Année politique Suisse 1986 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
Arbeitnehmer
Für die Interessenorganisationen der Arbeitnehmer stand auch 1986 das Thema Arbeitszeit im Mittelpunkt. Zum einen nahm der
Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) seinen Kongress vom 13.-15. November zum Anlass, um die
Abstimmungskampagne für die von Regierung und Parlament zur Ablehnung empfohlene Volksinitiative für die 40-Stunden-Woche zu eröffnen. Zum andern beschäftigten sich die Gewerkschaften intensiv mit neuen Arbeitszeitformen wie flexibler Arbeitszeiteinteilung, Schicht- und Feiertagsarbeit sowie Teilzeitbeschäftigung. Die bisher recht dogmatische gewerkschaftliche Verurteilung solcher von Unternehmer-, aber zum Teil auch von Arbeitnehmerseite positiv eingeschätzter Tendenzen scheint zunehmend einer differenzierten Betrachtungsweise Platz zu machen. Die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle soll nicht mehr verhindert, sondern mittels Bestimmungen in den Kollektivverträgen kontrollierbar gemacht werden. Der SMUV will die Regelung der flexiblen und teilweisen Arbeitszeit in die kommenden Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag einbringen. Insbesondere die vertraglichen Regelungen über die Teilzeitarbeit entsprechen auch einer von Gewerkschafterinnen am Frauenkongress des SGB vom 24./25. Januar in Bern verabschiedeten Forderung
[13].
Umweltschutzpolitische Postulate sind in den letzten Jahren immer mehr Teil der gewerkschaftlichen Politik geworden. Im Anschluss an die nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl weitherum revidierte Risikoanalyse setzte sich im SGB eine neue Atomenergiepolitik durch. Während der SGB 1978 in seinem Energieprogramm für die 80er Jahre noch die Parole «sowenig KKW wie möglich» ausgegeben hatte und 1984 die erforderliche 2/3-Mehrheit für die Unterstützung der AKW-Initiative nicht zustandekam, stimmte nun der Kongress gegen nur schwache Opposition von einigen Delegierten des SMUV einem schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie zu. Grundsätzlich sollen keine neuen Werke mehr gebaut und die bestehenden so rasch als möglich stillgelegt werden; konkret beschloss der SGB auf Antrag des Vorstands die Unterstützung der beiden im Berichtsjahr lancierten AKW-Initiativen
[14]. Noch bevor die Chemiekatastrophe bei der Firma Sandoz in Schweizerhalle (BL) drastisch auf die mit den modernen Produktionsweisen verbundenen Gefahren hinwies, nahm die Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier (GTCP) die Forderung nach uneingeschränkter Mitbestimmung bei gesundheits- und umweltrelevanten Unternehmensentscheiden in ihr Schwerpunktprogramm auf
[15].
Die gute Wirtschaftslage und die schwindende Bedeutung der traditionellen Industriearbeiterschaft trugen dazu bei, dass auch 1986 die Gewerkschaften trotz steigender Beschäftigtenzahlen
Mitgliederverluste in Kauf nehmen mussten. Insgesamt verlor der SGB innert Jahresfrist 2388 Mitglieder (– 0,5 %). Besonders betroffen war der SMUV mit einer Einbusse von -1,8%; er wurde damit von der Gewerkschaft Bau und Holz (GBH), die 0,9% Zuwachs verzeichnete, von der Position der mitgliederstärksten Organisation verdrängt. Eine sich über die letzten zehn Jahre erstreckende Statistik zeigt, dass es von den acht Verbänden des SGB, die mehr als 10 000 Mitglieder zählen, nur gerade dem GBH (+ 4,4%) und der PTT-Union (+ 9,3 %) gelungen ist, ihren Bestand zu erhöhen. Der absolut und prozentual grösste Rückschlag ergab sich beim SMUV (– 26 463 resp. -19,7%). Die Mitgliederzahl des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) bildete sich 1986 um 1,2% auf 105 716 zurück. Trotz des Wandels in der Struktur der Beschäftigten weisen auch die Zahlen der in Angestelltenverbänden organisierten Arbeitnehmer seit mehreren Jahren eine abnehmende Tendenz auf
[16].
[13] Der im Vierjahresturnus abgehaltene SGB-Kongress fand in Luzern statt (Presse vom 12:17.11.86). Zur Arbeitszeit vgl. auch oben, Teil I, 7a (Temps de travail) und SPJ, 1985, S. 243. SMUV: BZ, 2.12.86. Frauenkongress: Gewerkschaftliche Rundschau, 78/1986, S. 34 ff. Die Frauenkonferenz des VHTL beantragte zuhanden der SGB-Frauenkonferenz die Vorbereitung eines nationalen Frauenstreiks zugunsten der Gleichberechtigung der Geschlechter (BaZ, 16.6.86).
[14] NZZ, 12.11.86; Presse vom 14.11.86. Zur Energiepolitik siehe oben, Teil I, 6a (Politique énergétique, Energie nucléaire). Siehe auch SPJ, 1978, S. 180. Zu den Volksabstimmungen des Jahres 1986 gab der SGB folgende Parolen aus: Ja zum UNO-Beitritt, zum Mieterschutz und zur Kulturinitiative, Stimmfreigabe zum Zuckerbeschluss, zum Gegenvorschlag zur Kulturinitiative und zu den Volksbegehren betreffend Lehrwerkstätten und Schwerverkehr (Dokumentation zu den Parolen der Parteien und Verbände (eidg. und kantonale) im FSP, Bern). Daneben unterstützte der SGB das Referendum gegen das Asylgesetz (TW, 27.6.86 ; vgl. auch oben, Teil I, 7d, Réfugiés).
[15] BaZ, 12.9.86; 15.9.86; TA, 3.12.86. Zu Sandoz siehe oben, Teil I, 6d (Umweltpolitik).
[16] H. Anderegg, «Mitgliederentwicklung der schweizerischen Gewerkschaften im Jahr 1986», in Gewerkschaftliche Rundschau, 79/1987, S. 74 ff. Zum traditionellen Rekrutierungsfeld der Gewerkschaften und der Strategie, dieses auf die Angestellten auszudehnen vgl. H. Baumann, «Angestelltenpolitik ist Existenzfrage», in Gewerkschaftliche Rundschau, 78/1986, S. 3 ff.; P. Graf, «Angestellte in die Gewerkschaft», a.a.O., S. 23 ff., L'Hebdo, 46, 13.11.86, S. 50 ff. sowie SPJ, 1985, S. 243. Die im letztjährigen Band vorgestellte Umfrage unter den Mitgliedern des SMUV und des VPOD ist nun in Buchform erschienen: Ch. Roig u.a., Syndicalisme au futur, Lausanne 1986; vgl. dazu SPJ, 1985, S. 243 f. sowie B. Degen, «Gewerkschaften im Wandel», in Rote Revue, 65/1986, Nr.11, S. 8 ff.
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