Année politique Suisse 1985 : Chronique générale / Défense nationale
 
Militärorganisation
Die Revision der Militärorganisation, durch die alle Hilfsdienste in die Armee eingegliedert und deren vom Geburtenrückgang reduzierte Bestände wieder erhöht werden sollen, blieb weiterhin im Vorbereitungsstadium. Die Kommission für militärische Landesverteidigung beriet im Frühjahr das von Experten entworfene Konzept, verlangte aber dessen Überarbeitung. Sie will den Begriff der Tauglichkeit, den sie als diskriminierend betrachtet, als Zuordnungskriterium völlig preisgeben und nur noch von «differenzierter Einteilung» sprechen [18]. Die vorgezogene Integration des Frauenhilfsdienstes (FHD; neu: militärischer Frauendienst, MFD) und des Rotkreuzdienstes (RKD) wurde durch die Übertragung der militärischen Grade auf die in diesen Formationen dienenden Frauen vervollständigt: Die bisherige Chef FHD, Johanna Hurni, erhielt auf Anfang 1986 den Grad eines Brigadier, und die Ernennung einer Frau auf den Posten des Rotkreuzchefarztes ist in den Bereich des Möglichen getreten. Der MFD scheint aber durch sein neues Statut, das ihm auch verlängerte Dienstleistungen bringt, an Attraktivität einstweilen eher verloren zu haben: die Zahl der rekrutierten Frauen ging zurück [19].
Als weitere organisatorische Massnahme beantragte der Bundesrat dem Parlament im Herbst eine Erhöhung der Soldansätze für Unteroffiziere, Soldaten und Rekruten. 1982 hatte er einen solchen Schritt als finanziell nicht tragbar erklärt. Im März 1985 stellte dann der Chef des EMD Solderhöhungen allein für Unteroffiziere und Gefreite in Aussicht, was in der Öffentlichkeit eine schlechte Aufnahme fand. Bereits war von verschiedener Seite eine allgemeine oder doch eher die unteren Soldklassen erfassende Anpassung verlangt worden, nachdem eine solche seit 1972 nicht mehr erfolgt war [20]. Die Landesregierung trug der Kritik Rechnung, beantragte aber nur einen teilweisen Teuerungsausgleich, wobei sie auf die Finanzlage des Bundes und auf die geringe Bedeutung des Soldes im Vergleich zum Erwerbsersatz verwies. In eigener Kompetenz dehnte sie die Berechtigung zum Bezug eines Urlaubsbilletts zum Einheitspreis von 5 Franken auf alle Armeeangehörigen aus. Noch in der Wintersession stimmte der Nationalrat einer entsprechenden Revision des Bundesbeschlusses über die Verwaltung der Armee zu, lehnte aber weitergehende Anträge der Linken und der nationalistischen Rechten ab [21].
In den Spitzenpositionen des EMD kam es zu Ablösungen. Im Ringen um die Nachfolge von Generalstabschef J. Zumstein obsiegte der langjährige Berufsoffizier E. Lüthy, ein Freisinniger aus der Nordwestschweiz, über den mehr intellektuell geprägten christlichdemokratischen Ostschweizer J. Feldmann. Als neuer Rüstungschéf folgte F. Wittlin, zugleich Brigadier und Mitglied der BBC-Konzernleitung, auf Ch. Grossenbacher. R. Binder übernahm von Lüthy das Kommando des Feldarmeekorps 2 [22].
Fragen der militärischen Ausbildung wurden nicht erst durch Korpskommandant Mabillards Rede am Instruktorenrapport zum Politikum. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats griff den von der Armee seit langem beklagten Mangel an Instruktoren auf und brachte diesen mit dem Beförderungssystem in Zusammenhang, das zu viele Instruktionsoffiziere zu Obersten mache, die dann für die mittleren Ausbildungsfunktionen nicht mehr in Frage kämen. Ihr für das EMD zuständiger Sprecher H. R. Nebiker (svp, BL) wandte sich gegen die von Mabillard gewünschte zusätzliche Anstellung von 20 Ausbildungsoffizieren pro Jahr, wenn die Berufsordnung für das Instruktionskorps nicht flexibler gestaltet werde. Um dieses bedarfsgerechter einzusetzen, solle man einen Teil der Instruktoren bis zur Pensionierung in mittleren Ausbildungsfunktionen mit mittleren Offiziersgraden belassen und überdies den Aufstieg von Instruktionsunteroffizieren in den Offiziersrang ermöglichen. Auch seien für die technische Ausbildung Zivilpersonen beizuziehen. Der Vorstoss löste in der Öffentlichkeit eine Diskussion aus, in der die vielfältigen Probleme aufgezeigt wurden, welche die Integration eines Korps von Berufsoffizieren in eine Milizarmee stellt. Die Volkskammer erteilte dem EMD den Auftrag, entsprechende Massnahmen zu treffen und darüber zu berichten [23].
Neuartig war die bereits erwähnte Abhaltung von Manövern in der Grossstadt Bern unter der Leitung des designierten Generalstabschefs Lüthy. Deren Anlage war auf grösstmöglichen Realismus bedacht, indem die Truppe mit dem «Chaos» konfrontiert werden sollte; sie unterstrich aber auch den Willen, das Mittelland zu verteidigen und dabei die «Geländevorteile» der überbauten Räume zu nutzen. Lüthy sprach sich gegen die Durchführung grösserer Truppenübungen auf ausländischem Boden aus [24]. Zu Beginn des Jahres konnte aber erstmals eine Gruppe von Piloten der Flugwaffe von der italienischen Trainingsbasis Decimomannu (Sardinien) aus Luftkämpfe im Überschallbereich üben, was in der Schweiz unterhalb der Höhe von 10 000 Metern nicht zulässig ist. Dabei traten verschiedene Mängel im Ausbildungsstand zutage, die eine gezielte Fortsetzung des Trainings nahelegen [25]. Eine Häufung von Unfällen und Schäden bei Militärübungen, insbesondere im Herbst, erregte verbreiteten Unwillen und führte zur Frage, ob der härtere Ausbildungsstil Mabillards nicht zur Vernachlässigung gebotener Vorsicht verleite [26].
 
[18] SZ, 20.4.85. Vgl. SPJ, 1984, S. 55 f.
[19] MFD: AS, 1985, S.1072 ff.; Bund, 30.12.85; vgl. auch Bund, 18.4.85. RKD: AS, 1985, S. 1060 ff.; NZZ, 18.11.85. Rekruten: Suisse, 11.10.85. Vgl. SPJ, 1984, S. 56.
[20] Bundesrat: BBl, 1985, II, S.1225 ff.; vgl. dazu SPJ, 1982, S. 48. Chef des EMD: Presse vom 30.3.85. Eine Solderhöhung hatte ausser NR Ogi (vgl. oben, Landesverteidigung und Gesellschaft) auch eine Ende 1984 eingereichte, von 74 überwiegend sozialdemokratischen NR unterzeichnete Motion Stappung (sp, ZH) verlangt (Verhandl. B.vers., 1984, V, S. 78 f.). Letzte Solderhöhung: SPJ, 1971, S. 64.
[21]Urlaubsbillett: AS, 1985, S. 1476. Nationalrat: Amtl. Bull. NR, 1985, S. 2214 ff. Die Solderhöhung beträgt je nach Grad 1-3 Fr. pro Tag und kostet den Bund rund 16 Mio Fr., die Verallgemeinerung des Urlaubsbilletts 7-8 Mio Fr. Für die Offiziere werden Entschädigungen für Uniformen und Gepäcktransport dem Sold zugeschlagen.
[22] Generalstabschef: Ww, 1, 3.1.85 ; Presse vom 26.4.85. Für Feldmann verwandten sich die Militärdirektoren Zürichs und der sieben Ostschweizer Kantone (TA, 26.4.85). Rüstungschef: Presse vom 10.1.85; Bilanz, 1985, Nr. 6, S. 43 ff. Feldarmeekorps 2: Presse vom 4.7.85.
[23] Zu Mabillards Rede vgl. oben, Landesverteidigung und Gesellschaft. Geschäftsprüfungskommission : Amtl. Bull. NR, 1985, S.1020 ff. ; Presse vom 29.5.85. Zur Diskussion vgl. auch NZZ, 31.5.85 ; 30.8.85 ; 19.9.85 ; 25.9.85 ; Bund, 20.6.85; L'Hebdo, 25, 20.6.85; BZ, 16.7.85; 17.7.85; Ww, 35, 29.8.85. Vgl. ferner TA, 24.1.85 (Instruktionsunteroflìziere) und NZZ, 21.8.85 (historischer Rückblick); ferner Postulat A. Müller (gp, ZH) im NR (Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1829 f.; SAMS-Informationen, 9/1985, Nr. 1 (Tagung des Schweiz. Arbeitskreises Militär + Sozialwissenschaften zum Thema «Der Instruktionsoffizier») sowie SPJ, 1981, S. 52; 1982, S. 47.
[24] NZZ, 7.12.85 ; BaZ, 28.12.85 (Interview mit J. Zumstein und E. Lüthy). Vgl. oben, Landesverteidigung und Gesellschaft.
[25] Presse vom 30.1.85; BaZ, 23.5.85; ASMZ, 151/1985, S. 225. Vgl. SPJ, 1983, S. 61.
[26] Unfälle: Presse vom 15.10.85; Vat., 24.10.85. Schäden: SGT, 20.10.85; 6.12.85. Zu einem auf liechtensteinischem Gebiet verursachten Waldbrand vgl. auch oben, Teil I, 2 (Relations bilatérales). Kritische Reaktionen : NZZ, 16.10.85; Vat., 22.10.85; 15.11.85. Härterer Ausbildungsstil: TA, 7.12.85.