Année politique Suisse 1985 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
 
Grundrechte
Mit der Volksinitiative «Recht auf Leben» wurde dem Souverän eine wichtige Frage aus dem Bereich der Grundrechte zum Entscheid vorgelegt. Das im Initiativtitel angesprochene Prinzip fand zwar in der Bundesverfassung bisher keine explizite Erwähnung, gilt aber als garantiert. Äusserst umstritten war hingegen die Absicht der Initianten, neben dem allgemeinen Grundsatz auch den Beginn und das Ende des zu schützenden menschlichen Lebens in der Verfassung zu verankern. Die Annahme des von Regierung und Parlament bekämpften Begehrens hätte als wohl einschneidendste Konsequenz eine wesentlich restriktivere Praxis beim legalen Schwangerschaftsabbruch zur Folge gehabt. Eine Fristenlösung, aber auch die heute in vielen Kantonen praktizierte soziale Indikation hätten als verfassungswidrig erklärt werden müssen. Die Erschwerung der Abtreibung war denn auch für massgebliche Komiteemitglieder erklärtermassen das Hauptmotiv für die Lancierung der Volksinitiative gewesen. Über die rechtlichen Konsequenzen, die ihr Vorstoss für die andern anvisierten Bereiche, wie etwa Sterbehilfe und Empfängnisverhütung beinhaltet hätte, machten sie sich hingegen kaum eindeutige und präzise Vorstellungen [1].
Von den Parteien sprachen sich die konfessionell geprägten CVP und EVP sowie die äussere Rechte für einen Verfassungsartikel aus. Ebenfalls auf der Seite der Befürworter stand der Christlichnationale Gewerkschaftsbund. Gegensätzlich fielen die Parolen der kirchlichen Organisationen aus: Die Schweizer Bischofskonferenz unterstützte die Vorlage, die Dachorganisation der Protestanten, der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK), lehnte sie hingegen ab. Die Bischöfe betonten in ihrer Stellungnahme, dass es ihnen nicht allein um den Schwangerschaftsabbruch, sondern mindestens ebensosehr um den Schutz des Lebens auf der ganzen Welt vor allen Gefahren gehe. Mit diesem Bekenntnis zur internationalen Solidarität hoben sie sich deutlich von rechtsextremen Ansichten eines Teils des Initiativkomitees ab. Der Vorstand des SEK begründete seine Ablehnung damit, dass sich das Begehren in seiner konkreten Ausgestaltung weitgehend auf die Abtreibung und die Sterbehilfe beschränke, es jedoch die Bedrohung des Lebens durch Hunger, Umweltzerstörung, Krieg und Folter ausser Acht lasse [2].
Im Gegensatz zur Abstimmung über die Fristenlösung von 1977 vermochte das Thema Schwangerschaftsabbruch am 9. Juni die Stimmbürger nicht massenhaft zum Urnengang zu motivieren (35% gegenüber damals 51,9%). Das Verdikt war mit 448 016 Ja: 999 077 Nein und 5 1/2 befürwortenden (AI, JU, NW, OW, SZ, UR, VS) zu 17 ½ ablehnenden Ständen eindeutig. Kennzeichnend war, dass die Initiative nicht einmal in katholisch geprägten Kantonen wie Freiburg, Luzern, Tessin und Zug eine Mehrheit auf sich vereinigen konnte. Eine nach dem Entscheid vorgenommene Meinungsumfrage ergab, dass zwar Katholiken dem Begehren eher zustimmten als Protestanten, dass aber auch bei ihnen keine Mehrheit zustande kam. Ausschlaggebend wirkte sich hingegen die religiöse Praxis aus: je grösser die Bedeutung der Religion eingeschätzt wird und je häufiger der Kirchenbesuch ist, desto eher fiel das Votum positiv aus [3].
Der Bundesrat unterbreitete dem Parlament das « Internationale Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe» zur Ratifizierung. Diese von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1984 angenommene Konvention konkretisiert das allgemeine Folterverbot, verpflichtet die Staaten zu Massnahmen gegen Folterungen und, dies scheint besonders wichtig, schafft einen auf universeller Ebene wirkenden Kontrollmechanismus in Form eines Ausschusses. Mit der sofortigen Unterzeichnung der Urkunde am ersten möglichen Tag wollte die Landesregierung ihr grosses Interesse an wirksamen Massnahmen zu einem verbesserten Schutz des Lebens dokumentieren [4].
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Datenschutz
Nachdem der Bundesrat Kenntnis von den Resultaten der im Vorjahr durchgeführten Vernehmlassung zum Entwurf für ein Datenschutzgesetz genommen hatte, beauftragte er eine Expertengruppe mit der Überarbeitung des Projekts. Diese hat insbesondere abzuklären, ob an einem Einheitsgesetz festgehalten werden soll — was die Mehrheit der Vernehmlasser ablehnt — oder ob eine gesonderte Normierung für den staatlichen und den privaten Bereich vorzuziehen ist. Da die Regelungsbedürftigkeit des Umgangs mit Personendaten im Privatbereich namentlich von Vertretern der Wirtschaft stark angezweifelt wird, besteht die Gefahr, dass bei getrennten Vorlagen lediglich diejenige für den staatlichen Bereich verwirklicht werden kann. Nach Ansicht von Kritikern des Einheitsgesetzes.würde es für den Privatbereich jedoch durchaus genügen, einige grundlegende Vorschriften in den Persönlichkeitsschutzartikel des Zivilgesetzbuches (Art. 28 ZGB) einzubauen [5]. Infolge der eingeschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt der Datenschutz in den kantonalen und kommunalen Verwaltungen nicht in den Geltungsbereich des geplanten Gesetzes. In vier Kantonen (GE, NE, VD, VS) sind entsprechende Gesetze bereits in Kraft, im Kanton Bern ist das Datenschutzgesetz vom Parlament verabschiedet worden und im Jura liegt ein Vorschlag der Exekutive vor. Demgegenüber beschloss die Solothurner Regierung, die Gesetzgebung zu sistieren, bis eine entsprechende Regelung auf Bundesebene ausgearbeitet ist [6].
 
[1] SPJ 1984, S. 15. Initianten : BaZ, 21.5.85; zu der weitgehend auf den Schwangerschaftsabbruch ausgerichteten Propaganda der Befürworter siehe auch die ganzseitigen Inserate in der Presse (z.B. NZZ, 25.5.85). Zum recht heterogen zusammengesetzten Initiativkomitee vgl. U. Haldimann, «Recht auf Leben: Wer steht dahinter?», in TAM, 18, 4.5.85. Für eine klärende Darstellung der möglichen rechtlichen Konsequenzen siehe NZZ, 31.5.85.
[2] Bei der NA gaben die Kantonalsektionen BE, BL, BS, SG die Stimme frei, bei der gesamtschweizerisch ablehnenden SVP votierten die Sektionen FR und AG für ein Ja, während BE und TI die Stimme freigaben (vgl. Dokumentation im Forschungszentrum für schweizerische Politik, Bern). Kirchen: Lib., 16.4.85; NZZ, 16.4.85; TA, 17.4.85; SGT, 22.5.85.
[3] BBl, 1985, II, S. 672 ff.; Presse vom 10.6.1985; Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 9. Juni 1985, Zürich 1985. Eine andere Analyse ergab, dass die regionale Verteilung der Meinungen bei dieser Abstimmung ziemlich genau derjenigen über die Fristenlösung entsprach (H. Krebs, «Föderalismus ohne Konsens», in NZZ, 29.8.85). Zur Fristenlösungsinitiative siehe SPJ, 1977, S. 129 f. Vgl. auch unten, Teil I, 7 d (Avortement).
[4] BBl, 1985, III, S. 285 ff.; siehe auch unten, Teil I, 2 (Droits de l'homme).
[5] Presse vom 7.1 1.85. Zur Vemehmlassung siehe SPJ, 1984, S. 15 f. ; U. Belser-Hofer, «Die Vernehmlassung zum Datenschutzgesetz— Einwände und Ergebnisse», in Verwaltung+ Organisation, 39/1985, S. 378 ff. sowie die beim BA für Justiz, Dienst für Datenschutz, erhältliche offizielle Zusammenstellung. Kritik: M. Ziegler, «Datenschutz — so nicht», in Verwaltung + Organisation, 39/1985, S. 382 ff.
[6] LNN, 12.7.85; Bund, 16.7.85; 21.11.85; 20.2.86 (Bern); JdG, 14.6.85 (JU); SZ, 27.12.85 (Solothurn). In Luzern wurde ein Projekt in die Vernehmlassung gegeben (Vat., 9.7.85), in Glarus beauftragte die Landsgemeinde die Regierung mit der Ausarbeitung (NZZ, 6.5.85). Vgl. auch SPJ, 1984, S. 16.