Année politique Suisse 1984 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Grund- und Mittelschulen
Auf der Stufe der Primar- und Mittelschulen wurden die Reformen betreffend die äussere und die innere Koordination weitergeführt. Stärker als erwartet stimmte nach dem Nationalrat auch der Ständerat dem bundesrätlichen Gegenvorschlag für einen einheitlichen Schuljahresbeginn im Spätsommer zu. Auch wenn allgemein bedauert wurde, dass sich nun der Bund dieser Frage anzunehmen habe, nachdem sich die Kantone fast 15 Jahre lang nicht hatten auf eine gemeinsame Lösung einigen können, opponierten nur die Fraktionen der SVP, der Nationalen Aktion und der Liberalen gegen die Vorlage. So obsiegten denn in beiden Räten bildungspolitische über staatspolitische Erwägungen. Da diese Verfassungsänderung dem obligatorischen Referendum untersteht, werden Volk und Stände noch über die Frage des einheitlichen Schulbeginns zu befinden haben. Bei den weiteren Postulaten der äusseren Koordination der Primarschulen konnte mit Befriedigung festgestellt werden, dass die Kantone bezüglich Schuleintrittsalter (vollendetes 6. Lebensjahr), Primarschuldauer (9 Jahre) und Gesamtdauer der Schulzeit bis zur Maturität (12-13 Jahre) bereits seit einiger Zeit weitgehend übereinstimmen [5].
Von den Gegenständen der inneren Koordination ist die neue Mathematik schon in allen Kantonen eingeführt worden. Der Empfehlung der Erziehungsdirèktorenkonferenz von 1975, den Beginn des Unterrichts einer 2. Landessprache auf das 4. oder 5. Schuljahr anzusetzen, wird bereits in den Kantonen Baselstadt und Bern Folge geleistet, ebenso in den welschen Kantonen Genf und Neuenburg (alle ab dem 4. Schuljahr) und in Freiburg, Tessin und Wallis (im Tessin gar ab der 3. Klasse). 1984 wurde in Baselland und Solothurn die Vorverlegung des Französisch-Unterrichts beschlossen. Ein Entscheid, der für die Ostschweizer Kantone Orientierungsfunktion haben kann, wird in Zürich, nach einem breiten Vemehmlassungsverfahren, für 1985 erwartet. Auf weniger grosses Interesse stösst die Diskussion über die Vorverlegung des Französisch-Unterrichts in der Innerschweiz; der Erziehungsrat des Kantons Aargau seinerseits hat beschlossen, den Französisch-Unterricht erst ab dem 6. Schuljahr einzuführen [6].
Dem Verfassungsartikel über die gleichen Rechte von Mann und Frau, welcher explizit auch die Ausbildung nennt, wurde in weiteren Kantonen durch die Aufhebung des geschlechtsspezifischen Hauswirtschaftsunterrichts Rechnung getragen. 1984 führten die Kantone Jura, Neuenburg, Schwyz und Waadt das gemeinsame Hauswirtschaftsobligatorium ein, während in den Kantonen Freiburg und Wallis eine gleiche Ausbildung für Knaben und Mädchen abgelehnt wurde [7]. Zu einer breiten Diskussion kam es in Luzern über die kantonale Volksinitiative des VPOD für eine «gleiche Grúndausbildung für Mädchen und Knaben». Die ablehnenden Abstimmungsempfehlungen von Regierung und Parlament provozierten die POCH-Grossrätin Z'graggen zu einer staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesgericht. Gegen den Beschluss des Erziehungsrates des Kantons Zürich, die geschlechtsspezifische Ausbildung nur bei der Mittelstufe der Primarschule etwas zu lockern, rekurrierte der VPOD und die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, Nabholz-Haidegger, beim Gesamtregierungsrat und beim Bundesgericht [8].
Eine wachsende Lehrerarbeitslosigkeit infolge der sinkenden Schülerbestände und der steigenden Lehrerzahlen beschäftigte die Oeffentlichkeit in verstärktem Mass. Die Zahl der arbeitslosen Primarlehrer und -lehrerinnen hat sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt [9]. Diesem Missstand begegneten der VPOD und die Linksparteien mit der Forderung nach Teilung respektive Doppelbesetzung von Lehrerstellen [10]. Die Lehrerarbeitslosigkeit wird noch dadurch verstärkt, dass von der bisherigen Praxis, sinkende Schülerzahlen mit einer Reduktion der Klassengrösse aufzufangen, vermehrt abgerückt wird; in mehreren Kantonen wurden bereits im Rahmen von Sparmassnahmen planmässig Lehrerstellen abgebaut [11]. Gegen derartige Klassenschliessungen richtete sich eine im Kanton Bern eingereichte Volksinitiative, welche die Aufhebung von Schulklassen mit über 10 Schülern nur noch mit dem Einverständnis der betroffenen Gemeinde zulassen will. Dass der Souverän nicht überall bereit ist, den Bildungssektor in die Sparbemühungen einzubeziehen, zeigte eine Volksabstimmung in Baselstadt, in welcher eine Erhöhung der Höchstgrenze der Klassenbestände abgelehnt wurde [12].
Zwei Volksinitiativen aus entgegengesetzten Lagern belebten in der Westschweiz die Diskussion über die Schulreform. Im Kanton Genf gelangte die Volksinitiative der Liberalen Partei «L'école — notre avenir» zur Abstimmung, welche Vorgänge und Reformen im öffentlichen Schulwesen einer rigorosen parlamentarischen Kontrolle unterstellen wollte; allgemein wurde sie als gegen den reformfreudigen sozialdemokratischen Erziehungsdirektor Chavanne gerichtet verstanden. Die Initiative, nur von den Liberalen und den Vigilants unterstützt, wurde in der Volksabstimmung abgelehnt. Einen offensichtlichen Vorbildcharakter hatte das bestehende Genfer Schulmodell für eine Volksinitiative von Waadtländer Linksparteien, welche dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wurde. Sie sah eine Milderung der traditionellen Trennung von Primar- und Sekundarschule durch Aufhebung der Examensprüfung vor und wollte die Selektion durch eine Orientierungsstufe ersetzen. Der Grosse Rat verabschiedete als Gegenvorschlag ein Schulgesetz, das den Forderungen der Initiative teilweise entgegenkam. Dieses trat nach der Ablehnung der Initiative in Kraft [13].
Im Gegensatz zum oben erwähnten Rückgang der Primarschülerzahlen seit 1976/77 stieg die Zahl der Maturanden in diesem Zeitraum um 41% auf 56 000. Der Anstieg flachte jedoch in den letzten Jahren deutlich ab; die Zuwachsrate gegenüber dem Vorjahr betrug beispielsweise nur noch 1 %. Der Anteil der Frauen an den Gymnasien ist mittlerweile auf 44,7% (1976/77: 39,4%) gestiegen [14].
 
[5] Amtl. Bull. NR, 1984, S. 284 ff.; 1303; 1458; Amtl. Bull. StR, 1984, S. 462 ff.; 473 ff.; 591; BBl, 1984, III, S. 9 f. ; SZ, 20.3.84; Presse vom 21. und 22.3.84; TA, 21.6.84; 21.9.84; AT, 22.6.84; NZZ, 24.8.84; LNN, 17.9.84; 20.9.84; BaZ, 20.9.84; Suisse, 20.9.84; Presse vom 21.9.84. Meinungsumfrage (Isopublic): Ww, 26, 28.6.84. Die Volksinitiative «für eine Koordination des Schuljahresbeginns in allen Kantonen» wurde zurückgezogen (BBl, 1984, III, S. 1507; JdG, 28.12.84; NZZ, 28.12.84). Vgl. auch: SPJ, 1980, S. 144; 1983, S. 161 f.
[6] Neue Mathematik: TA, 1.9.84; 8.9.84. Zweite Landessprache: Bund 13.1.84; 18.2.84; BaZ, 17.1.84; 5.5.84; SZ, 17.1.84; NZZ, 12.7.84. Aargau: AT, 6.3.84; 15.6.84. Solothurn: SZ, 13.1.84; 20.1.84; 29.9.84; 19.10.84; 24.10.84; 25.10.84. Zürich: NZZ, 8.2.84; 4.5.84; TA, 8.2.84; 4.5.84; 7.9.84; 9.11.84. Siehe ferner SPJ, 1975, S. 139; 1980, S. 144; 1982, S. 144.
[7] Allgemeiner Überblick: Vat., 6.1.84; TA, 10.1.84; LNN, 13.1.84; Bund, 18.2.84; NZZ, 7.12.84; vgl. vor allem die Tabelle über den Stand der Koedukation in den einzelnen Kantonen: LNN, 12.4.85. Bern: BaZ, 4.1.84; Bund, 21.1.84; 9.2.84; 10.2.84; 14.2.84. Freiburg: Suisse, 23.11.84; Lib., 23.11.84; NZZ; 7.12.84. Schwyz: Vat., 6.1.84; 27.1.84; 11.5.84. Thurgau: SGT, 9.3.84; NZZ, 13.10.84. Waadt: TLM, 22.1.84; 24 Heures, 29.9.84. Zug: LNN, 6.12.84. Die vorgeschlagene Schulgesetzrevision in NW sieht ebenfalls die Aufhebung des Hauswirtschaftobligatoriums für Mädchen vor (Vat., 7.6.84; LNN, 16.11.84). Siehe auch SPJ, 1981, S. 147 f.; 153; 1983, S. 162 f.
[8] Luzern: LNN, 10.1.84; 21.1.84; 22.6.84; 19.10.84; 20.10.84; 24.10.84; 23.11.84; TA, 24.10.84; PZ, 40, 1.11.84; 45, 6.12.84. Zürich: Zürcher Presse vom 4.10.84; NZZ, 9.10.84; 26.10.84; TA, 24.10.84.
[9] Von 1976/77 bis 1983/84 sanken die Schülerzahlen der Primarstufe um 27,4% von 543 000 auf 399 000; bei den neueingetretenen Erstklässlern ist jedoch eine deutliche Abschwächung des Schülerrückgangs festzustellen (Bund, 30.3.84; TA, 9.10.84; 24 Heures, 9.10.84; wf, Kurzkommentare, 53, 31.12.84). Lehrerarbeitslosigkeit: NZZ, 14.4.84; Coop-Zeitung, 40, 4.10.84. Bern: TW, 14.3.84; 23.6.84; Bund, 12.1.84; 31.3.84; 19.4.84; 27.6.84. Luzern: LNN, 7.4.84; 6.7.84. Solothurn: SZ, 20.10.84. Zug: Vat., 3.3.84. Zürich: Tell, 8, 12.4.84; NZZ, 11.5.84. Vgl. auch SPJ, 1980, S. 146.
[10] Lehrerstellen werden doppelt besetzt in BS (BaZ, 17.11.84), SO (SZ, 6.9.84; 14.9.84; 27.9.84; 18.12.84), SZ (Vat., 5.5.84) und ZH (TA, 9.3.84; NZZ, 16.11.84); Doppelbesetzungen sehen ebenfalls die Kantone AG, BE, BL, FR, LU und TI vor. Weitere Vorschläge zur Beseitigung der Lehrerarbeitslosigkeit wurden diskutiert in BE (Bund, 26.1.84; 14.11.84; TW, 11.5.84; 28.5.84), BS (BaZ, 6.3.84); LU (LNN, 10.7.84; 18.12.84; 22.12.84; TA, 11.7.84; Vat., 18.8.84) und SZ (LNN, 25.1.84; Vat., 23.8.84).
[11] Von 1976/77 an sank die durchschnittliche Klassengrösse von 24,7 auf 19,9 Schüler (Bundesamt für Statistik, Schülerstatistik 1976/77, 1983/84, Bern 1978, 1984; siehe auch Bund, 1.8.84). Lehrerstellen wurden abgebaut in BS (BaZ, 9.2.84), BE (TA, 3.7.84), SO (SZ, 1.2.84; 3.3.84; 10.4.84; 26.5.84) und ZH (NZZ, 24.2.84; 7.4.84; 29.9.84; TA, 1.10.84; 4.10.84; Vr, 3.10.84).
[12] Volksinitiative im Kanton Bern («Äkenmatt-Initiative»): Bund, 23.2.84; 24.8.84; 17.9.84; BaZ, 17.3.84. Änderung des Schulgesetzes in BS: BaZ, 27.4.84; 8.5.84; 16.5.84; 18.5.84; 21.5.84; vgl. auch SPJ, 1977, S.141.
[13] Genf: JdG, 23.6.84; 29.6.84; 14.11.84; 3.12.84; 5.12.84; Suisse, 23.6.84; 26.11.84; NZZ, 22.11.84; TA, 26.11.84. Vgl. SPJ, 1981, S.152 f. Waadt: TLM, 22.3.84; 24 Heures, 22.3.84; 1.6.84; 13.6.84; 23.11.84; 29.11.84; 3.12.84; TA, 27.3.84; Bund, 3.5.84; NZZ, 13.6.84; 22.11.84.
[14] Bund, 13.7.84; wf, Kurzkommentare, 53, 31.12.84; Bundesamt für Statistik, Schülerstatistik 1976/77, 1983/84, Bern 1978, 1984. Vgl. auch die Umfrage des Bundesamtes für Bildung und Wissenschaft über Entwicklungen im Tertiärbereich, welche ergab, dass es v.a. Frauen sind, die nach der Matura ausseruniversitäre Berufsziele anstreben (Wissenschaftspolitik, Beiheft 31, 1984, S. 65 ff.). Vgl. ferner SPJ, 1983, S. 164.