einerseits unsozial, da es vor allem weniger Bemittelte und grosse Familien belaste, und andererseits als agrarpolitisches Steuerungsmittel untauglich, da Preiserhöhungen geradezu zu Produktionssteigerungen ermunterten; gerechter wären Direktzahlungen an Bauern aufgrund der Flächenbewirtschaftung (Flächenbeiträge)
[7].
Wenn somit die Preisdifferenzierung bei den Preisrunden von Bundesrat und SBV abgelehnt wurde, hiess das Parlament bei der Beratung des revidierten Bundesgesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft doch eine stärkere Differenzierung der Kinderzulagen gut, wie wir an anderer Stelle ausführen werden
[8].
Ein weiterer Versuch zur Verbesserung der Situation der Bergbauern wurde bei der Erneuerung des Bundesgesetzes über die Bewirtschaftungsbeiträge an die Berglandwirtschaft für die Periode 1985-1989 unternommen, welches vom EVD in die Vernehmlassung geschickt wurde. Dieser Entwurf schlägt eine Erhöhung der Beiträge des vergangenen Jahrfünfts um 40% auf 540 Mio Fr. vor und soll einen Zonenausgleich schaffen
[9].
[2] SGT, 11.2.83; Vat., 11.2.83; vgl. auch IBZ, 3, 21.1.83; Lib., 19.3.83.
[4] CVP Schweiz, Der bäuerliche Familienbetrieb. Lagebeurteilung, Leitbild und Grundlagen für die künftige Landwirtschaftspolitik, Bern 1983; Presse vom 14.7.83.
[5] Zur Kleinbauerninitiative vgl. unten, Tierische Produktion, sowie Teil III b (Landwirtschaft). VKMB: NZZ, 12.1.83; 13.12.83; 21.12.83; Presse vom 24.1.83; Ww, 4, 26.1.83; Bund, 2.6.83 sowie unten, Teil III b (Landwirtschaft). Verhältnis von Landwirtschaft und Ökologie: AT, 19.3.83; SGT, 7.5.83; SZ, 29.12.83; vgl. auch SPJ, 1979, S. 93. Zum Kampf der kleinen und mittleren Bauern gegen die industrielle Landwirtschaft und gegen die bundesrätliche Agrarpolitik vgl. E. Därendinger, Der Engerling, Zürich 1983.
[6] Bund, 3.1.83; IBZ, 11, 18.3.83; 12, 25.3.83; 16, 22.4.83; Presse vom 14.4.83; vgl. auch: NZZ, 14.5.83; 16.5.83; TW, 11.6.83; SZ, 18.6.83. Vgl. ferner SPJ, 1982, S. 80.
[7] Preisbeschlüsse: IBZ, 23, 7.6.83; 25, 24.6.83; 26, 28.6.83; Presse vom 21.6.83 und 1.7.83; TW, 22.6.83; 24.6.83; 1.7.83; SGB, 20, 23.6.83; Jahresbericht des Schweizerischen Bauernverbandes, 86/1983, S. 291:, 56 f., 58 ff. ; vgl. auch SGT, 25.6.83 ; BaZ, 8.7.83 ; SZ, 1.8.83. Beiträge an Kuhhalter ohne Verkehrsmilchproduktion : AS, 1983, S. 335, 709. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 81.
[8] Vgl. unten, Teil I, 7c (Familienzulagen).
[9] Vernehmlassung: Presse vom 8.9.83; IBZ, 44, 1.11.83; Vat., 8.11.83; 16.11.83; 21.11.83; NZZ, 22.12.83; vgl. auch SPJ, 1980, S. 83.
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