Année politique Suisse 1984 : Economie / Politique économique générale / Strukturpolitik
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Innovationsrisikogarantie
Wie wir in unserem letzten Jahresbericht ausführlich dargestellt haben, war das Projekt einer Innovationsrisikogarantie für kleine und mittlere Unternehmen (IRG) bereits vor seiner Publikation sehr umstritten. Seine Befürworter im EVD, die namentlich bei der SP und den Gewerkschaften Unterstützung fanden, sahen darin ein geeignetes und auch im Ausland bewährtes Mittel, der privaten Wirtschaft den Anschluss an den rasanten Technologiewandel zu erleichtern. Infolge der hohen Investitionskosten bei technologisch hochwertigen Innovationen gelingt es ihrer Meinung nach kleinen Firmen mit geringem Eigenkapital oft nicht, ihre Produkte bis zur Marktreife zu entwickeln [18]. Die Gegner — allen voran die Unternehmerverbände — erblickten demgegenüber in der Abdeckung des unternehmerischen Risikos durch den Staat eine systemwidrige Wettbewerbsverzerrung. Ein Vergleich mit der ähnlich konzipierten Exportrisikogarantie sei nicht statthaft, da es sich dort vorab um die Abdeckung von politischen Risiken handle. Zudem stellten sie in Abrede, dass in der Schweiz überhaupt ein echter Mangel an Risikokapital bestehe. Wolle der Staat etwas zugunsten der Bereitstellung von Kapital für risikoreiche Vorhaben unternehmen, so tue er besser daran, die Rahmenbedingungen insbesondere im fiskalischen Bereich zu verbessern. So sollte es beispielsweise den Aktiengesellschaften erlaubt werden, die ausgeschütteten Dividenden als Aufwand vom steuerbaren Gewinn abzuziehen. Damit und mit der Abschaffung der Stempelsteuer auf Emissionen könnte die Eigenfinanzierungskraft entscheidend erhöht werden [19]. Die FDP reichte in beiden Parlamentskammern Motionen ein, in denen sie neben der Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen den Abbau administrativer Auflagen sowie ein vermehrte Ausrichtung der Bildung und Forschung auf die Bedürfnisse der Wirtschaft forderte [20].
Da das bundesrätliche Projekt angesichts dieser starken Opposition nur geringe Verwirklichungschancen aufwies, erarbeitete das EVD auf Anregung der vorberatenden Ständeratskommission eine abgeschwächte zweite Vorlage. Das von Ständerat Muheim (cvp, UR) massgeblich initiierte Kompromisswerk reduziert die Rolle des Staates auf die eines Rückversicherers. Die Garantie wird nicht wie ursprünglich vorgesehen dem Unternehmer gewährt, sondern den privaten Risikokapitalgebern. Dabei hat der Unternehmer mindestens 20% der Kosten aus eigenen Mitteln aufzubringen und die rückversicherbaren Gelder (von Dritten zur Verfügung gestelltes Kapital resp. Bürgschaften) dürfen nicht mehr als die Hälfte der Projektkosten ausmachen. Im Gegensatz zum ersten Entwurf muss also eine bestehende oder zu gründende Firma auf jeden Fall aussenstehende Geldgeber finden, wenn ihr Vorhaben mittels staatlicher Leistungen gefördert werden soll. Damit entfällt auch die besonders kritisierte Projektbeurteilung und -begleitung durch die Verwaltung. Als ergänzende Massnahme ist ferner die steuerliche Begünstigung sowohl des Unternehmers (Wegfall der Stempelabgabe auf Emissionen) als auch der Risikokapitalgeber (Anrechnungsberechtigung von Verlusten) aufgenommen worden. Die Geltungsdauer des Beschlusses wurde auf zehn Jahre beschränkt und das Einlagekapital in die Rückversicherung — die im Prinzip langfristig selbsttragend sein soll — auf 100 Mio Fr. begrenzt [21].
Bei der Behandlung durch das Parlament zeigte sich, dass auch dieser Entwurf die Gegner einer Innovationsrisikogarantie nicht zu überzeugen vermochte. Die Fraktionen der FDP, der SVP und der Liberalen blieben dabei, dass es sich bei der IRG um ein systemwidriges, wettbewerbsverzerrendes Instrument handle. Dieses Argument gründete sich nicht zuletzt darauf, dass die an sich begrüssten Steuererleichterungen lediglich bei Inanspruchnahme der IRG gewährt werden sollen. Neben den sachlichen Argumenten war jedoch nicht zu überhören, dass bei der ganzen Auseinandersetzung auch die Unzufriedenheit der Freisinnigen mit dem zum erstenmal nicht aus ihrer Partei stammenden Vorsteher des EVD mitspielte. Immerhin waren die Reihen nicht ganz geschlossen. So sprach sich etwa im Nationalrat der Freisinnige Etique (JU) für das Projekt von Bundesrat Furgler aus, während sich umgekehrt Ständerat Kündig (cvp, ZG) im gegnerischen Lager befand. In beiden Kammern unterlagen die Nichteintretensanträge ungefähr im Verhältnis eins zu zwei. Die in den Detailberatungen noch gerinfügig modifizierte Vorlage passierte die Schlussabstimmung mit Stimmenzahlen von 26 : 8 resp. 114 : 56. Gleichzeitig hiessen die Räte einen Bundesbeschluss über die Finanzierung der IRG gut [22]. Mit der Überweisung einer entsprechenden Motion der Ständeratskommission gab das Parlament im weiteren dem Bundesrat den Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Ausleihe und Bildung von Risikokapital auch dann in den Genuss von Steuererleichterungen gelangt, wenn die IRG nicht in Anspruch genommen wird [23].
Wie bereits während der parlamentarischen Behandlung abzusehen war, ergriffen die Gegner der IRG unter Anführung des Gewerbeverbandes, dem sich mit dem Vorort auch die andere grosse Unternehmerorganisation anschloss, das Referendum. Dabei stützten sie sich neben den bereits erwähnten ordnungspolitischen Argumenten auch auf Umfragen unter ihren Mitgliedern, die diese Art staatlicher Innovationsförderung mehrheitlich ablehnten. Dieses Desinteresse ist freilich nicht überraschend, da einerseits nur ein kleiner Teil von ihnen im allein begünstigten Bereich der Entwicklung technologisch fortgeschrittener Produkte, Verfahren und Dienstleistungen tätig ist und ihnen andererseits von derartigen Innovationen unliebsame Konkurrenz erwachsen kann [24]. Die Banken, denen bei der Aufbringung und Vermittlung von Investionskapital eine wichtige Rolle zukommt, haben gegen die IRG in ihrer redimensionierten Form keine grundlegenden Einwände, obwohl auch' sie generelle fiskalische Entlastungen für Risikokapital vorziehen würden [25].
 
[18] Vgl. SPJ, 1983, S. 70; W. Jucker, « Erfahrungen und zukünftige Möglichkeiten der Technologieförderung», in Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 40/1984, S. 5 ff.; J. Elias, «Innovationsrisikogarantie – Eine existenznotwendige Massnahme», in E.A. Brugger (Hrsg.), Regionale Innovationsprozesse und Innovationspolitik, Diessenhofen 1984, S. 455 ff.; SGB, 29, 4.10.84.
[19] Vgl. T. Staehlin, «Finanzierungsprobleme der Klein- und Mittelbetriebe, namentlich Probleme bei der Versorgung mit Eigenkapital », in Politische Rundschau, 63/1984, Nr. 1, S. 20 ff. ; K. Basler, «Wirtschaftsfeindliche Steuerordnung», in NZZ, 7/8.1.84. Da für den BR diese Doppelbesteuerung von Aktiengesellschaft und Dividendenempfänger keine ins Gewicht fallende Benachteiligung der AG darstellt, lehnt er in seinem Entwurf für ein BG über die Steuerharmonisierung eine entsprechende Systemänderung ab (BBl, 1983, III, S. 54 ff.).
[20] Amtl. Bull. StR, 1984, S. 83 ff.; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 419 ff. Nachdem BR Furgler in seinen ausführlichen Antworten dargelegt hatte, dass sich der Bund stets für die Gewährung optimaler Rahmenbedingungen für die Wirtschaft einsetze, wurden beide Vorstösse als Postulate überwiesen. Für die finanzpolitischen Aspekte der FDP-Forderung siehe auch Politische Rundschau, 63/1984, Nr. 1, S. 60 ff.
[21] LNN, 18.2.84; NZZ, 5.4.84; Amtl. Bull. StR, 1984, S. 380 ff. (Text des überarbeiteten Entwurfs).
[22] Amtl. Bull. StR, 1984, S. 380 ff., 398 ff. und 593; Amt/ Bull. NR, 1984, S. 1223 ff., 1260 ff. und 1461; BBl, 1983, III, S. 88 ff. Finanzierungsbeschluss: Amtl. Bull. StR, 1984, S. 415; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1267.
[23] Amtl. Bull. StR, 1984, S. 415 ; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1266 f. Eine Motion Brahier (fdp, JU), die fiskalische Erleichterungen auch für sich umstrukturierende Unternehmen forderte, wurde demgegenüber von BR Stich bekämpft und von der kleinen Kammer nicht überwiesen (Amtl. Bull. StR, 1984, S. 481 ff.).
[24] Referendum: NZZ, 10.11.84; Vat., 11.11.84 (SGV); wf, Dok, 29.10.84 (Vorort); BBl, 1985, I, S. 488 f. Umfragen: NZZ, 22.6.84; 18.10.84; 30.10.84; 5.12.84; wf, Dok, 9.7.84. Bezüglich der Interessenlage der bestehenden Unternehmungen vgl. TA, 13.1.84. Zur Kritik an der IRG siehe im weitern Gewerbliche Rundschau, Nr. 3, Beilage zu Chef-Magazin, 16/1984, Heft 4; H. Letsch in NZZ, 2.5.84 und W. Linder in Schweizer Monatshefte, 64/1984, S. 857 f.
[25] SBV, Jahresbericht, 72/1983-84, S. 118 ; R.E. Gut, « Wirtschaftliche Strukturprobleme und Bankenpolitik », in SKA, Bulletin, 90/1984, Nr. 4, S. 9 ff. Zur nicht zuletzt durch Sicherheitsvorschriften limitierten Rolle der Banken auf dem Risikokapitalmarkt siehe auch die Artikelserie in TA, 13.4.84; 19.4.84; 24.4.84; 27.4.84; 4.5.84; 11.5.84 und 18.5.84.