Année politique Suisse 1983 : Politique sociale / Groupes sociaux
Ausländerpolitik
Mit seiner Ausländerpolitik musste der Bundesrat auch 1983 eine angemessene Antwort auf die oft gegensätzlichen Forderungen der Sozialpartner sowie jener Parteien und Organisationen finden, die überhaupt erst im Zusammenhang mit der sogenannten «Überfremdungsfrage» entstanden sind. Infolge der anhaltenden Arbeitslosigkeit sowie des
starken Andrangs von asylsuchenden Flüchtlingen hat das Ausländerproblem allmählich wieder schärfere innenpolitische Züge erhalten. Zu einer gesteigerten Beunruhigung hat sicher auch die Entwicklung des Ausländerbestandes beigetragen. Nach einem Tiefstand von 883 837 Jahresaufenthaltern und Niedergelassenen Ende 1979 (Höchststand 1974: 1 064 526) nahm die ausländische Wohnbevölkerung nämlich bis Ende 1982 wieder auf 925 826 Personen zu. 1983 war dann allerdings kein weiterer Zuwachs mehr zu verzeichnen (Ende Dezember: 925 551, davon 716 265 Niedergelassene und 209 286 Jahresaufenthalter). Erwerbstätig waren davon 57% (529 744, davon 405 175 Niedergelassene und 124 569 Jahresaufenthalter). Beschäftigt waren in der Schweiz auch noch 104 563 Grenzgänger sowie rund 100 000 Saisonarbeiter (Ende August). Ende 1983 waren die Ausländer mit 30% an der Gesamtzahl der Arbeitslosen beteiligt
[1].
Den Interessen der einheimischen Arbeitnehmer (Schweizer und Ausländer mit Niederlassungsbewilligung) sowie dem
Ziel der Stabilisierung der ausländischen Wohnbevölkerung Rechnung tragend, gab der Bundesrat die noch gesperrten Restkontingente des laufenden Ausländerjahres 1982/83 für das zweite Semester von Mai bis Oktober 1983 nicht vollständig frei. Insgesamt wurden somit die gemäss Fremdarbeiterregelung möglichen 10 000 neuen Jahresaufenthaltsbewilligungen nur zu 75 % ausgeschöpft und jene für Saisonniers zu 95%. Bei den Kurzaufenthaltsbewilligungen gab die Regierung hingegen auf Wunsch des Arbeitgeber-Zentralverbandes, des Gast- und Baugewerbes sowie einiger Kantone das ganze noch verbliebene Restkontingent frei (4000 von 8000 pro Jahr) und nicht bloss weitere 25 % wie geplant. Mit dem Bundesrat unzufrieden waren der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), die Angestelltenverbände, die SP und die Antiüberfremdungsparteien, die sich in der Vernehmlassung gegen eine Freigabe der Restkontingente schlechthin ausgesprochen hatten, während die Mehrheit der konsultierten Kantone, Parteien und Organisationen den Vorschlag der Regierung begrüsste
[2].
Die Teilrevision der
Verordnung über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer brachte auf Anfang November 1983 eine Neuverteilung der seit 1979 unveränderten kantonalen Fremdarbeiterkontingente. In der Regel wurden die Kontingente (Saisonniers und Jahresaufenthalter) der Grenzkantone sowie der Kantone mit Wanderungsgewinnen (AG, VD, ZH) etwas herabgesetzt und jene der Binnenkantone mit Wanderverlusten an Fremdarbeitern ein wenig erhöht. Gesamtschweizerisch blieben dagegen die Kontingente für Jahres- und Kurzaufenthalter unverändert, und die Höchstzahl der Saisonniers (110 000) darf künftig nicht mehr überschritten werden. U.a. zur Bekämpfung der Schwarzarbeit wurden Kurzaufenthalter (bis zu drei Monaten) nun auch in Saisonbetrieben zugelassen. Ferner wurden die nicht unter die Kontingentierung fallenden Einreisen, die rund 80% aller neu einreisenden Ausländer umfassen, leicht eingedämmt und die Kontingente für die Periode 1983/84 gleich ganz freigegeben. In der Vernehmlassung zu der neuen Regelung zeichneten sich weitgehend die gleichen Fronten ab wie schon bei der Frage der Behandlung der Restkontingente. Die Arbeitgeber verlangten eine flexiblere Verordnung und wiesen darauf hin, dass trotz Arbeitslosigkeit ein Mangel an bestimmten Arbeitskräften herrsche. Die Gewerkschaften ihrerseits traten für eine klar restriktive Politik ein und kritisierten insbesondere die fehlende Begrenzung der Zahl der Grenzgänger sowie die Einführung einer neuen Kategorie von Kurzsaisonniers
[3]. Eine Anpassung des Auswanderungsabkommens von 1964 mit Italien wurde dagegen mit Ausnahme der eigentlichen Überfremdungsgegner von allen Lagern begrüsst. Wie bereits mit 12 andern westeuropäischen Staaten vereinbart, können seit dem 1. Januar 1984 auch die italienischen Jahresaufenthalter bereits nach fünf statt wie bisher nach zehn Jahren eine Niederlassungsbewilligung erlangen. Die Verkürzung der Frist zum Familiennachzug von 15 auf 12 Monate kommt seit dem 1. November 1983 allen Jahresaufenthaltern, unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit, zugute
[4].
In seinen Stellungnahmen zu verschiedenen parlamentarischen Vorstössen, die u.a. von seiten der Nationalen Aktion (NA) im Anschluss an die knappe Verwerfung des revidierten Ausländergesetzes vom Juni 1982 unternommen worden waren, bekräftigte der Bundesrat mehrmals seine seit 1970 betriebene Stabilisierungspolitik
[5]. Einen Rückschlag erlitten die Bemühungen zur Integration der zweiten Ausländergeneration durch die ablehnende Haltung des Volkes gegenüber einer Erleichterung von deren Einbürgerung. Vor dem Hintergrund der Wahlerfolge der Überfremdungsparteien in den Kantonen Basel-Land, Genf und Zürich sowie der Wahlen ins eidgenössische Parlament
lancierte die NA zudem ein
neues Volksbegehren zur Begrenzung der Einwanderung. Nach diesem soll die Zahl der jährlich neu erteilten Daueraufenthaltsbewilligungen die Zahl der jeweils im Vorjahr ausgewanderten Daueraufenthalter auf keinen Fall mehr überschreiten dürfen. Eine auf 15 Jahre begrenzte Übergangsbestimmung sieht zudem vor, die jährlich auswandernden Daueraufenthalter gar nur zu zwei Dritteln zu ersetzen, solange :in der Schweiz mehr als 6,2 Mio Menschen leben. Die Presse sah in dieser sechsten Überfremdungsinitiative seit 1965 trotz ihres eher gemässigten Inhalts den «alten Ungeist» walten und hielt fest, die NA sehe nach wie vor in den Ausländern die Wurzel aller Probleme. Der SGB erklärte das Begehren gar vollends für unannehmbar. Eine weitere Initiative lancierte die NA ferner im Kanton Luzern mit dem Ziel, den Bauunternehmern, die Saisonniers beschäftigen, jegliche Aufträge von Kanton und Gemeinden zu entziehen. Um einen allfälligen Gegenvorschlag seitens des Parlaments zu verhindern, rief daraufhin der Gewerbeverband in Inseraten zu einem Boykott der Unterschriftensammlung auf
[6].
Wie nötig Anstrengungen zur Verbesserung der rechtlichen und menschlichen Situation der Ausländer sowie des Zusammenlebens zwischen In- und Ausländern sind, beweisen verschiedene
Fälle von offener fremdenfeindlicher Diskriminierung. In diesem Sinn gelangten rund 120 Organisationen mit einer Petition an den Bundesrat. In verschiedenen Städten der Deutschschweiz wurde im Oktober ein Aktionstag zur Förderung der Kontakte zwischen jungen Ausländern der zweiten Generation und jungen Schweizern von der Eidgenössischen Kommission für Ausländerprobleme (EAK) in Zusammenarbeit mit Jugendverbänden durchgeführt. Diese Kommission hat ausserdem in einem Bericht die Probleme der national gemischten Ehen aufgezeigt und darin u.a. eine Verbesserung der Rechtsstellung der ausländischen Ehegatten von Schweizerinnen gefordert
[7].
[1] Arbeitslosigkeit: vgl. oben, Teil I, 7a (Marché du travail); NZZ, 19.1.83; 31.12.83; Mitteilung der Eidg. Kommission für Ausländerprobleme. Flüchtlinge: vgl. oben, Teil I, 2 (Asile politique); Bund, 11.2.83; AT, 12.2.83; SP-Information, 139, 9.5.83. Ausländerbestand: Die Volkswirtschaft, 57/1984, 5.186 ff.; Presse vom 11.2.83. Ende 1979 hatte der Anteil der Erwerbstätigen nur 55,5% betragen (490 709, davon 361569 Niedergelassene und 129 140 Jahresaufenthalter).
[2] AS, 1983, S. 460 ff.; NZZ, 5.3.83; 29.3.83; 19.4.83; TA, 5.3.83; TW, 8.3.83; 11.5.83; SGB, 11, 7.4.83; 14, 28.4.83; 22, 21.7.83; SAZ, 16, 21.4.83; Presse vom 28.4.83; 24 Heures, 10.5.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 138.
[3] Neuregelung: AS, 1983, S. 1446 ff.; Presse vom 5.7. und 27.10.83. Vernehmlassung: NZZ, 30.6.83; 18.8.83; 6.9.83; 23.9.83; BaZ, 24.8.83; 9.9.83; 17.9.83; wf, Dok., 39, 26.9.83 (Arbeitgeber). SGB: NZZ, 22.7.83; 9.12.83; Suisse, 22.7.83; SGB, 24, 1.9.83; 32, 27.10.83; Presse vom 10.12.83; TA, 10.12.83; Vr,19.12.83; Motion Reimann (sp, BE) zur Frage der Saisonniers (Verhandl. B.vers., 1983, V, S. 66 f. ). Vgl. auch SP-Information, 149, 12.10.83.
[4] Abkommen : Presse vom 3.5.83 ; Vat., 13.7.83 (Haltung der NA); vgl. SPJ, 1965, S. 194 ff. Haltung des SGB : SGB, 15, 5.5.83; I, 12.1.84; Suisse, 22.7.83. Vgl. fernerAmd. Bull. NR, 1983, S. 1839 ff. (Motion Meier, na, ZH, und Interpellation Hofmann, svp, BE, zum Abkommen).
[5] Vgl. SPJ, 1982, S. 136 ff. sowie zu den Vorstössen Amtl. Bull. NR, 1983, S. 249 ff. (Motion der SP-Fraktion über verschiedene Aspekte der Ausländerpolitik, als Postulat überwiesen; Motion Gehen, na, BE, über eine Herabsetzung des Ausländeranteils, mit Ausnahme des als rassistisch eingestuften Punkts 2 entgegen einem Antrag Braunschweig, sp, ZH, auf Ablehnung als Postulat angenommen; Motion Meier über eine Begrenzung der Einwanderung, mit 117:2 Stimmen abgelehnt; Interpellation Jelmini, cvp, TI). Vgl. ferner Motion Meier über die Abschaffung der Eidg. Kommission für Ausländerprobleme, abgelehnt (Amtl. Bull NR, 1983, S. 1840 f.); Motion Leuenberger (sp, ZH) über die politische Tätigkeit von Ausländern (Verhandl. B.vers., 1983, I/II, S. 62); Motion Meier über die Schaffung von finanziellen Anreizen zur Förderung der Rückkehrwilligkeit arbeitsloser Ausländer (Verhandl. B.vers., 1983, III, S. 73).
[6] Einbürgerung: vgl. oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht). 1960 wurden 3 005 Ausländer eingebürgert, 1974 waren es 14 354 und 1983 noch 8 722 (Die Volkswirtschaft, 57/1984, S. 186 ff.). Eidg. Initiative der NA: BBl, 1983, III, S. 990 ff.;NZZ, 18.2.83;13.8.83; 12.10.83 ; Suisse, 18.2.83 ; 16.5.83 ; 12.10.83 ; Presse vom 2.5.83; 8.8.83;12.8.83. Vgl. ferner auch SPJ, 1968, S.104 f.; 1970, 5.131 f.; 1974, S. 115 ff.; 1977, 5.119 f. Haltung des SGB: SGB, 26, 15.9.83 ; Vr, 19.12.83. Zu den Wahlerfolgen der NA und der Vigilants vgl. auch oben, Teil I, 1e (Conseil national) und TA, 14.4.83. Initiative LU: LNN, 4.5.83; Vat., 4.5.83; TA, 13.5.83.
[7] Diskriminierung: 24 Heures, 23.3.83; BaZ, 15.8.83; 19.10.83; TW, 17.8.83; M. Ebel / P. Fiala, Sous le consensus, la xénophobie. Paroles, arguments, contextes (1961-1981), Lausanne 1983; L'Impact suisse, Nr. 181, Juli 1983. Petition: Presse vom 25.3.83; NZZ, 6.7.83. Aktionstag: Presse vom 28.10.83; TA, 29.10.83; NZZ, 31.10.83. Ausländische Ehegatten: NZZ, 20.1.83; Presse vom 16.2.83; JdG, 14.5.83; 16.5.83; 17.5.83. Vgl. ferner R. Fibbi, «Die italienischen Vereine in der Schweiz in einer Übergangsphase», in Widerspruch, Heft 6, 1983, S.76ff.
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