Année politique Suisse 1983 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Krankenversicherung
Obwohl auf die dringlichsten Reformpostulate wie eine bessere Absicherung der Kassenfinanzierung, die Bekämpfung der Kostenexplosion sowie die Beseitigung störender Leistungsmängel beschränkt, kam die Teilrevision der Krankenversicherung auch 1983 nur mühsam voran. Die Beratungen der zuständigen, seit November 1981 tätigen Kommission der grossen Kammer erwiesen sich als schwierig. In Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Regierung traf die Kommission einige Grundsatzentscheide. So soll zwar eine obligatorische Taggeld-, aber keine obligatorische Krankenpflegeversicherung eingeführt werden, da bereits gegen 98 % der Bevölkerung diesbezüglich vorgesorgt hätten. Die Krankenkassenprämien für Frauen sollen weiterhin um höchstens 10% über jenen der Männer liegen dürfen, und es soll auch keine selbständige Mutterschaftsversicherung geschaffen werden. Eine ganz entscheidende Rolle bei den Beratungen spielte angesichts der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen die Frage der Finanzierung der Versicherung. Die Defizite der anerkannten Krankenkassen sind alarmierend; sie betrugen 1982 trotz Prämienerhöhungen rund 115 Mio Fr. (1981: 117 Mio) [12].
Die Schwere des Finanzierungsproblems vermochte aber die Nationalratskommission sowenig wie den Bundesrat zu einer grundlegenden Neuregelung zu bewegen. Immerhin übernahm sie verschiedene Vorschläge der nationalen Sparkonferenz zur Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Kombiniert mit einer Jahresfranchise soll der Selbstbehalt der Patienten auf 20% heraufgesetzt und die Kostenbeteiligung ausser für Kinder, bei Mutterschaft und bei Präventivmassnahmen auf die Spitalbehandlung ausgedehnt werden. Die Einführung eines Bonus-Malus-Systems (Prämierung der Nichtinanspruchnahme von Kassenleistungen) lehnte die Kommission dagegen einstimmig und definitiv ab. Der von den Krankenkassen zu tragende Anteil an den Betriebskosten der Spitäler wurde auf maximal 60% festgelegt. Die Medikamentenpreise sollen freigegeben und die Kassentarife für technisch-apparative Leistungen durch Höchstansätze begrenzt werden. Ein Finanzierungsmodell mit risikogerechten Prämien und Prämienverbilligungen über Steuerrückvergütungen, das von der Schweizerischen Vereinigung der privaten Kranken- und Unfallversicherer eingebracht worden war, wies die Kommission mit Stichentscheid ihres Präsidenten Eggli (sp, ZH) zurück. Ungehalten über den Gang der Teilrevision der Krankenversicherung sowie über die beabsichtigte hälftige Übertragung der Subventionierung der Krankenkassen vom Bund auf die Kantone waren insbesondere die betroffenen Kassen, die Gewerkschaften und die politische Linke; sie wollen nötigenfalls das Referendum ergreifen und eigene Initiativen lancieren [13].
 
[12] Kommission: Presse vom 29.1.83; Vat., 24.8.83 (Finanzierung); vgl. SPJ, 1982, S. 133 f. Zur Prämiengleichheit für Mann und Frau vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1113 f. (Motion Grobet, sp, GE / Deneys, sp, NE, als Postulat angenommen). Vgl. ferner K. Häfliger, Die Teilrevision der Krankenversicherung, Aarau 1983. Zur Kostenentwicklung im Gesundheitswesen vgl. oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik). Defizite : Die Volkswirtschaft, 56/1983, S. 16*; NZZ, 9.7.83; 29.7.83.
[13] Finanzierung und Sparkonferenz: Presse vom 30.8.83; ferner Vat., 24.8.83 (einschliesslich Finanzierungsmodell); NZZ, 5.11.83; 12.11.83; 24 Heures, 8.11.83; vgl. oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik). Reaktionen: TA, 18.6.83; 10.11.83 (SGB) ; Ww, 32, 10.8.83; NZZ, 30.11.83 ; SGT, 3.12.83. Der SGB und die SP haben bereits einen Initiativtext ausgearbeitet (24 Heures, 13.4.84; TW, 14.4.84). Zum Abbau der Bundesbeiträge vgl. insbesondere NZZ, 6.9.83; TLM, 7.9.83 sowie oben, Teil I, 1d (Confédération et cantons); ferner Amtl. Bull. NR, 1983, S. 976 f. (Motion Vannay, sp, VS, über Verzicht auf Kürzung der Beiträge, als Postulat angenommen) und 118 f. (Motion der Fraktion PdA/PSA/POCH über eine sofortige Erhöhung der Beiträge, als Postulat angenommen).