Année politique Suisse 1983 : Infrastructure, aménagement, environnement / Protection de l'environnement
Abfälle
1976 hatte sich in der oberitalienischen Stadt Seveso ein Chemieunfall ereignet, bei dem hochgiftiges Dioxin an die Umwelt gelangte. Als Muttergesellschaft der betroffenen Icmesa AG war der Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-La Roche verantwortlich für die von schädlichen Abfällen verursachte Umweltkatastrophe
[34]. 1983 wurde die Öffentlichkeit durch die Frage beunruhigt, wo die 41 Fässer mit 215 g Dioxin und rund 2,5 t verseuchter Erde aus Seveso verblieben seien. Zu Jahresanfang mehrten sich die Hinweise, dass die ursprüngliche Version, das Material lagere in einer offiziellen Giftdeponie Europas, nicht stimmte und der genaue Standort den Verantwortlichen nicht bekannt war. Erschreckt durch diesen neuen Skandal tauchten in den Medien einem Schwarzpeterspiel vergleichbar verschiedene Gerüchte über den
Verbleib der Seveso-Fässer auf. Mit dem Vorwurf des Vertrauensbruchs riefen verschiedene in- und ausländische Organisationen zu Boykottmassnahmen gegen die Firma Hoffmann-La Roche auf
[35].
Diese wurde von der Bonner Regierung aufgefordert, die Öffentlichkeit über den Verbleib der Fässer zu informieren. Sie lehnte jedoch die Verantwortung ab und verwies auf die bundesdeutsche Firma Mannesmann, welche sich als Hauptgesellschaft für die ordnungsgemässe Lagerung der Abfälle verpflichtet habe. Später musste der Basler Chemiekonzern jedoch eingestehen, die Beseitigung sei seiner Kontrolle entglitten
[36]. Aus dem Berner Bundeshaus konnte man nach einer Umfrage bei den Kantonen mitteilen, es hätten sich keinerlei Hinweise für eine unbewilligte Lagerung in der Schweiz ergeben. Hingegen befänden sich weitere 133 Fässer mit nur schwach verseuchter Seveso-Erde zu Experimentierzwecken in Dübendorf
[37]. Nur zwei Tage später erfuhr die gespannte europäische Öffentlichkeit, das gesuchte Gift sei in Nordfrankreich gefunden worden. Während eines halben Jahres hätten die Fässer, als Teer deklariert, unbeaufsichtigt in einem alten Schlachthof in Angouilcourt bei Saint-Quentin gestanden
[38].
Von verschiedener Seite wurde nach dieser Entdeckung die moralische Verantwortung der Schweiz für die Übernahme der Zwischenlagerung betont. Die Basler Chemieunternehmungen meldeten, die Verbrennung des Dioxins biete keine grundsätzlichen Schwierigkeiten mehr. Der Bundesrat und die Basler Regierung gaben hierauf die Einwilligung für die vorläufige Lagerung bei der Firma Hoffmann-La Roche
[39]. Unter der Oberaufsicht des BUS begannen unverzüglich die Vorarbeiten für die Entsorgung. Eine für Frühjahr 1984 angekündigte Vernichtung in Basel wurde jedoch noch vor Jahresende abgesagt, da beim Verbrennungsofen der Ciba-Geigy Kapazitätsprobleme auftauchten und die benötigten Bewilligungen der eingesetzten Expertenkommissionen nicht vorlagen
[40].
Abfalldeponien beginnen auch unabhängig von spektakulären Unfällen eine erhöhte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 1983 wurde erstmals im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Abfallwirtschaft die Zusammensetzung der 2,4 Mio t Abfälle in der Schweiz analysiert. Die Hälfte entfiel auf organische Stoffe wie Holz, Küchen- oder Gartenabfälle, ein Viertel auf Karton und Altpapier. Im Rest waren die Kategorien Kunststoffe, magnetische Metalle und Glas namhaft. Es wurde die Forderung laut, angesichts der Verschwendung von Rohstoffen und Energie den Abfallberg durch dringend nötige Verhaltensänderungen zu verkleinern oder ihn mindestens wiederzuverwerten
[41].
[34] Vgl. SPJ, 1976, S. 116. Chronik seit 1976: Ww, 22, 8.6.83. Erläuterungen über Dioxin: BaZ, 3.5.83.
[35] NZZ, 14.1.83; 5.3.83; TW, 5.3.83; BaZ, 6.3.83. Boykott: Wochen-Zeitung, 15, 22.4.83.
[36] Forderung der BRD-Regierung: BaZ, 6.4.83. Erste Reaktionen der Hoffmann-La Roche: Presse vom 7.-12.4.83. Schweizerische Selbstkritik: BaZ, 13.4.83; 22.4.83; BZ, 14.4.83; NZZ, 18.4.83; Ww, 15, 20.4.83. Zusammenfassend: TAM, 17, 7.5.83. Anklage des EG-Parlaments und des Europarates: BaZ, 15.4.83; 27.4.83; NZZ, 15.4.83. Gesetzgebung der EG: BaZ, 6.5.83.
[37] TA, 4.5.83; 14.5.83; Presse vom 17.5.83.
[38] Presse vom 20.5.83. Parallel zur Suche der Fässer liefen die letzten Vorbereitungen für den Prozess gegen die fünf Hauptverantwortlichen der Icmesa AG, der jedoch zweimal vertagt werden musste (Wochen-Zeitung, 14, 15.4.83; 25, 1.7.83; 38, 30.9.83; Bund, 18.4.83; BaZ, 13.5.83).
[39] Bereitschaft der Basler Chemie: BaZ, 21.5.83. «Moralische Verpflichtung» der Schweiz: Presse vom 17.5.83; NZZ, 18.5.83; 3.6.83; BaZ, 3.6.83. Behördliche Bewilligung: Presse vom 2.6.83. Reaktionen: BaZ, 10.6.83. Transport in die Schweiz: Presse vom 6.6.83.
[40] TA, 7.6.83; BaZ, 15.6.83; 20.7.83; 5.9.83; 26.11.83; Ww, 34, 31.8.83; NZZ, 17.11.83.
[41] Vat., 23.4.83; BaZ, 31.5.83; SGT, 4.6.83; LNN, 20.10.83. Recycling: Vr, 4.5.83; NZZ, 21.5.83; Vat., 4.10.83; Gemeinde und Umweltschutz, hg. von der Aktion Saubere Schweiz, 1983.
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