Année politique Suisse 1986 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Christlichdemokratische Volkspartei
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) betonte weiterhin ihre Scharnierfunktion zwischen den beiden anderen bürgerlichen Bundesratsparteien und der SP. Diese durch eine heterogene Wählerschaft bedingte Rolle zwingt sie grundsätzlich zur Vertretung von Kompromisslösungen. Einen entsprechenden Charakter trugen verschiedene programmatische Papiere, die der Verkehrs-, der Finanz- und der Wirtschaftspolitik gewidmet waren. Besondere Beachtung erfuhr eine wirtschaftspolitische Studie, die von den Parteidelegierten im Mai diskutiert wurde. Die weit ausholende Schrift, die auch Gesellschafts- und Bildungspolitik einbezieht, soll einen Rückstand in der Parteiprogrammatik aufholen. Mit der Betonung des unternehmerischen Handlungsspielraums nähert sie sich liberalen Positionen an, was namentlich in finanzpolitischen Postulaten (Aufhebung der «Taxe occulte» bei der Warenumsatzsteuer, der doppelten Gewinnbelastung bei Unternehmen und Aktionär sowie der Emissionsabgabe für Wertpapiere) zum Ausdruck kommt. Zugleich versucht die Studie aber auch die neuen städtischen Mittelschichten anzusprechen, indem sie für Erleichterung der Freizügigkeit (in Schule und Altersvorsorge), für individueller gestaltete Arbeitsverhältnisse sowie für die Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs der Frau eintritt. Es entsprach dem verstärkten Gewicht des Unternehmerflügels in der CVP, dass deren Fraktion nach dem Doppelrücktritt der christlichdemokratischen Bundesräte Egli und Furgler zwei Anwärter nominierte, die beide der unternehmerfreundlichen Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft (AWG) angehörten; trotzdem musste sie das Volkswirtschaftsressort wieder einem Freisinnigen überlassen [14]. Es fehlte aber nicht an Profilierungsversuchen anderer Richtungen innerhalb der Partei. So beschloss die Christlichsoziale Parteigruppe des Kantons St. Gallen, bei den kommenden Nationalratswahlen ihre Vertreter erstmals nicht auf die CVP-Liste, sondern auf eine mit dieser verbundene Liste der Christlichen Sozialbewegung (mit Christlicher Gewerkschaftsvereinigung und Katholischer Arbeitnehmerbewegung) zu setzen. Die Arbeitsgemeinschaft der CVP-Frauen unterstützte für die Bundesratsersatzwahlen die Kandidatur von Judith Stamm. Und die Junge CVP gab ihre Vorstellungen von einer menschengerechteren Zukunft und dem ihr entsprechenden Engagement in einem Manifest bekannt [15].
 
[14] Scharnierfunktion: SZ, 3.2.86 (Fraktionspräsident P. Zbinden). Verkehrspolitik: Presse vom 6.8.86. Finanzpolitik: vgl. oben, Teil I, 5 (Finanzpolitik). Wirtschaftspolitik: CVP der Schweiz (Hg.), Die Wirtschaftspolitik der CVP für die 90er Jahre, Bern 1986. BR-Wahlen : vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung) ; ferner TA, 22.11.86. AWG : vgl. SPJ, 1982, S. 201 f. Über die Entwicklung der wirtschaftlichen Interessengruppen in der CVP vgl. U. Altermatt, «Die Wirtschaftsflügel in der CVP: Die „dynamische Mitte” unter Druck», in SPJW, 26/1986, S. 63 ff.
[15] Christlichsoziale: SGT, 30.6.86. CVP-Frauen: Vat., 14.11.86. Junge CVP: Presse vom 2.4.86; W. Kaufmann, «Dokumentation : ein Manifest der Jungen CVP, Politik nach menschlichem Mass», in Civitas, 41/1986, S.111 f.