Année politique Suisse 1985 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
 
Arbeitnehmer
Das Hauptthema der Organisationen der Arbeitnehmer bildete auch im Berichtsjahr die Arbeitszeitfrage. Nachdem innerhalb des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) die Reduktion der Arbeitszeit schon seit einigen Jahren als das probate Mittel galt, um den technologisch bedingten Strukturwandel der Wirtschaft ohne grosse Beschäftigungseinbrüche zu überstehen, bekannte sich nun auch der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) zu dieser Strategie. An der Delegiertenkonferenz vom 5. Oktober in Sitten wurde der Vorstand, der seinerseits die Auffassung vertreten hatte, dass wirtschaftliches Wachstum der beste Garant für Vollbeschäftigung sei, verpflichtet, vermehrt auf die Karte Arbeitszeitverkürzung zu setzen. Der CNG hatte bereits im Frühjahr die vom Souverän abgelehnte Ferieninitiative des SGB unterstützt [14]. Flexiblere Formen der Arbeitszeitdauer und -einteilung werden heute einerseits vor allem von Frauen, die infolge ihrer Familienpflichten oft darauf angewiesen sind, und anderseits, im Zusammenhang mit dem Wunsch nach optimaler Ausnützung neuer, kapitalintensiver Technologien, zum Teil auch von Unternehmern gefordert. Die Gewerkschaften zeigten sich bisher skeptisch, da sie davon eine Individualisierung der Arbeitnehmer befürchten, die sie für gewerkschaftliche Organisation und Solidarität unempfänglich werden lasse. Die aktivere Rolle der Frauen im Gewerkschaftsleben ist sicher dafür mitverantwortlich, dass auch hier einiges in Bewegung gerät. Am Verbandstag des VPOD vom 30. Juni in Lugano blieb ein Antrag auf Bekämpfung aller Formen individueller Arbeitszeiteinteilung in der Minderheit. Einer der Schwerpunkte dieses Kongresses bildete die Diskussion über eine sogenannte Charta zur Lebensarbeitszeit. Mit diesem Projekt, das im Anschluss an den Kongress in eine verbandsinterne Vernehmlassung gegeben wurde, soll langfristig auf dem Weg über allgemeine Arbeitszeitverkürzungen, Ausdehnung der Ferien und früheres Pensionierungsalter die Lebensarbeitszeit praktisch halbiert werden [15].
Das 1985 verzeichnete Beschäftigungswachstum schlug sich 1985 noch nicht positiv in den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften nieder. Im Gegenteil, der Bestand der im SGB zusammengeschlossenen Verbände nahm um 7580 Personen (—1,7%) ab. Wachsende Mitgliederzahlen wiesen lediglich die PTT-Union, der Verband schweizerisches Zollpersonal und das Syndikat schweizerischer Medienschaffender auf. Am ausgeprägtesten fiel der Rückgang zu absoluten Zahlen beim Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband, SMUV (—3463) und bei der Gewerkschaft Bau und Holz (—1728) aus. Beim SMUV, der seit 1975 25 891(18%) Mitglieder eingebüsst hat, jedoch auch bei den andern Gewerkschaften des Industriesektors wird angesichts des Strukturwandels einem weiteren Schrumpfen nur dann Einhalt geboten werden können, wenn es gelingt, organisatorisch vermehrt in die Angestelltenberufe vorzudringen [16]. Eine repräsentative Untersuchung ergab, dass bereits heute immerhin etwa jedes vierte SMUV-Mitglied Angestellter oder Kaderangehöriger ist. Die Studie stellte im weitern fest, dass zwar der Anteil der passiven oder nur schwach engagierten Mitglieder recht gross ist (rund zwei Drittel), dass aber nur eine kleine Minderheit (rund 12%) mit der Verbandsführung unzufrieden ist. Für den VPOD, dessen Mitglieder ebenfalls unter die Lupe der Meinungsforscher genommen wurden, ergaben sich in bezug auf Zufriedenheit ähnliche Resultate; der Anteil der passiven Mitläufer ist hingegen bei den gewerkschaftlich organisierten Staatsangestellten weniger gross.
Die erwähnte Umfrage erkundigte sich auch nach den Parteisympathien. Je gut 10% der Mitglieder sowohl des SMUV als auch des VPOD stehen demnach entweder Gruppierungen der äusseren Linken und der Grünen oder aber bürgerlichen Parteien nahe. Die SP zählt bei den Gewerkschaftern mit rund 58% (VPOD) bzw. 42% (SMUV) nach wie vor am meisten Anhänger. Beim SMUV weisen allerdings mehr als ein Viertel der Befragten keine Parteipräferenzen aufs [17]. Wie früher in anderen Kantonen und Städten kam es im Berichtsjahr in St. Gallen zum offiziellen Bruch der partnerschaftlichen Beziehungen zwischen dem örtlichen Gewerkschaftsbund und der Sozialdemokratischen Partei. Anlass dazu bot die Nomination eines Kandidaten für den gesundheitshalber zurückgetretenen Regierungsrat Schlegel (sp). Zwar verzichteten die Gewerkschaften nach einigem Hin und Her darauf, den Bewerber der SP mit einer eigenen Kandidatur zu konkurrenzieren, zu einer Versöhnung zeigten sie sich jedoch nicht bereit [18].
Der Schweizerische Kaufmännische Verein (SKV) wählte anstelle des altershalber zurücktretenden A. Hubschmid die Zürcher Nationalrätin und Konsumentenschutzpolitikerin Monika Weber (ldu) zur neuen Generalsekretärin. Von diesem Wechsel erwarteten Beobachter eher Auswirkungen auf den Stil als auf den Inhalt der Politik des grössten Angestelltenverbandes. Immerhin beschloss der SKV an seiner Delegiertenversammlung vom 31. Mai/1. Juni in Basel, sich verstärkt in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen zu engagieren. Ein Antrag auf weitgehende Konzentration auf die berufliche Aus- und Weiterbildung wurde deutlich abgelehnt.
In der Gewerkschaft Druck und Papier konnte die 1983 eingeleitete Modernisierung der Verbandsstrukturen nur zum Teil vollzogen werden. An der Delegiertenversammlung vom 14.-16. Juni in Zürich scheiterte insbesondere der Vorschlag, die Rolle der hauptamtlichen Funktionäre auf Kosten der Verbandsleitung zu stärken und auf die Posten von Verbandspräsident und -vizepräsident zu verzichten, an der erforderlichen Zweidrittelsmehrheit. Verbandspräsident E. Gerster, der im Vorjahr aus Verärgerung über die Wahl F. Aeberlis zum Zentralsekretär seinen vorzeitigen Rücktritt erklärt hatte, stellte sich nochmals zur Verfügung und wurde in einer Kampfwahl gegen einen von der Sektion Genf portierten linken Kandidaten für eine weitere Amtsperiode von zwei Jahren bestätigt [19].
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H.H.
 
[14] Vgl. dazu H. Baumann, «Neue Technik — neue Gewerkschaftspolitik», in Gewerkschaftliche Rundschau, 77/1985, S. 117 ff. sowie SPJ, 1984, S. 224 f. CNG: NZZ, 7.10.85; TA, 7.10.85. Zur Ferieninitiative verhielten sich der Landesverband freier Schweizer Arbeitnehmer (LFSA) negativ und die Vereinigung Schweiz. Angestelltenverbände neutral (Vat., 21.1.85; NZZ, 9.2.85 sowie oben, Teil I, 7a, Temps de travail).
[15] BZ, 29.6.85; Bund, 1.7.85; SP-VPOD, 28, 11.7.85.
[16] SBG, 12, 10.4.86; H. Anderegg, «Mitgliederentwicklung der schweizerischen Gewerkschaften im Jahr 1984» in Gewerkschaftliche Rundschau, 77/1985, 5.130 ff. Vgl. auch Bilanz, 1985, Nr. 5, S. 95 ff.
[17] Bund, 3.5.85 ; Bilanz, 1985, Nr.5, S. 107 ff. Zu einigen politischen Orientierungen der Gewerkschafter siehe auch Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 10. März 1985, Zürich 1985, S. 24 ff.
[18] SGT, 6.9.85; 7.9.85; 13.9.85; 21.9.85; 7.10.85; 22.10.85; 4.12.85.Vgl. auch oben, Teil I, 1 e (Kantonale Wahlen, St. Gallen) sowie Teil IIIa (Sozialdemokratische Partei).
[19] SKV: NZZ, 1.6.85; 3.6.85; TA, 3.6.85; TW, 3.6.85; SGB, 17, 6.6.85. GDP: Le Gutenberg, 25, 20.6.85; SGB, 19, 20.6.85; vgl. auch SPJ, 1984, S. 226.