Année politique Suisse 1985 : Economie / Agriculture / Tierische Produktion
Auf Opposition bei kleinbäuerlichen, Konsumenten-, Drittwelt- und linken Kreisen stiessen Kredite, welche der Bundesrat der Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung (GFS) gewährte. Diese waren angefordert worden, um strukturelle
Überschüsse auf dem Fleischmarkt mit Verbilligungs- und Exportaktionen sowie mit Einlagerungen abzubauen
[10]. Der Nationalrat beriet über den Vorschlag für die Revision des Landwirtschaftsgesetzes, mit dem der Bundesrat 1983 den Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten (ZVSM) zum Rückzug der «Futtermittel-Initiative» hatte bewegen können. Im Zentrum der Diskussionen standen neben Fragen der landwirtschaftlichen Berufsbildung und der Pflanzenzüchtung namentlich die Artikel 19 ff., wonach der Bundesrat zur Lenkung der Fleisch- und Eierproduktion Beiträge in der Höhe von insgesamt 20 Mio Fr. an kleinere und mittelgrosse bäuerliche Betriebe auszahlen kann. Der Vorlage wurde zugestimmt, während weitergehende Anträge zur Verringerung der Futtermittelimporte und zur Verschärfung der Massnahmen gegen die bodenunabhängigen Bauernbetriebe unterlagen. Enttäuscht über diese «Alibi-Übung» zeigten sich die Linksparteien und vor allem die VKMB, welche ihre Hoffnungen auf eine Kurskorrektur in der Agrarpolitik zugunsten der kleinen und mittleren Bauernbetriebe nun um so stärker in die
Volksinitiative «für ein naturnahes Bauern — gegen Tierfabriken (Kleinbauern-Initiative)» setzen; diese wurde im Berichtsjahr mit 133 000 Unterschriften
eingereicht. Zur Erläuterung ihrer Zielvorstellung und zur Verteidigung der Initiative gegen die verschiedenen Kritiker veröffentlichte die VKMB einen Vollzugsbericht zur «Kleinbauern-Initiative», in dem die wesentlichen Aussagen eines staatsrechtlichen und eines agrarökonomischen Gutachtens verarbeitet sind
[11].
Der Bundesrat
revidierte die Fleischschauverordnung. Damit gelteIn nun die Bestimmungen der Lebensmittelverordnung von 1936 bezüglich Deklaration, qualitative Mindestanforderungen und zulässige Zutaten und Zusatzstoffe auch für Fleischwaren. Gestützt auf diese Revision eröffnete das EVD ein Vernehmlassungsverfahren über die Verordnung betreffend die Mindestanforderungen an Fleisch und Fleischwaren. Ebenfalls in die Vernehmlassung geschickt wurde eine Verordnung des Lebensmittelgesetzes über das Anforderungsprofil von Nahrungsmitteln aus biologischem Landbau
[12]. Der Ständerat genehmigte einen Kredit von 46 Mio Fr. für den Bau eines eidgenössischen Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe in Mittelhäusern/Köniz; falls auch der Nationalrat zustimmt, wird das Institut von der Region Basel in den Kanton Bern verlegt
[13].
Bei den Beratungen über die
Volksinitiative «für die Abschaffung der Vivisektion» folgten die eidgenössischen Räte dem Antrag des Bundesrates und sprachen sich mit grossem Mehr für eine ablehnende Empfehlung zuhanden des Souveräns aus. Anträge, welche dem Begehren eine verschärfende Revision des Tierschutzgesetzes als Gegenvorschlag zur Seite stellen wollten, wurden verworfen. Der Nationalrat überwies jedoch drei Postulate für strengere Vorschriften im Bereich der Tierversuche und namentlich für ein Klagerecht der Tierschutzorganisationen
[14]. Im emotional geführten Abstimmungskampf wurde das von «Helvetia Nostra» lancierte Volksbegehren von einigen Tierschutzorganisationen sowie von den Grünen, LdU, NA und POCH unterstützt. Nach ihrer Ansicht drückte die Initiative in erster Linie ein tiefes Unbehagen gegenüber der zunehmenden Degradierung der Natur zum blossen Material aus und ausserdem das Verlangen, auf alternative Forschungsmethoden umzustellen. Die Gegner befürchteten volkswirtschaftlich und forschungspolitisch negative Auswirkungen. Ebenfalls für eine Ablehnung der Initiative sprach sich die «Ethikkommission» der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften und der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft aus. Ihrer Meinung nach würde ein Verbot von Tierversuchen ein unethisches Verhalten gegenüber Menschen bedingen. In der Volksabstimmung wurde die Initiative bei einer Stimmbeteiligung von 37% in sämtlichen Kantonen mit insgesamt 70,5% Nein-Stimmen abgelehnt. In vier Kantonen lag der Nein-Stimmen-Anteil über 80%; am stärksten verwarf das Wallis (88,5 %), den höchsten Ja-Stimmen-Anteil wies Appenzell-Ausserrhoden aus (39,7 %). Ländliche, französischsprachige und katholische Stände lehnten tendenziell stärker ab als verstädterte, deutschsprachige und protestantische. Nur einen Tag nach dem Urnengang lancierten Tierversuchsgegner aus der französischen und italienischen Schweiz eine neue Volksinitiative «zur Abschaffung der Tierversuche und der Vivisek tion
[15].
Noch bevor die Antivivisektions-Initiative zur Abstimmung gekommen war, hatte der «Schweizer Tierschutz», für den die Verbotsforderung der «Helvetia Nostra» zu rigoros war, eine eigene
Volksinitiative «zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche (weg vom Tierversuch !)» lanciert. Diese will die Tierversuche massiv und laufend reduzieren und Alternativmethoden fördern; ferner sieht sie obligatorische Tierbestandskontrollen in Forschungsinstituten und die Einführung der Verbandsbeschwerde für anerkannte Tierschutzorganisationen vor. Die Schutzbestimmungen sollen mindestens alle 5 Jahre dem neuesten Stand von Forschung und Technik angepasst werden. Diese Volksinitiative, vor allem von Zürcher Tierschutzvereinen getragen, wurde von den Befürwortern der Antivivisektions-Initiative als «Rückenschuss» empfunden
[16].
[10] Ww, 9, 28.2.85; wf, Kurzinformationen, 12, 25.3.85; Presse vom 9.5.85; 17.10.85; Gnueg Heu dune!, 1985, Nr. 6. Siehe auch SPJ, 1983, S. 96 f.
[11] Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1513 ff., 1551 ff. und 1578 ff.; TAM, 35, 31.8.85 ; Presse vom 26. und 27.9.85; Wir Brückenbauer, 40, 2.10.85 ; vgl. auch SPJ, 1983, S. 97. Kleinbauern-Initiative: BBl, 1985, I, S. 1245 ff. ; Presse vom 1.3.85; 11.9.85; NZZ, 24.5.85; PZ, 9, 6.3.85; 34, 18.9.85; Gnueg Heu dune 1985, Nr. 3 und 7. Berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft 1984: Die Volkswirtschaft, 58/1985, S. 319 ff. Vgl. ferner Bilanz, 1985, Nr. 1 und SPJ, 1984, S. 93.
[12] Presse vom 17.1.85; LID, Pressedienst, 1376, 18.1.85; NZZ, 28.2.85; 19.7.85; LNN, 18.5.85; BaZ, 8.6.85. Vgl. auch SPJ, 1984, S. 93 f.
[13] Amtl. Bull. StR, 1985, S. 720 ff.; BBl, 1985, II, S. 255 ff.; BZ, 18.12.85; BaZ, 19.12.85.
[14] Amtl. Bull. NR, 1985, S. 457 ff., 1261 f. und 1298; Amtl. Bull. StR, 1985, .S. 374 ff. und 462; BBl, 1985, II, S. 289; wf, Kurzkommentare, 1, 14.1.85; 11, 18.3.85; Presse vom 14.3.85 und 14.6.85. Siehe auch PZ, 11, 20.3.85; wf, Dok., 19, 13.5.85; 45, 11.11.85 ;NZZ, 1.6.85; 4.11.85; TA, 7.11.85; 13.11.85; SGT, 8.11.85; BZ, 9.11.85; Ww, 47, 21.11.85; Bilanz, 1985, Nr. 11. Vgl. auch weitere eingereichte Vorstösse zur Verschärfung des Tierschutzgesetzes (Verhandl. B.vers., 1985, V, S. 46 und 63). Siehe ferner SPJ, 1984, S. 94. Im Kanton BE ergriffen Tierschutzvereine das Referendum gegen das Einführungsgesetz zur eidgenössischen Tierschutzgesetzgebung; der Souverän lehnte die Vorlage ab (BZ, 17.1.85; Berner Presse vom 11.3.85).
[15] Abstimmungsparolen : TA, 30.11.85. Pro: TA, 30.10.85 ; BZ, 7.11.85 ; NZZ, 8.11.85 ; Ww, 46, 14.1 1.85 ; PZ, 44, 27.11.85. Contra: Presse vom 23.8.85; 18.10.85; Ww, 43, 24.10.85; wf, Dok, 43, 28.10.85; SGB, 31.10.85; 14.11.85; TA, 18.11.85; NZZ, 20.11.85. Der Souverän verwarf am 1. Dezember 1985 die Volksinitiative «für die Abschaffung der Vivisektion» mit 459 358: 1 099 122. Abstimmungsergebnisse: Presse vom 2.12.85; vgl. auch Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 1. Dezember 1985, Zürich 1986; Presse vom 7.3.86. Neue Initiative: BBl, 1985, III, S. 264 f.; Presse vom 3.12.85.
[16] BBl, 1985, 1, S. 1248f.; Presse vom 12.2.85; NZZ, 21.5.85; SGT, 29.6.85; LM, 18.10.85. Vgl. auch A. M. Droeven (Hg.), Irrweg Tierversuch, Fakten, Daten, Hintergründe, Basel 1985 ; G. Zbinden, Menschen, Tiere und Chemie, Zollikon 1985.
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