Année politique Suisse 1985 : Infrastructure, aménagement, environnement / Protection de l'environnement
 
Umweltpolitik
Waldsterben und Luftverschmutzung gehörten im Berichtsjahr zu den dominierenden Themen der schweizerischen Innenpolitik. Dass sich die Luftqualität in unserem Lande weiter verschlechtert, die Waldschäden zunehmen und auch die menschliche Gesundheit darunter leidet, wird immer offensichtlicher und hat zu einer verstärkten Sensibilisierung breiter Volksschichten geführt. Bezüglich der zu treffenden Massnahmen jedoch gingen die Meinungen nach wie vor auseinander [1]. Im Zentrum der Umweltpolitik stand das Waldsterben. Das Waldschaden-Inventar der «Sanasilva»-Studie eruierte für 1985 einen auf 2% gebremsten Zuwachs an geschädigten Bäumen: Im Berichtsjahr waren 36% aller Bäume krank oder abgestorben; der Zustand bei den Nadelbäumen blieb gegenüber 1984 stabil, während der Anteil der geschädigten Bäume bei den Laubhölzern weiter angestiegen ist und auch die Obstbäume zunehmend unter dem «Umweltstress» leiden. Einen alarmierenden Zustand erreichten mit 42% geschädigten Bäumen die Bergwälder, bei denen teilweise schon kleine flächenweise Zusammenbrüche registriert wurden. Gegenüber dem Mittelland war der Anteil an mittelstark und stark geschädigten sowie abgestorbenen Bäumen doppelt bis dreimal so hoch [2].
In der namentlich dem Thema Waldsterben gewidmeten Sondersession bekräftigte Bundesrat Egli die Entschlossenheit der Regierung, die technischen Möglichkeiten zur Verringerung der Umweltbelastung konsequent auszuschöpfen und nötigenfalls auch unpopuläre Massnahmen zu ergreifen. Erklärtes Ziel sei die Rückführung der Luftqualität auf den Stand der 50er Jahre. Als allgemeine Stossrichtung der Umweltpolitik skizzierte er die Verminderung der Schadstoffemissionen im Verkehrs- und Energiebereich, die Förderung des öffentlichen Verkehrs und der Forschung, vermehrte Waldpflege, bessere internationale Zusammenarbeit und offene Information über die Lage. Um das gesteckte Ziel zu erreichen bedürfe es freilich eines völligen Umdenkens, ja einer Umkehr der Gesellschaft. Auch die eidgenössischen Räte waren sich in der generellen Lagebeurteilung weitgehend einig und fanden bezüglich zahlreicher Massnahmen zu einem Konsens, der vor Jahresfrist noch nicht möglich erschien. Allerdings lehnte der Nationalrat eigentliche Notrechtsmassnahmen für den kranken Wald ab [3]. Die Volkskammer stimmte jedoch etlichen Forderungen in Motionsform zu, auch wenn die Regierung diese aus Gründen der Gewaltentrennung nur in Postulatform entgegennehmen wollte. Überwiesen wurden sämtliche Motionen und Postulate der vorberatenden Nationalratskommission zu den Bereichen Waldwirtschaft, Verkehr, Feuerung und Energie sowie Kehrichtverbrennung, mit denen diese die Forderungen des «10-Punkte-Programmes» der Regierungsparteien vom Herbst 1984 übernommen hatte. Die Kommission des Ständerates ihreseits hatte sich mit dem vom Bundesrat im Waldbericht unterbreiteten Massnahmenkatalog zufriedengegeben und keine eigenen Vorstösse unterbreitet [4].
Wichtigste Entscheidung der «Waldsession» war eine von beiden Räten überwiesene Motion, die von der Regierung verlangte, bis spätestens Ende Jahr ein Konzept vorzulegen, wie und bis wann die Luftqualität auf den Stand der 50er Jahre zurückgeführt werden könne. Von Bedeutung war dieser Auftrag nicht zuletzt deshalb, weil darin weitergehende Massnahmen enthalten sind, als in den zahlreichen Motionen und Postulaten noch speziell aufgezählt wurden. Im übrigen überwog in beiden Räten die Erwartung, dass die ökologische Krise mit technischen Massnahmen gemeistert werden könne und sich drastische Eingriffe vermeiden liessen. So lehnte der Nationalrat mit deutlichem Mehr selbst die Vorbereitung einer Treibstoff- und Heizölrationierung ab. Aufsehen erregte dagegen sein Entschied für die Einführung von Tempo 100 auf Autobahnen im Sinne einer Sofortmassnahme. Unter Namensaufruf überwiesen die Volksvertreter diesen Vorstoss der LdU/EVP-Fraktion mit 103 gegen 87 Stimmen als Motion und demonstrierten damit ihren Willen, mit konkreten Massnahmen gegen das Waldsterben vorzugehen. Gegen den Antrag des Bundesrates stimmten sie auch der Motion Müller (svp, BE) betreffend Schadstoffbegrenzung bei Dieselfahrzeugen zu und hiessen mit grossem Mehr zwei Motionen der Nationalratskommission gut, von denen die eine jährliche Abgaskontrollen bei Autos sowie die Einführung der Abgasnormen US-83 auf Oktober 1987, die andere die Senkung des Schwefelgehaltes im Heizöl «extra leicht» auf 0,15% bis Anfang 1987 verlangte. Vom Ständerat wurden diese den Verkehrs- und Energiebereich betreffenden Forderungen jedoch alle in unverbindliche Postulate abgeschwächt. Die kleine Kammer sprach sich zwar — in Übereinstimmung mit dem Nationalrat — bei drei Vorstössen zur Schadenbeseitigung und finanziellen Hilfe an die Waldwirtschaft für verbindliche Aufträge an den Bundesrat aus; dass sie aber bei Massnahmen zur Ursachenbekämpfung aus formaljuristischen Gründen auf die Motionsform verzichtete, stiess auf Befremden [5].
Das Umweltschutzgesetz (USG) trat auf den 1. Januar 1985 in Kraft. Von den Verordnungen, die dieses Rahmengesetz in den einzelnen Teilbereichen des Umweltschutzes konkretisieren sollen, erhielten diejenigen über die Tempobegrenzung im Strassenverkehr (Tempo 80/120) und über Luftreinhaltemassnahmen bei Feuerungen (LMFV) gleichzeitig wie das USG Gültigkeit. Im Berichtsjahr wurde auch die Luftreinhalteverordnung (LRV) erlassen [6]. Betreffend Lärmbekämpfung, Bodenschutz, Abfallbeseitigung und Umweltgefährdung durch chemische Stoffe verzögerte sich die Konkretisierung des USG, was bei den Kantonen zu Problemen mit dem Gesetzesvollzug führte. In einem Brief an den Bundesrat protestierten die SGU und der VCS dagegen, dass die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) — eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Umweltverschmutzung — bei der Vorbereitung der Ausführungsbestimmungen zum USG an die letzte Stelle der Prioritätenliste gesetzt wurde [7].
 
[1] NZZ, 11.2.85; 13.5.85; 22.6.85; 8. und 9.11.85; 19.12.85; BaZ, 24.4.85; TA, 28.8.85; 7.9.85; TW, 3.9.85; Vr, 7.10.85; SGU-Bulletin, 1985, Nr. 3. Siehe auch Bundesamt für Umweltschutz (BUS), Forschung und wissenschaftliche Dienstleistungen auf dem Gebiet der Umwelt in der Schweiz, Bern 1985; BUS, Umweltforschungskatalog der Schweiz 1980-84, Bern 1985; BUS, Umwelterziehung. Bedürfnisse und Möglichkeiten einer Förderung, Bern 1985; SPS, Handbuch. Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik in der Gemeinde, Bern 1985; A. Schraft, «Die Überwachung der Umwelt in der Schweiz », in DISP, Nr. 82, 1985, S. 39 ff.
[2] Sanasilva: Bundesamt für Forstwesen und Landschaftspflege / Eidg. Anstalt für das forstliche Versuchswesen, Ergebnisse der Sanasilva-Schadeninventur 1985, Bern 1985; dies., Das Programm Sanasilva: 11 Teilprogramme für einen gesunden Wald, Birmensdorf 1985; vgl. SPJ, 1984, S. 95 und 121. Waldsterben: NZZ, 14.1.85; 24.1.85; 26.1.85; 22.3.85; 13.6.85; 9.8.85; 16.10.85; 6.12.85; CdT, 26.1.85; 28.1.85; 30.1.85; Bund und BZ, 29.1.85; LNN, 8.7.85; Ww, 29, 18.7.85; SGT, 31.12.85; K.F. Wentzel / R. Zundel, Hilfefür den kranken Wald, Niedemhausen/TG 1984 ; SGU-Bulletin, 1985, Nr. 3 und 4; siehe auch Amtl. Bull. NR, 1985, S. 391 und 2267; TA, 9.12.85; BZ, 28.12.85. Kantonale Massnahmen: NZZ, 2.2.85; Vat., 12.2.85; TA, 8.6.85; 3.12.85. Der NR überwies ein Postulat Mauch (sp, AG) betreffend ein Nationales Forschungsprogramm « Waldsterben und gesellschaftliches Handeln» (Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1825) und unterstützte damit eine Forderung der Schweiz. Arbeitsgemeinschaft für Umweltforschung SAGUF (BaZ und BZ, 15.6.85; NZZ, 25.6.85; Bund, 5.8.85; SGT, 27.9.85). Zum Forschungsstreit über den Einfluss von Kernkraftwerken auf das Waldsterben siehe BUS, Radioaktivität und Waldsterben. Literaturstudie der Firma Infras, Bern 1985 und R. Graeub, Der Petkau-Effekt und unsere strahlende Zukunft, Gümligen 1985. Siehe auch oben, Teil I, 4c (Forstpolitik).
[3] Waldsession»: Amtl. Bull. NR, 1985, S. 84 ff. und 104 ff. (BR Egli); Amtl. Bull. StR, 1985, S. 3 ff. ; Presse vom 7. und 8.2.85. Umweltpolitische Ansichten der Regierung: TA, 4.2.85; 17.5.85; 14.6.85; 2.9.85; 23.10.85; NZZ, 15.5.85; 5.6.85; SGT, 20.11.85; Vat., 12.12.85. Waldbericht des BR; BBl, 1984, III, S. 1129 ff. Eine Kontroverse um den Waldbericht des EDI (siehe SPJ, 1984, S. 121) bewirkte die Schrift von T. v. Ungern-Sterberg, Waldsterben und Luftverschmutzung, eine kritische Würdigung, Bern 1985 (Bund, 11.5.85; 13.7.85; 19.7.85).
[4] Forderungen im Hinblick auf die Waldsession: Vat., 17.1.85; BZ, 28.1.85; 4.2.85; NZZ, 30.1.85; Suisse, 30.1.85 ; TW, 30. und 31.1.85 ; LNN, 2.2.85 ; AT, 6.2.85. Beschlüsse der vorberatenden NR- und StR-Kommission : Vat., 11.1.85; NZZ und TA, 19.1.85. Siehe auch die Empfehlung der Umweltschutzorganisationen an die eidg. Räte: Schweiz. Bund für Naturschutz (SBN) et.al., Tut etwas Mutiges!, Zürich 1985; vgl. Presse vom 30.1.85. Zum «10-Punkte-Programm» siehe SPJ, 1984, S. 122 sowie Rote Revue, 64/1985, Nr. 12. Vgl. ferner die Standesinitiativen von BL, BS und SH, denen beide Räte durch Überweisung von Postulaten teilweise Folge gaben (Amtl. Bull. NR, 1985, S. 208 ff.; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 28 ff. und 59; siehe auch SPJ, 1983, S. 129).
[5] Walddebatten: Presse vom 7.-9.2.85 und 6.3.85; wf, Dok, 6, 11.2.85; Rote Revue, 64/1985, Nr. 3. Zu den einzelnen Motionen siehe insbesondere Amtl. Bull. NR, 1985, S. 114, 134 ff., 164 f., 168, 187 f., 192 f. und 206 f. ; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 4, 25, 44 f. und 57 ff.; vgl. auch oben, Teil I, 4c (Forstpolitik) und 6b (Generelle Verkehrspolitik und Strassenverkehr).
[6] USG: NZZ, 24.1.85 ; 8.6.85 ; 27.7.85 ; 26.8.85 ; wf, Dok., 31, 5.8.85 ; SGT, 28.8.85 ; A. Kölz / H.-U. Müller-Stahel, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Zürich 1985 (1. Lieferung) ; vgl. SPJ, 1983, S. 127 f.; 1984, S. 122 f. Tempo 80/120: AS, 1984, S. 1119 ff.; SPJ, 1984, S. 109 f. und 122. LMFV : AS, 1984, S. 1516 ff.; SPJ 1984, S. 122. LRV: siehe unten (Luftverschmutzung).
[7] NZZ, 26.3.85; JdG, 28.3.85. UVP: AT, 3.6.85; TA, 8.6.85; SGU-Bulletin, 1985, Nr. 3; siehe auch Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1041. Vgl. ferner Amtl. Bull. StR, 1985, S. 294 ff. und 762 f.; Verhandl. B.vers., 1985, I/II, S. 19; Vr, 14.11.85. Zur kantonalen Umweltschutzgesetzgebung siehe unten, Teil II, 4 f.