Année politique Suisse 1984 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Christlichdemokratische Volkspartei
Weniger diskret als die FDP behandelte die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) ihre inneren Probleme, die vor allem mit ihrem umfassenden Integrationsanspruch und mit ihrer Stellung in der Mitte des politischen Kräftefeldes zusammenhängen.Unter dem Eindruck des Stimmen- und Mandateverlusts bei den Nationalratswahlen schritt sie zu einer grundlegenden Selbstkritik. Generalsekretär H. P. Fagagnini erklärte, die Partei habe es in Sorge um den inneren Ausgleich an Angriffigkeit fehlen lassen. Mit der Wahl des Tessiners F. Cotti für den zurückgetretenen Walliser H. Wyer wurde das Präsidium in jüngere Hände gelegt. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Basler eisten G. Schmid erhielt den Auftrag, Grundsätze, Image sowie innere und äussere Beziehungen der Partei zu überprüfen. Verschiedene ihrer Exponenten betonten, dass die CVP auch in ihrer Position der Mitte Eigenständigkeit und Originalität zeigen müsse [24]. Besondere Probleme stellt dabei freilich ihre Heterogenität, die sich nicht zuletzt auf das Verhalten der Bundeshausfraktion auswirkt. Während der neue Parteipräsident, seit 1983 selber im Nationalrat, eine glaubwürdigere Ausrichtung der Fraktion auf die Grundsätze der Partei wünschte, mahnte der gleichfalls neu gewählte Fraktionspräsident P. Zbinden (FR) die Parteiorgane, bei der Ausarbeitung ihrer Programme vermehrt auf deren Realisierbarkeit zu achten [25]. Die Spannung zwischen Praxis und Programm veranlasste die Junge CVP wiederholt zu abweichenden Abstimmungsparolen [26]. An inneren Differenzen scheiterte auch ein Versuch, an einer Tagung zu einer umweltpolitischen Standortbestimmung zu gelangen. Die Gruppe Handel, Gewerbe und Industrie der Fraktion distanzierte sich anderseits von den Referenden gegen die Innovationsrisikogarantie und das neue Eherecht und unterstützte damit die Partei gegen die Opposition des Gewerbeverbandes [27].
Die CVP des Kantons St. Gallen feierte ihr 150jähriges Jubiläum. Sie versteht sich als Nachfolgerin des 1834 gegründeten Katholischen Vereins, der als erste parteiartige Organisation des Kantons und der Schweiz überhaupt zur Sammlung der Opposition gegen die liberale Vorherrschaft gebildet wurde [28].
 
[24] Selbstkritik: NZZ, 13.2.84 (Fagagnini); Vat., 11.4.84; 1.5.84; 12.5.84; TA, 30.4.84. Präsidium: Presse vom 18.1.84 u. 11.2.84. Arbeitsgruppe: BaZ, 30.5.84. Eigenständigkeit: Vat., 1.5.84 (StR Binder; AG); 12.5.84 (Cotti); SGT, 21.9.84 (NR Zbinden, FR); BaZ, 25.10.84 (Cotti).
[25] F. Cotti in BaZ, 30.5.84; P. Zbinden in Vat., 8.9.84.
[26] Die Junge CVP befürwortete entgegen den Parteiparolen die Zivildienstinitiative (Vat., 23.12.83) sowie die Atom- und die Energieinitiative (NZZ, 10.9.84). Vgl. dazu oben, Teil I, 3 (Dienstverweigerung) und 6a (Politique énergétique).
[27] Umwelttagung: LNN, 8.10.84; Vat., 8.10.84. Referenden: Vat., 11.12.84; vgl. auch SZ, 17.11.84 sowie oben, Teil I, 4a (Strukturpolitik) und 7d (Politique familiale).
[28] SGT, 27.10.84; 29.10.84. Vgl. dazu 150 Jahre Christlichdemokratische Volkspartei des Kantons St. Gallen: 1834-1984, St. Gallen 1984; ferner P. H. Ehinger, Die Anfänge des liberalen Parteiwesens im Kanton St. Gallen, Diss. Zürich 1970, S. 17 f.; E. Gruner, Die Parteien in der Schweiz, 2. Aufl., Bem 1977, S. 26, 105.