Année politique Suisse 1984 : Chronique générale / Défense nationale
Rüstung
Auf dem Hintergrund der eingangs skizzierten stärker divergierenden Optionen im Bereich der Sicherheitspolitik war zu erwarten, dass das
Rüstungsprogramm 1984 die gegensätzlichen Lager aufeinander prallen liess. Die vom Bundesrat beantragte Summe von 2,79 Mia Fr. (1983: 1,6 Mia Fr.) schloss mit der angekündigten Beschaffung des Kampfpanzers «Leopard II» ein Teilstück von bisher unbekannter Grössenordnung ein. Gemäss dem bundesrätlichen Vorschlag hätten 35 Fahrzeuge beim bundesdeutschen Hersteller Krauss Maffei AG gekauft und bis 1992 175 Panzer im Lizenzbau in der Schweiz hergestellt werden sollen. Gegen Ende des laufenden Jahrzehnts wären sodann weitere 210 Panzer beantragt worden. Für das erste Los sah das Rüstungsprogramm 84 ohne Berücksichtigung der Teuerung eine Kaufsumme von 2,4 Mio Fr. vor; Schätzungen über den effektiven Gesamtaufwand aller 420 Fahrzeuge wurden ohne Teuerung auf 4,5 Mia Fr. veranschlagt. Die Leitung des schweizerischen Konsortiums wollte der Bundesrat der Bührle Tochtergesellschaft Contraves AG überantworten
[16].
Vorerst unbestritten blieben die militärische Notwendigkeit einer
Verstärkung der panzerbrechenden Kapazität der Armee sowie die vom Bundesrat vorgenommene Typenwahl. Das finanzielle Ausmass der Vorlage, respektive die Art der Beschaffung rief jedoch bei Bekanntwerden der Botschaft unterschiedliche Reaktionen hervor. Wohlwollend nahmen die FDP- und CVP-Parlamentarier die Rüstungsbotschaft auf
[17]; wegen der Beschaffungskadenz etwas auf Distanz gingen dagegen die SVP-Abgeordneten. Einen ersten Wirbel löste ein durch Indiskretion bekannt gewordener Brief von Parteipräsident A. Ogi an den Bundesrat aus. Darin sagte er der beteiligten Maschinenindustrie zu hohe Gewinne nach; zur Dämpfung von entstandenem Unmut regte der SVP-Präsident eine Überprüfung der Margen durch unabhängige Experten an
[18]. Der SPS-Vorsitzende H. Hubacher griff in seiner Kritik den wirtschaftlichen Teil der Panzerbeschaffung generell an. Statt des favorisierten Lisenzbaus stellte er eine ebenfalls beschäftigungswirksame, aber billigere Koproduktion mit dem deutschen Hersteller zur Diskussion
[19]. Daraufhin klammerte die vorberatende Kommission des Ständerates die Panzerbeschaffung aus dem Rüstungsprogramm aus; der Rest, der einerseits Übermittlungsgeräte, anderseits die Rapier-Beschaffung betraf, passierte in beiden Räten ohne Opposition
[20].
Nach zwei ergebnislosen Sitzungen präsentierte der Vorsitzende der ständerätlichen Militärkommission, J. Schönenberger (cvp, SG), einen neuen Kaufantrag für den
Kampfpanzer. Nicht rütteln wollte er am Lizenzbau; reduziert wurde hingegen die Gesamtzahl. Statt der insgesamt 420 Fahrzeuge, beantragte die Ständeratskommission nur noch 380 Panzer — jedoch in einem Schub; 35 davon sollten zu Vergleichszwecken in der Bundesrepublik Deutschland gekauft werden. Unter Berücksichtigung einer schnelleren Produktion wurden die Gesamtkosten vorerst auf 4 Mia Fr. begrenzt, später ohne Berücksichtigung der Teuerung auf 3,4 Mia Fr. festgelegt
[21]. Im Bundesrat passierte dieser Antrag ebenso wie im Plenum der kleinen Kammer, wo er ohne Gegenstimme gutgeheissen wurde. Opposition erwuchs ihm dagegen von der nationalrätlichen Militärkommission. Sie verlangte zusätzliche Abklärungen über die Kalkulation. Ein vom Unternehmensberater N. Hayek angefertigter Bericht kam zum Schluss, nicht nur 400, sondern 700 Mio Fr. könnten eingespart werden, wenn am Lizenzbau nicht festgehalten werde. Die bürgerliche Mehrheit der Militärkommission lehnte diesen Vorschlag jedoch ab und akzeptierte die Kaufversion der kleinen Kammer
[22].
Die bis anhin rein parlamentarische Kontroverse erhielt eine thematische Ausweitung, als sich ein 80köpfiges
Komitee aus dem linken Spektrum grundsätzlich gegen den Panzerkauf stellte. In Frage gestellt wurde die potentielle Gegenschlagskraft des Panzers und der Versuch, Arbeitsplätze in einer kapitalintensiven Branche zu schaffen. Am Parteitag der SPS erhielt diese ausserparlamentarische Bewegung ein bedeutendes Gewicht, lehnte doch eine Mehrheit der Delegierten entgegen den Anträgen der Parteileitung den Panzerkauf aus friedens- und finanzpolitischen Motiven ab
[23]. Die abschliessende Sitzung des Nationalrates stand unter dem Eindruck dieses Beschlusses. Die Mehrheit der grossen Kammer folgte jedoch den Anträgen ihrer Militärkommission. So lehnte sie einen von der POCH/PdA/PSA-Fraktion gestellten Nichteintretensantrag deutlich ab. Ebenfalls ohne Erfolg blieben eine Reihe verschiedenartig begründeter Rückweisungsanträge von seiten der Sozialdemokraten, der Grünen und des Landesrings. Unter Namensaufruf bewilligte der Nationalrat schliesslich mit 144 zu 46 Stimmen den Panzerkauf; er überwies überdies eine Motion, mit der eine effiziente und kompetente Projektorganisation verlangt wurde
[24].
Auf die im «Ausbauschritt 84/87» festgelegte Planung für die Rüstungsbeschaffung hatte die veränderte Kaufvariante des Kampfpanzers einschneidende Rückwirkungen. Um den auf 8,7 Mia Fr. begrenzten Kredit nicht zu sprengen, musste nach der Aufstockkung von 210 auf 380 Fahrzeuge in der laufenden Legislaturperiode eine neue Schwerpunktsetzung vorgenommen werden. Keine Änderung ergab sich bei der ersten Tranche des Sturmgewehres 90. Ebenfalls im Ausbauschritt belassen wurden der Lenkwaffen-Panzerjäger «Piranha», der taktische Tiefflieger-Radar «Taffir» und die Kampfwertsteigerung der Flugzeuge «Mirage» und «Tiger». Ohne Termin hinausgeschoben wurde dagegen der vorgesehene Panzerabwehr-Helikopter. Keinen Platz mehr fand ferner die Flab-Lenkwaffe «Stinger»
[25]. Eine neue Beschaffungswelle in Milliardengrösse zeichnet sich in der Ablösung des Erdkampfflugzeuges «Hunter» in den 90er Jahren ab
[26]. Bei der Ausrüstung des Wehrmannes wurde schliesslich eine verbesserte Schutzmaske sowie eine neue Uniform für das kommende Jahrzehnt angekündigt
[27].
Nach dem Ständerat nahm auch die grosse Kammer von den neuen Richtlinien zur Rüstungspolitik Kenntnis. Mit dem Bericht hatte der Bundesrat auf verschiedene parlamentarische Vorstösse zur Rüstungsbeschaffung reagiert, die im Gefolge der aufgetretenen Mängel beim Panzer 68 lanciert worden waren
[28]. Neue Probleme tauchten im Zusammenhang mit dem 1982 bewilligten Kauf von 1200 Armeelastwagen der Firma Saurer AG auf. Damals war der Antrag vor allem damit begründet worden, 550 Arbeitsplätze könnten in der krisengeschüttelten Firma bis 1988 gesichert werden. Wie bekannt wurde, hatte das EMD die Produktionszeit kurz nach dem Parlamentsentscheid bis 1985 verkürzt, ohne Garantien für die weitere Sicherung der Arbeitsplätze zu verlangen. Bei der Behandlung des Geschäftsberichts nahmen die Volksvertreter nur mit Widerwillen von dieser Änderung Kenntnis
[29].
[16] BBl, 1984, I, S. 921 ff.; Presse vom 1.3.84; vgl. auch SPJ, 1983, S. 50. Gesamtkosten : Blick, 6.3.84; TW, 15.3.84.
[17] Stellungnahmen FDP und CVP: NZZ, 14.2.84.
[18] Amtl. Bull. NR, 1984, S. 940; vgl. auch NZZ, 16.3.84. Brief von A.Ogi: Blick, 4.5.84; Presse vom 4.5.85.
[20] Amtl. Bull. StR, 1984, S. 536 ff.; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1137 ff.
[21] StR-Kommission: Presse vom 19.5.83; 6.6.84; 8.8.84; 29.8.84; 19.9.84.
[22] Bundesrat: NZZ, 18.9.84. Ständerat: Amtl. Bull. StR, 1984, S. 536 ff.; Presse vom 4.10.84. NR-Kommission: Presse vom 5.10.84; 16.11.84; 22.11.84. Bericht Hayek: Presse vom 12.11.84; TA, 16.11.84; 28.11.84.
[23] Komitee: Presse vom 22.9.84. SPS-Parteitag: Presse vom 19.11.84; TW, 21.12.84.
[24] Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1689 ff.; Presse vom 6.12.84; 7.12.84; Ww, 50, 14.12.84; BBl, 1984, III, S. 1488 ff.
[26] Vgl. exemplarisch NZZ, 10.1.84.
[27] Presse vom 16.4.84; 3.11.84.
[28] SPJ, 1983, S. 60; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 660 ff.; Presse vom 2.12.83; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 371 ff.; Presse vom 23.3.84; 27.3.84; Grundsätzliches: B. Schär-Kern, Das Problem der Rüstungsbeschaffung in der Schweiz, Diss. Bern 1983.
[29] Amtl. Bull. NR, 1984, S. 679 ff.; Presse vom 25.3.84; BaZ, 5.6.84; 8.6.84.
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