Année politique Suisse 1983 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Berufsbildung
Die Einführungsgesetze zum Bundesgesetz über die Berufsbildung wurden in weiteren Kantonen (Aargau, Schaffhausen, St. Gallen, Waadt) verabschiedet. Sie fielen meistens nicht zur Zufriedenheit der politischen Linken und der Arbeitnehmerorganisationen aus; diese verzichteten jedoch darauf, das Referendum zu ergreifen [29]. Um so stärker versuchten sie dafür, die noch laufenden Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen; in den Kantonen Freiburg und Tessin lancierten sie Petitionen für eine bessere Berufsbildung [30].
Auf nationaler Ebene wurde erneut von verschiedenen Seiten eine Revision des Berufsbildungsgesetzes angestrebt. Einige Gewerbeschullehrer bemängelten öffentlich, dass sich durch die Erweiterung des Fächerangebots der Schwerpunkt der Ausbildung zu stark auf den Fachunterricht verschoben und die Allgemeinbildung an Bedeutung verloren habe; die immer wichtiger werdende Flexibilität gehe verloren und die Lehre werde zur Schmalspurausbildung. Bundesrat und BIGA bestritten den behaupteten Abbau der allgemeinen Fächer; im Gegensatz zum Fachunterricht aber sei ein Aufstocken derselben nicht mehr möglich, da die Lehrlinge sonst überlastet seien [31]. Mit einer ähnlichen Kritik wartet die von 26 Parlamentariern mitunterzeichnete Motion Carobbio (psa, TI) auf, welche das Berufsbildungsgesetz der beschleunigten technischen und wirtschaftlichen Entwicklung anpassen will; sie fordert eine Verminderung der Zahl der Berufslehren und eine möglichst vielseitige Berufsausbildung [32]. Eine Anpassung der Ausbildungspläne an die moderne Technologie empfiehlt auch die Arbeitsgruppe des BIGA «Informatik in Berufslehren»; die Informatik sei mittelfristig in den Pflichtunterricht zu integrieren [33]. In einer Eingabe an das BIGA ersuchte der Schweizerische Gewerkschaftsbund darum, die Rechtsunsicherheit des Berufsbildungsgesetzes bezüglich der Verlängerung der Berufslehre wegen längerer Absenzen zu beheben und missbräuchlichen Praktiken den Riegel zu schieben [34].
Die Zahl der Anlehren erreichte auch 1983 noch nicht die befürchteten 5%, obwohl ihre Tendenz in einigen Kantonen ansteigend ist. Im Kanton Tessin wurde bisher auf die Anlehre überhaupt verzichtet und dafür ein eigener, im Berufsbildungsgesetz nicht vorgesehener Ausbildungsgang für praktisch Bildungsfähige angeboten [35].
Das Lehrstellenangebot hat im grossen und ganzen der Entwicklung der Lehrlingszahlen standgehalten [36]. Auffallend ist jedoch die Diskrepanz zwischen den gewünschten und den sich anbietenden Lehrstellen; im Wettlauf um die Wunschberufe sind dabei Primarschüler, Ausländer und Mädchen stark benachteiligt. Der Gesamtbestand der Berufsschüler vergrösserte sich um 2% auf 235 800. Die Lehrlingsquote (Anteil der Lehrlinge an der 16 bis 19jährigen Bevölkerung) liegt nun bei 56% (1977/78: 51 %); abgenommen hat die Zahl jener, die nach dem obligatorischen Schulbesuch auf eine Weiterbildung verzichteten (Quoten: 1977/78: 31 %; 1982/83: 25%) [37]. Erstmals machten sich bei den Lehrlingen die geburtenschwachen Jahrgänge bemerkbar: Die Zahl der Neueintritte sank im Vergleich zum Vorjahr um 0,5%; in Basel-Stadt und -Land, in Solothurn, Thurgau und Schaffhausen gingen gar die Zahlen der Gesamtheit aller Lehrlinge zurück.
Eine Untersuchung über das Lehrlingsverhalten verweist auf den wachsenden Trend zu einem Zwischenjahr (Unterbruch zwischen obligatorischer Schule und Berufslehre), was jedoch die Aussicht auf eine gute Lehrstelle nicht nachweisbar verbessert. Ebenso steigt die Zahl der Lehrabbrüche weiter an: In Zürich, Bern und Genf bricht jeder siebte seine Lehre ab, vier Fünftel davon beginnen später aber nochmals eine Ausbildung [38]. Nach ihrem Lehrabschluss werden immer mehr Lehrlinge mit der sinkenden Nachfrage nach frisch ausgebildeten Arbeitskräften konfrontiert: In der Metallbranche wurden mehr als ein Drittel der Lehrlinge nach ihrem Abschluss nicht mehr im selben Betrieb beschäftigt; einige Grossbetriebe sind bereits dazu übergegangen, den ausgebildeten Lehrlingen fünfzigprozentige Kurzarbeitsstellen anzubieten. Ausdruck der Knappheit der Arbeits plätze ist auch der verstärkte Zustrom aus den krisengeschüttelten Branchen zu den Höheren Technischen Lehranstalten [39].
 
[29] Die Linksparteien kritisierten beispielsweise, dass die Meisterlehre gegenüber der Ausbildung in Lehrwerkstätten ein zu grosses Gewicht habe und dass weder Stützkurse für leistungsschwache Berufsschüler noch ein Bildungsurlaub oder eine zusätzliche Ferienwoche für Leiter von Jugendgruppen gesetzlich verankert wurden (AT, 18.5.83; 8.6.83; 11.6.83; welsche Presse vom 26.5.83; 24 Heures, 22.6.83).
[30] Freiburg: Welsche Presse vom 18.2.83; Lib., 4.3.83; 7.7.83; 23.9.83; 1.12.83; 2.12.83; TLM, 7.7.83. Tessin: CdT, 5.10.83; 17.12.83; 21.12.83; 31.12.83.
[31] BaZ, 23.3.83; Bund, 19.4.83; vgl. SPJ, 1978, S. 138 f.; 1980, S. 147; 1981, S. 154; 1982, S. 146.
[32] Verhandl. B.vers., 1983, III, S. 45.
[33] Presse vom 21.12.83.
[34] NZZ, 22.11.83; 12.12.83.
[35] In AG stieg der Anteil der Anlehren von 1% (1982) auf 2,6% (AT, 14.1.83) in SG machen die Anlehren 1,25% aller Lehrverträge aus (SGT, 8.6.83). Zum Ausbildungsgang für praktisch Bildungsfähige vgl. Presse vom 7. u. 8.10.83.
[36] Vat., 6.9.83 ; 10.12.83 ; 21.12.83 ; 24.12.83. Eine Ausnahme bildete der Kanton TI, wo die Regierung grosse Anstrengungen unternehmen musste, um für 700 Jugendliche eine Lehrstelle zu finden (CdT, 24.6.83; 2.8.83; 17.9.83; 29.9.83; TA, 8.10.83; Bund, 7.11.83; Vat., 7.12.83).
[37] AT, 14.1.83; Bund, 26.3.83; TA, 18.7.83. Der Anteil der Frauen an der Gruppe jener, die sich nach dem. Schulobligatorium nicht mehr weiterbilden, betrug 1977/78, 68,5% und 1982/83, 66%.
[38] Soziologisches Institut der Universität Zürich, Die 1963er: Zwischen Schule und Beruf (1983); Bund, 3.3.83; Vr, 3.3.83; BaZ, 14.9.83.
[39] NZZ, 15.1.83; Ww, 4, 26.1.83; BaZ, 25.2.83; TA, 16.7.83.