Année politique Suisse 1983 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Stellung der Frau
Seit den beiden bedeutsamen Verfassungsänderungen von 1971 und 1981 über die Gleichberechtigung der Geschlechter hat sich die rechtliche Stellung der Frau in unserer Gesellschaft in verschiedener Hinsicht erheblich verbessert. Auf dieser Linie bewegt sich insbesondere die weiterhin zügig vorangetriebene Eherechtsrevision [13]. Dass noch viel zu tun ist, bis sich Männer wie Frauen von ihren alten Rollenfixierungen lösen können, geht nicht nur aus dem Aktionsprogramm der SGB-Frauen von 1982, sondern auch aus jüngsten wissenschaftlichen Untersuchungen hervor [14]. Die negativen Einflüsse der wirtschaftlichen Rezession auf die Verwirklichung von Frauenpostulaten kamen an der nationalen Demonstration in Biel, mit welcher der internationale Frauentag 1983 begangen wurde, zum Ausdruck. Neben dem Recht auf Arbeit für alle Frauen (bzw. der Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit) sowie der Lohngleichheit von Mann und Frau wurden überdies der straflose Schwangerschaftsabbruch, ein verbesserter Mutterschutz und der Verzicht auf die Einbeziehung der Frauen in die Gesamtverteidigung gefordert [15]. Die Arbeitssituation der Frauen, die im Vergleich zu jener der Männer durch relativ niedrige Löhne, eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, Probleme beim beruflichen Wiedereinstieg sowie einen Mangel an Teilzeitstellen gekennzeichnet ist, ändert sich allerdings nur sehr langsam. Die Lohngleichheit aufgrund von Art. 4 BV lässt sich nur schwer durchsetzen, weil der Nachweis der Gleichwertigkeit einer Arbeit nicht leicht zu erbringen ist und weil allfälligen Klägerinnen schlicht die fristgerechte Kündigung droht [16].
Zudem begannen auch im Schuljahr 1982/83 immer noch deutlich weniger Mädchen als Knaben eine Berufsausbildung. Nach wie vor fiel die Wahl der Mädchen dabei zum grossen Teil auf Berufe aus dem traditionellen Frauenbereich mit eher kurzen Ausbildungszeiten [17]. Dass arbeitslose Frauen auf Stellensuche sich des öftern Prostitutionsangeboten ausgesetzt sahen, wurde in der Presse kritisch vermerkt. Forderungen nach einer Besserstellung der Opfer von Vergewaltigungen wurden insbesondere im Zusammenhang mit einem aufsehenerregenden Prozess in Genf laut, in dem die Täter einer kollektiven Vergewaltigung, die sich 1981 ereignet hatte, schwer bestraft wurden [18].
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Schwangerschaftsabbruch
Die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch stand vor allem im Zeichen des 1980 eingereichten Volksbegehrens «Recht auf Leben», von dem schon an anderer Stelle die Rede war. Die Anhänger einer Liberalisierung im Sinne der Fristenlösung verschoben die Lancierung einer neuen Initiative auf einen späteren Zeitpunkt, weil nun hauptsächlich die Bekämpfung des erwähnten Volksbegehrens sowie die Unterstützung der Mutterschutzinitiative im Vordergrund stehen soll. Ein entsprechender Beschluss der interessierten Parteien und Organisationen kam auch deshalb zustande, weil sich die bürgerlichen Kreise wegen der begrenzten Erfolgsaussichten eher zurückhaltend gaben und die Linke eine Fristenlösung ohne Krankenkassenentschädigung nicht mehr mittragen mochte. Als bislang einziges Ergebnis der in den 70er Jahren geführten Abtreibungsdebatte ist zu erwähnen, dass seit Neujahr 1984 sämtliche Kantone Schwangerschaftsberatungsstellen einzurichten haben [19].
 
[13] Zu den Verfassungsänderungen vgl. SPJ, 1971, S. 13 ff.; 1981, S. 147 f.; M. Chaponnière, Histoire d'une initiative. L'égalité des droits entre hommes et femmes, Zurich 1983. Eherecht: vgl. unten (Familienpolitik). Vgl. ferner M. Bigler-Eggenberger, «Die Lage der Frau im Recht der Arbeit und der Sozialen Sicherheit», in Schweiz. Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 27/1983, S. 1 ff.; Gewerkschaftliche Rundschau, 75/1983, S. 129 ff.; BaZ, 28.6.83 sowie oben, Teil I, 7a und 7c.
[14] Gewerkschaftliche Rundschau, 75/1983, S. 129 ff. (Aktionsprogramm); TA, 9.7.83 und TLM, 11.7.83 (Broschüre «Freisinnige Frauenpolitik»); TA, 11.1.83 und BaZ, 18.1.83 (Mitgliederbefragung des Bundes Schweiz. Frauenorganisationen zum Teil II des Berichts «Die Stellung der Frau in der Schweiz»; vgl. auch SPJ, 1982, S. 142). L. Gujer/E. Hunziker/R. Hungerbühler, Basler Frauenuntersuchung, Basel 1982; C. Ryffel, Männer in Familie und Beruf, Diessenhofen 1983.
[15] Kundgebungen in Biel und Zürich: 24 Heures, 2.3.83; BaZ, 5.-8.3.83; NZZ, 7.3.83; Suisse, 8.3.83 ; TW, 8.3.83. Vgl. auch oben, Teil I, 3 (Einbezug der Frau in die Gesamtverteidigung), 7c (Mutterschaftsversicherung) und unten, Schwangerschaftsabbruch; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1499 f. (Motion Huggenberger, cvp, ZH, über die Berücksichtigung der Zivilschutzdienstpflicht der Frauen im Arbeitsvertragsrecht, als Postulat überwiesen).
[16] Löhne: Presse vom 29.1.83 (erster Bundesgerichtsentscheid über den Wert der Arbeit im Haushalt). Im nichtlandwirtschaftlichen Bereich betrugen die Löhne der Frauen 1981 nur 67,8% jener der Männer (T.9, 5.2.83). Zum Wert der Hausfrauenarbeit vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1072 (einfache Anfrage Bacciarini, fdp, TI). Zu den Problemen bei der Durchsetzung von Art. 4 BV sowie zur ersten, im Mai 1982 von sechs Krankenschwestern aus der Stadt Zürich eingereichten Lohngleichheitsklage, die vom Bundesgericht wegen «formeller Rechtsverweigerung» ans kantonale Verwaltungsgericht zurückgewiesen wurde, vgl. TA, 9.4.83; 22.4.83; 12.11.83; BaZ, 13.4.83; 14.6.83; 28.6.83; 15.11.83. Frauenarbeitslosigkeit: TA, 19.5.83; NZZ, 31.12.83. Wiedereinstieg: VO, 3, 20.1.83; BaZ, 19.7.83; TA, 19.9.83 (Projekt des Nationalfonds von K. Ley / U. Streckeisen / A. Borkowsky); Vat., 7.11.83; G. Gendron / G. Hiestand / K. Stuebig, Le temps d'après, Lausanne 1982. Über eine parlamentarische Initiative Nanchen (sp, VS) vgl. oben, Teil I, 7c (Mutterschaftsversicherung). Teilzeitstellen : NZZ, 1.6.83 und TA, 2.6.83 (Studie «Die Frau von heute — eine Untersuchung zum Wesen der Frau»). Vgl. auch oben, Teil I, 7a (Salaires).
[17] Die Volkswirtschaft, 56/1983, S. 708 ff. Von den 16-19jährigen besuchten im Schuljahr 1982/83 67% der Knaben und 46% der Mädchen eine Berufsschule, während es fünfJahre vorher erst 64% bzw. 38 % gewesen waren. Vgl. unten, Teil I, 8a (Bildungspolitik).
[18] Prostitutionsangebote: BaZ, 18.3.83; SGT, 18.3.83. Gewalt an Frauen: BaZ, 3.3.83; 14.5.83; Vat., 5.3.83; Ww, 19, 11.5.83; 26, 29.6.83; TLM, 9.11.83; TA, 25.11.83; 26.11.83; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 530 (Interpellation Deneys, sp, NE, zum Bericht «Gewalt an Frauen in der Schweiz»). Prozess in Genf: Tout Va Bien, Nr. 184, Febr. 1983; TLM, JdG und 24 Heures vom 1.-11.3.83; Motion Christinat (sp, GE, 101 Mitunterzeichner) über Aufnahme der bandenmässigen Begehung als Straftatbestand ins StGB, eingereicht (Verhandl. B. vers., 1983, I/II, S. 43 ; 24 Heures, 17.3.83; Suisse, 11.6.83). Zur Vergewaltigung von Frauen in der Ehe vgl. oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[19] Recht auf Leben: vgl. oben, Teil I, 1b (Grundrechte) und 7b (Gesundheitspolitik). Fristenlösungsinitiative: Suisse, 16.1.83; 19.1.83; 26.1.83; NZZ, 25.1.83; BaZ, 26.1.83; TW, 8.2.83; SP-Information, 147, 19.9.83; vgl. SPJ, 1982, S. 141 f. Mutterschutzinitiative: vgl. oben, Teil I, 7c (Mutterschaftsversicherung). Beratungsstellen: NZZ, 13.12.83; TLM, 13.12.83. Zum Bundesgesetz, auf dem die erlassene Verordnung beruht, vgl. SPJ, 1981, S. 148 f.