Année politique Suisse 1985 : Chronique générale / Défense nationale
 
Zivildienst
Die Zahl der Verurteilungen wegen Dienstverweigerung nahm 1985 erstmals seit 1980 wieder ab und fiel mit 686 (1984: 788) unter den Stand von 1982. Es wurde freilich darauf hingewiesen, dass eine zunehmende Ausmusterung aus psychischen Gründen die Möglichkeit einer versteckten Dienstverweigerung biete, die in der Statistik nicht sichtbar werde. Diese wies 268 Begründungen mit ethischer oder religiöser Gewissensnot aus, von denen 143 anerkannt wurden (1984: 347 bzw. 234) [38].
Nach dem Scheitern der zweiten Zivildienstinitiative wurde eine Entschärfung des Problems auf zwei Wegen angestrebt. Im Frühjahr veröffentlichte eine Arbeitsgruppe der drei Landeskirchen ein neues Zivildienstmodell. Anknüpfend an den Vorschlag des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes aus dem Jahre 1983 versuchte sie, die von der Initiative vertretene Idee des Tatbeweises in einer Weise zu konkretisieren, die nicht auf eine freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst hinauslaufen sollte. Sie sah deshalb die Einreichung eines begründeten Gesuchs mit amtlich beglaubigter Verpflichtung zum Zivildienst vor, und an die Stelle einer Überprüfung des Gewissensentscheids setzte sie eine blosse Beratung, alles vor zivilen Instanzen. Die erforderliche Verfassungsrevision gedachte sie auf parlamentarischem Wege einzuleiten [39].
Im Sommer eröffnete sodann der Bundesrat ein Vernehmlassungsverfahren über den Entwurf der Expertenkommission Barras, der eine «Entkriminalisierung» auf Gesetzesstufe erreichen soll. Danach wären die Verweigerer zwar weiterhin militärgerichtlich zu bestrafen, doch bei Erweis religiöser oder ethischer Gewissensgründe würde ihre Haft durch eine Arbeitsleistung ersetzt. Diese hätte in der Regel anderthalbmal so lange zu dauern wie die verweigerten Militärdienste und käme vor allem dem Umweltschutz, der Berglandwirtschaft oder sozialen Einrichtungen zugute. Von einem Eintrag ins Strafregister würde abgesehen. Die Stellungnahmen der konsultierten Kantone und Organisationen fielen zu einem erheblichen Teil kritisch aus. Während die beiden grossen Landeskirchen die «Aufteilung» des Gewissens beanstandeten, verlangten bürgerliche Kreise und hohe Offiziere die Einordnung des Arbeitsdienstes in den Rahmen der Gesamtverteidigung [40].
Der Bundesrat beschloss im übrigen, den Inhalt der Verordnung über den waffenlosen Dienst im Gesetz über die Militärorganisation zu verankern, und leitete auch darüber eine Vernehmlassung ein. Der mit der Zuweisung zu unbewaffneten Truppenteilen gebotene Ausweg für Dienstverweigerer soll aber kaum erleichtert werden. 1984 wurden nur noch 153 entsprechende Gesuche (1983: 201) bewilligt [41].
 
[38] Zahl der Verurteilungen: Presse vom 31.1.86. Psychiatrisch Ausgemusterte: Amtl. BulL NR, 1985, 5.1300 f.; Vr, 9.5.85; 14.10.85; für 1984 wurde deren Zahl vom BR mit rund 5200 angegeben.
[39] Presse vom 13.4.85. Kritik von zivildienstgegnerischer Seite: NZZ, 15.4.85; 16.4.85. Vgl. SPJ, 1983, S. 63 f. ; 1984, S. 60.
[40] Entwurf: Presse vom 15. bzw. 16.8.85; vgl. auch Bund, 26.6.85. Vernehmlassungen: NZZ, 20.11.85 (CVP, positiv); 7.12.85 (FDP) ; 13.12.85 (SVP und LPS) ; TW, 23.11.85 (Landeskirchen) ; vgl. auch SZ, 10.12.85 sowie ein von bürgerlichen Parlamentariern und Offizieren unterzeichnetes «Wehrpflicht-Manifest» (NZZ, 19.12.85).
[41] Gesetzliche Verankerung: NZZ, 15.8.85; vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1985, S. 253 f., ferner SPJ, 1981, S. 53; 1982, S. 48. Bewilligungen: Presse vom 31.1.86.