Année politique Suisse 1984 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei
Im Rampenlicht stand 1984 vor allem die Sozialdemokratische Partei (SP). Ging es doch nicht nur um ihren künftigen Platz im politischen System, sondern auch um ihren inneren Zusammenhalt. Der Bruch wurde vermieden; das Ringen zwischen den beiden Haupttendenzen, den meist jüngeren, mehr auf die neuen Probleme des Umweltschutzes, der Frauenemanzipation, des Weltfriedens oder der Entwicklungsländer ausgerichteten Kräften zur Linken und dem traditionellen, stark gewerkschaftlich verankerten Teil der Partei mit vorwiegend sozialpolitischen Interessen zur Rechten, führte zu wechselnden Ergebnissen [9].
Die verschiedenen Standpunkte zur Frage der Regierungsbeteiligung, welche die Partei zu Anfang des Jahres auf eine Zerreissprobe stellten, sind bereits dargelegt worden [10]. Das Drängen der Geschäftsleitung und des Parteivorstandes zum Rückzug in die Opposition wurde von den traditionellen Kräften, die sich seit den 70er Jahren die Zügel hatten aus der Hand nehmen lassen, als grundlegende Herausforderung empfunden. So kam es auf dem Parteitag vom 11./12. Februar in Bern zu einer noch nie erreichten Mobilisation. Hatten sich von den rund 1100 Sektionen der SPS in den vorangegangenen Jahren jeweils nur etwa 300—500 vertreten lassen, so taten dies nun deren 858 mit 1317 Delegierten. Parteipräsident Helmut Hubacher sprach vom «Landsturm», der angerückt sei. Dieser versetzte die in den Leitungsorganen dominierenden Austrittsbefürworter mit 773 gegen 511 Stimmen in die Minderheit. Die vor dem Parteitag ernsthaft erwogene Möglichkeit, einen knappen Entscheid der Delegierten erstmals wieder seit 1921 einer Urabstimmung zu unterwerfen, wurde angesichts dieses Ergebnisses fallengelassen [11].
Während die Geschäftsleitung ihre Niederlage durch die Propagierung einer oppositionelleren Politik und einer gewissen Disziplinierung ihrer Behördevertreter erträglich zu gestalten versuchte, stellte der linke Flügel sein Verhältnis zur Partei grundsätzlich zur Diskussion. Im März wurden an einer Tagung in Biel verschiedene Kónzepte erörtert: Austritt und Bildung eines nationalen «Forums» für die gesamte Linke — Gründung einer «Tendenz» innerhalb der Partei mit eigener Organisation — lockere Verbindung der Linken als «nationale Koordination», aber keines vermochte sich durchzusetzen. Man beschloss, das Problem regional, je nach den vorliegenden Verhältnissen anzugehen. Eine weitere Tagung im Herbst konzentrierte sich auf politische Sachfragen [12].
Vom rechten Flügel her rief man zunächst mehr oder weniger offen nach einem Wechsel in der Parteileitung [13]. Im August trat eine Art Fronde von 32 amtierenden oder ehemaligen Mandatsträgern auf, die öffentlich gegen die Unterstützung der Atominitiative durch den Parteivorstand Stellung nahm, ohne aber personelle Forderungen damit zu verbinden [14]. Erst im Vorfeld des ordentlichen November-Parteitags wurde der Ruf nach einer Erneuerung der leitenden Organe wiederholt. Nun war es namentlich der eher zum Zentrum zählende St. Galler Ökonom und Nationalrat H. Schmid, der persönliche und politische Konsequenzen aus dem Parteitagsentscheid vom Februar verlangte [15]. Doch der «Landsturm» liess sich nicht noch einmal aufbieten; die Zahl der vertretenen Sektionen fiel wieder unter 500. Hubacher wurde mit triumphaler Mehrheit als Präsident bestätigt und auch die Geschäftsleitung nicht im Sinne ihrer Kritiker erneuert. Anderseits besiegelte die Parteispitze ihren Frieden mit dem gegen ihren Willen in die Landesregierung gewählten Otto Stich; die im Vorjahr unterlegene Lilian Uchtenhagen unterliess es allerdings nicht, ihn vor seinen Beratern zu warnen. Auch von einer Verschärfung der statutarischen Bestimmungen für die Träger öffentlicher Ämter wurde abgesehen. Entgegen einer Erklärung der Geschäftsleitung vom Februar wandten sich Parteiführung wie Delegierte gegen ein förmliches Verbot für nichtoffizielle Kandidaten, solche Ämter anzunehmen ; von Fall zu Fall sollte eine politische Konfliktlösung gesucht werden. Die Einheit der Partei wurde also dadurch gerettet, dass in den Landesorganen die Linke in Führung blieb, ohne jedoch die Mandatsträger ernstlich an der Fortsetzung der Konkordanzpolitik zu hindern. Dies wird etwa durch das Beispiel illustriert, dass der November-Parteitag — gegen den Antrag des Vorstandes — die Beschaffung des Kampfpanzers «Leopard» ablehnte, die Nationalratsfraktion jedoch die Stimme freigab, worauf neun ihrer Mitglieder für die Vorlage stimmten, ohne dass sie von der Partei zur Rechenschaft gezogen wurden. Dem inneren Pluralismus der SPS entsprach es, wenn die im November gutgeheissene Statutenrevision die Bildung von themen- und interessenorientierten Arbeitsgemeinschaften quer durch die Sektionen ermöglichte. Damit kam sie auch dem auf der Linken vertretenen Konzept der «Tendenz» entgegen [16].
Die Sozialdemokratische Partei hatte auch mit organisatorischen Problemen zu kämpfen, die ihrerseits die inneren Verhältnisse belasteten. Mit der Untersuchung der bereits erwähnten Finanzkrise beauftragte die Geschäftsleitung eine Arbeitsgruppe; diese stellte Verletzungen der Sorgfaltspflicht durch leitende Funktionäre fest. Verschiedene Reorganisationsmassnahmen wurden an die Hand genommen, darunter die Einrichtung einer zentralen Mitgliederkartei, welche die Einhaltung der Beitragspflicht besser kontrollieren liesse [17]. Die umstrittene Frage, wie sich die Frauen in der SP organisieren sollten, fand am November-Parteitag eine offene Lösung: neben der Mitarbeit in den Sektionen oder in besonderen Frauengruppen innerhalb derselben wurde auch die bereits da und dort vorgenommene Bildung eigener Frauensektionen anerkannt. Angesichts der prekären Finanzlage mussten Projekte für ein zentrales Presseorgan fallengelassen werden [18].
Konnten demnach die Spannungen zwischen den gegensätzlichen Lagern in der Gesamtpartei einigermassen überbrückt werden, so boten die Sozialdemokraten in einigen Kantonen und Städten das Bild ernstlicherer Zerstrittenheit, namentlich im Verhältnis zwischen Parteiorganen und Behördevertretern. Von Baselstadt abgesehen, wo die SP der dissidenten Demokratisch-Sozialen Partei Regierungs- und Parlamentssitze wieder abzunehmen vermochte, kam der Konflikt in Zürich am schärfsten zum Ausdruck. Ein Versuch der städtischen Parteileitung, den Bruch mit den 1982 als Kandidaten der Gewerkschaften gewählten Exekutivmitgliedern zu reparieren, scheiterte am Widerspruch der Delegiertenversammlung; die Partei betrachtet sich somit weiterhin als nicht an der Stadtregierung beteiligt. Auch in Bern drohte es über der Nominierung von Kandidaten für die Stadtexekutive zum Konflikt mit dem lokalen Gewerkschaftsbund zu kommen; dessen Uneinigkeit verhinderte immerhin die Aufstellung gewerkschaftlicher Konkurrenten, nicht aber die Wiederwahl eines von der Partei nicht mehr portierten Mandatsträgers. Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich im Kanton Solothurn ab, wo sich Polizeidirektor G. Wyss weigerte, seinen Sitz zur Verfügung zu stellen und es der Partei zu erlauben, 1985 mit jüngeren Kräften in die Arena zu steigen.
Eine Bewegung in umgekehrter Richtung zeigte sich im Tessin, wo es der SP gelang, mit dem 1969 abgespaltenen Partito socialista autonomo, der sich von seinem revolutionären Marxismus wegentwickelt hat, ernsthafte Wiedervereinigungsgespräche aufzunehmen [19].
 
[9] Zu den beiden Tendenzen vgl. P. Hablützel in Ww, 46, 15.11.84.
[10] Standpunkte: vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung). Gegen einen Rückzug aus dem BR äusserte sich die Konferenz der sozialdemokratischen Regierungsvertreter in Bund, Kantonen und grossen Gemeinden (TA, 14.1.84) sowie die Mehrheit der SP-Fraktion der Bundesversammlung (Presse vom 30.1.84). Die BR Aubert und Stich unterstellten sich einem allfälligen Austrittsbeschluss der Partei (Presse vom 11.1.84).
[11] Parteitag: Presse vom 13.2.84; Rote Revue, 63/1984, Nr. 3. Sektionen: SP intern, Nr. 44 u. 52 (Beilage zu Rote Revue, 63/1984, Nr. 3 u. 12). «Landsturm»: TW, 18.2.84. Leitungsorgane: BaZ, 19.1.84 (Geschäftsleitung); Presse vom 23.1.84 (Parteivorstand). Urabstimmung: TW, 19.1.84; 8.2.84; TA, 9.2.84; NZZ, 10.2.84.
[12] Geschäftsleitung: Rote Revue, 63/1984, Nr. 3, S. 21; vgl. auch oben, Teil I, 1c (Parlament). Linker Flügel: SP-Info, Nr. 1, März 1984; Vr, 14.3.84; BaZ, 17.3.84; NZZ, 17.3.84; Rote Revue, 63/1984, Nr. 5, S. 1 ff. Tagungen: NZZ, 19.3.84; Vr,19.3.84; 10.9.84.
[13] So die NR Eggli (ZH) und Morel (FR): Blick, 13.2.84; Bund, 13.2.84; NZZ, 14.2.84;1 TA, 14.2.84; Ww, 7, 16.2.84.
[14] SP intern, Nr. 49 (Beilage zu Rote Revue, 63/1984, Nr. 9); vgl. dazu Blick, 20.8.84; Vr, 21.8.84 (Kritik Hubachers) sowie oben, Teil I, 6a (Politique énergétique).
[15] Schmid: LM, 14.11.84; SMUV-Zeitung, 46, 14.11.84; vgl. TA, 15.11.84. Schmid trat nach dem November-Parteitag, an dem er wegen seiner Opposition scharf kritisiert wurde, aus dem NR infolge Arbeitsüberlastung zurück (LNN, 19.11.84; BaZ, 11.12.84). Eine Erneuerung der Geschäftsleitung verlangte auch der neuenburgische Parteisekretär J. Studer (Le Point, no 102, oct. 1984).
[16] Parteitag vom 17./18.11. in St.Gallen: Presse vom 19.11.84; SP intern, Nr. 52 (Beilage zu Rote Revue, 63/1984, Nr. 12). Zur Frage der Amtsträger vgl. Vr, 23.11.84. Panzer: Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1751 f.; vgl. dazu LM, 20.12.84; ferner oben, Teil I, 3 (Rüstungsprogramm). Arbeitsgemeinschaften: Vr, 23.11.84; SP intern, Nr. 52.
[17] Zur Finanzkrise vgl. oben, Parteiensystem. Arbeitsgruppe: TW, 19.11.84; NZZ, 8.12.84 ; TA, 8.12.84; BaZ, 11.12.84. Reorganisation: Vr, 26.9.84; Bund, 5.11.84. Im Sommer trat C. Berger von der Leitung des Zentralsekretariats zurück (TW, 7.7.84; Bund, 21.9.84).
[18] Frauen: SP intern, Nr. 52 (Beilage zu Rote Revue, 63/1984, Nr. 12); vgl. dazu TW, 28.4.84; 30.4.84; LM, 29.4.84; NZZ, 30.4.84; Rote Revue, 63/1984, Nr. 6, S. 1. Presseorgan: AT, 29.10.84; TW, 30.10.84; vgl. auch SPJ, 1980, S. 194.
[19] Baselstadt: vgl. oben, Teil I, 1e (Elections cantonales, Bâle-Ville). Zürich: Vr, 2.3.84; 29.3.84; 5.4.84; 12.4.84; NZZ, 13.4.84; vgl. auch Vr, 9.5.84; 1.11.84 sowie SPJ, 1982, S. 31 u. 201. Bern: vgl. oben, Teil I, 1e (Elections communales, Beme). Solothum: SZ, 16.6.84; 24.9.84; 21.11.84. Tessin: CdT, 28.6.84; 15.9.84; 2.10.84; 29.10.84; 26.11.84; NZZ, 30.10.84.