Année politique Suisse 1983 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Alters- und Hinterlassenenversicherung
Die 10. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung kam 1983 wieder ein Stück voran, indem die seit 1979 daran arbeitende AHV/IV-Kommission die Früchte ihrer Tätigkeit endlich vorweisen konnte. Ihre zu Beginn des Jahres bekanntgemachten Vorschläge galten dabei gemäss Auftrag von Bundesrat und Parlament hauptsächlich den Frauenanliegen sowie dem flexiblen Rentenalter, und zwar unter möglichster Wahrung der Kostenneutralität. Ihre Anträge, das Rentenalter der Frauen von 62 auf 63 Jahre anzuheben, ohne aber gleichzeitig die individuelle Rentenberechnung für die Ehefrauen (Einkommenssplitting) einzuführen sowie eine vorzeitige Pensionierung von ein oder zwei Jahren mit lebenslänglichen Rentenkürzungen von 7 bzw. 14% zu verbinden, stiessen bei den Frauenorganisationen und Gewerkschaften auf heftige Kritik. Anderseits bemängelten die Arbeitgeber, dass die Vorlage der Kommission nicht ohne Mehrausgaben zu verwirklichen wäre. Aufgrund der starken Widerstände wies schliesslich Bundesrat Egli den vorgelegten Entwurf zur nochmaligen Überprüfung an die Kommission zurück. Die bereinigten Anträge der Kommission enthielten dann gegenüber der ursprünglichen Fassung zwei wesentliche Abstriche. Die Einführung eines flexiblen Rentenalters wurde nicht mehr vorgeschlagen, und auf Sondermassnahmen zugunsten Versicherter mit Beitragslücken wurde verzichtet. Festgehalten wurde dagegen an der Erhöhung des Rentenalters für Frauen, der getrennten Auszahlung der Ehepaarrenten, der Gleichstellung der Frauen mit den Männern bei der Beitragspflicht, der Besserstellung der geschiedenen Frauen sowie der Einführung einer Witwerrente. Zudem griff die Kommission neue Vorschläge des Parlaments bzw. des Bundesrates auf wie eine gegenüber der AHV vorgezogene Teilrevision der IV (feinere Rentenabstufung) und der EL sowie eine verstärkte Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung. Während sich die Arbeitgeber über die bereinigten Kommissionsvorschläge nicht unzufrieden äusserten, drohten die Frauenorganisationen sowie der SGB mit dem Referendum, falls Bundesrat und Parlament den Anträgen der AHV/IV-Kommission folgen sollten. Die Frauen wie die Arbeitnehmer wollen keine Verschlechterungen hinnehmen und beharren auf den ursprünglichen Zielen der 10. AHV-Revision. Der SGB behält sich auch vor, allenfalls die 1983 von den kleinen linken Parteien eingereichte Volksinitiative zur Herabsetzung des AHV-Rentenalters trotz Vorbehalten doch noch zu unterstützen [4].
In Anwendung von Art. 33ter des AHV-Gesetzes beschloss der Bundesrat, die AHV-und IV-Renten auf Anfang 1984 an die seit 1982 erfolgte Lohn- und Preisentwicklung anzupassen. Die bei gleichbleibenden Beitragssätzen vorgenommene Erhöhung betrug in der Regel 11,29%. Entsprechend einem Antrag der AHV/IV-Kommission hob der Bundesrat zudem die für die Berechnung der EL massgebenden Einkommensgrenzen etwas stärker an als die Alters- und Invalidenrenten (d.h. um rund 14%). Um EL-Bezüger künftig vor Notlagen bei hohen Heim- oder Krankheitskosten zu schützen, soll schon bald eine diesbezügliche Gesetzesrevision durchgeführt werden. Gingen dem SGB die beschlossenen Leistungsverbesserungen im Hinblick auf die Existenzsicherung aller Rentner nicht weit genug, so lancierte die POCH in Luzern ein kantonales Volksbegehren mit dem Ziel, eine Standesinitiative für den jährlichen Teuerungsausgleich auf den Renten der AHV und IV zu erwirken [5].
Ohne Opposition beschloss das Parlament, eine erst in jüngster Zeit durch Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts klar bestätigte Lücke im AHV-Gesetz zu schliessen. Aufgrund unzutreffender Informationen meinten nämlich bislang viele Ehefrauen von im Ausland wohnhaften und obligatorisch versicherten Schweizerbürgern, dass sie automatisch zusammen mit ihren Männern versichert seien. Um den Folgen dieses Irrtums sowie einer Flut von Beschwerden seitens der Betroffenen und entsprechenden parlamentarischen Vorstössen zu begegnen, wurde eine Übergangsbestimmung verabschiedet, die es den genannten Frauen ermöglicht, sich ungeachtet ihres Alters innert zwei Jahren nachträglich und rückwirkend der freiwilligen Versicherung für Auslandschweizer anzuschliessen [6]. Die eidgenössischen Räte stimmten ferner einhellig einer Änderung des Bundesgesetzes über die EL zu. Der Bundesrat erhielt die Kompetenz, den seit. 1971 uneingeschränkten Abzug von Krankenkassenprämien für die Berechnung der EL künftig im Krankenhausbereich auf die Prämien für die Behandlung in der allgemeinen Abteilung eines öffentlichen Spitals zu begrenzen [7].
 
[4] Erste Vorschläge: TA, 28.1.83; NZZ, 31.1.83; Presse vom 9.2.83. Erste Reaktionen: TA, 14.2.83; 25.4.83; BaZ, 28.2.83; 25.4.83; TLM, 7.3.83. Rückweisung: NZZ, 20.5.83; TA, 20.5.83; 24 Heures, 20.5.83. Bereinigte Anträge und Reaktionen: Presse vom 22.12.83; SGB, 1, 12.1.84. Vgl. ferner die Vorstösse zur Einführung einer Witwerrente: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1505 (Postulat Hui, svp, BE, angenommen), zur Gleichstellung von Mann und Frau bezüglich des Rentenalters: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 504 f. (Motion Günter, Idu, BE, als Postulat angenommen), zur Ausdehnung des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 503 f. (Motion Müller, sp, BE, als Postulat angenommen) und Verhandl. B. vers.,1983, IV, S. 64 (Motion von NR Jelmini, cvp, TI). Volksinitiative: BBl, 1983, I, S. 1412 ff.; Presse vom 25.2.83. Vgl. SPJ, 1982, 5.130.
[5] Rentenerhöhung: Presse vom 1.6.83 ; 30.6.83 ; ZAK, 1983, S. 270 ff. und 462 ff. Vorstösse zur Anhebung der Minimalrenten: Amtl. Bull. StR, 1983, S. 471 ff. (Postulat Donzé, sp, GE, angenommen); Verhandl. B. vers., 1983, III, S. 89 (Motion von NR Zehnder, sp, AG). Zur Erhöhung der EL vgl. auch BaZ, 8.4.83; Bund, 18.6.83; NZZ, 20.6.83; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 995 f. (Postulat Zehnder, sp, AG, angenommen). Revision der EL: Presse vom 24.11.83; SGB, 36, 1.12.83. SGB zur Rentenerhöhung: SGB, 17, 2.6.83. POCH-Initiative: Vat., 22.9.83.
[6] BBl, 1983, II, S. 157 ff. (Botschaft); 1983, III, S. 1036 f.; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1105 ff. und 1555; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 358, 527 und 584; NZZ, 7.3.83; 15.3.83; 20.4.83; 20.9.83; Suisse, 15.3.83; TLM, 20.4.83; 24.6.83.
[7] BBl, 1983, III, S. 382 ff. und 1038; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1107 f. und 1554; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 359 und 584; NZZ, 24.6.83; 13.8.83; 20.9.83.