Année politique Suisse 1986 : Economie / Agriculture
Agrarpolitik
Nach den heftigen Kritiken der vergangenen Jahre an der geltenden Agrarpolitik kam 1986 mit dem Zuckerbeschluss erstmals wieder eine Landwirtschaftsvorlage von grösserer Tragweite zur Abstimmung, womit nun auch dem Volk Gelegenheit zur Meinungsäusserung geboten wurde. Die deutliche Verwerfung des Zuckerbeschlusses illustrierte, wie massiv sich das
Unbehagen in der Bevölkerung gegenüber der offiziellen Landwirtschaftspolitik verstärkt hat, und gab jenen Opponenten zumindest teilweise recht, welche eine Kurskorrektur für geboten halten und namentlich das System der garantierten Preise für die Produzenten verändern möchten; damit wollen sie auch die Ursache für die kostspielige Überproduktion beseitigen. Offen bleibt jedoch die Frage des einzuschlagenden Weges: Unternehmerfreundliche Kreise fordern eine Trennung von Preis- und Einkommenspolitik, wobei die Preise vermehrt vom Markt abhängig gemacht und die dadurch entstehenden Einkommensausfälle teilweise durch produktionsunabhängige Direktzahlungen ausgeglichen werden sollen. Eine ähnliche Korrektur — allerdings mit einer starken Betonung der ökologischen Produktionsweise — regt der LdU an, der die Lancierung einer entsprechenden Volksinitiative diskutiert. Kleinbäuerliche und linke Kreise wiederum wollen mit der Einführung von nach Regionen und Menge differenzierten Preisen die bäuerlichen Familienbetriebe ins Zentrum der Landwirtschaftspolitik stellen
[1].
Der
Bundesrat hingegen unterstrich seine Absicht, an den Grundzügen der bisherigen Politik festzuhalten und das bäuerliche Einkommen weiterhin primär über marktunabhängige Preise und sekundär über Direktzahlungen zu garantieren; letztere sollen dabei allerdings vermehrt zur Anwendung kommen. Um die anstehenden Probleme der Produktionsüberschüsse in den Bereichen Milch, Fleisch, Getreide und Wein zu lösen, schlägt die Landesregierung weitere Massnahmen vor: Gegen das zu hohe Milchaufkommen soll mit Beibehaltung der Kontingentierung und einer verstärkten Erlösstaffelung angegangen werden, wie dies der Entwurf zum Milchwirtschaftsbeschluss 1987 vorsieht; den Brotgetreideüberschuss will der Bundesrat durch Förderung des inländischen Futtergetreideanbaus reduzieren. Bei der Überproduktion von Fleisch setzt die Regierung vorerst auf Selbsthilfemassnahmen der Produzenten, obschon entsprechende Appelle an die Weinbauern in den vergangenen Jahren wirkungslos geblieben waren. Ebenfalls keine einschneidende Änderung der Landwirtschaftspolitik schlug der Schweizerische Bauernverband (SBV) mit seinem neuen landwirtschaftlichen Produktionsprogramm für die Jahre 1986 bis 1990 vor. Wie schon bei den früheren «Fünfjahres-Plänen» soll die Ackerfläche zur Entlastung der tierischen Produktion ausgedehnt werden; zentralste Massnahme ist dabei die Erhöhung beim Futtergetreide
[2].
Kernpunkt der Preisbegehren des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) zur
Einkommenssicherung der Landwirtschaft war die Erhöhung des Milchgrundpreises um 7 Rp. auf 99 Rp. pro kg. Als Gegenleistung schlug der SBV eine Erhöhung des von den Milchproduzenten bezahlten Rückbehalts um 1 Rp. pro kg vor. In seiner Eingabe verlangte er auch eine Verbesserung der Richtpreise für Kälber-, Schaf- und Ziegenfleisch sowie für Futtergetreide und Speisekartoffeln. Bezüglich der Kuhbeiträge an Viehhalter im Berggebiet beantragte er, den Rahmenkredit für 1987/88 von 350 auf 420 Mio Fr. anzuheben; zur Verbesserung der Produktionsgrundlagen sollten ferner für 50 Mio Fr. Investitionskredite sowie für 140 Mio Fr. Verpflichtungskredite zur Bodenverbesserung und für landwirtschaftliche Hochbauten bewilligt werden
[3]. Wie in den vergangenen Jahren gab der Bundesrat den bäuerlichen Preisbegehren teilweise statt. Den Milchgrundpreis erhöhte er um 5 Rp. pro kg; da er auch die Margen im Zwischenhandel anhob, stieg der Konsumentenpreis im Detailhandel um 10 Rp. pro kg an. Quasi als Gegenmassnahme verfügte die Landesregierung Produktionskürzungen in den Bereichen Milch und Brotgetreide. Erhöht wurden auch die Richtpreise für Kalb- und Schaffleisch, Öl und Speisefett sowie die Anbauprämien für Futtergetreide. Mit 200 Mio Fr. will der Bundesrat ferner die Lager überschüssigen Weines innert 5 Jahren um 60–65 Mio l abbauen. Im bundesrätlichen Paket fanden sich auch verstärkte Direktzahlungen in Form von höheren Beiträgen an Kuhhalter, welche keine Milch abliefern, sowie Verpflichtungs- und Investitionskredite von rund 190 Mio Fr. Diese Massnahmen bringen den Bauern Mehreinnahmen von insgesamt 260 Mio Fr.; das Einkommen der Talbetriebe dürfte sich somit um 6%, jenes der Bergbauern um 9–10% verbessern. Die Bundeskasse wird dadurch um zusätzliche 100–110 Mio Fr. belastet werden, während der Landesindex der Konsumentenpreise um 0,2–0,3 % ansteigen dürfte. Insofern sich diese Preisbeschlüsse vorwiegend in der Tradition der produktionsorientierten Agrar- und Einkommenspolitik und der Direktzahlungen an die Berglandwirtschaft bewegten, zeigten sich der SBV und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Bergbevölkerung (SAB) erfreut, während die Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB), ein weiteres Mal eine Neuorientierung in Richtung Preisdifferenzierung verlangten. Namentlich die Kleinbauernorganisation beklagte sich darüber, dass gegen das rapide Sterben der kleinen und mittleren Talbetriebe nichts unternommen werde
[4].
Als Folge der Milchpreiserhöhung, welche unter anderem die Butter um 1 Fr. pro kg verteuerte, hob der Bundesrat die Importabgabe für die insbesondere zur Margarineproduktion verwendeten Öle und Fette von 175 auf 205 Fr. je 100 kg an. Damit sollte der Preisunterschied zwischen der teuren Butter und der billigen Margarine vermindert werden; der Milchrechnung fliessen dadurch zusätzliche 21 Mio Fr. zu. Gegen die Opposition der Vertreter der Konsumenten und Grossverteiler, welche den behaupteten Zusammenhang der importierten Öle und Fette mit der Margarine bestritten und die bundesrätliche Vorlage vor allem fiskalpolitisch interpretierten, stimmten die eidgenössischen Räte dieser neuerlichen Preiszuschlagserhöhung zu. Der Nationalrat trug jedoch den Einwänden gegen die Preiszuschläge insofern Rechnung, als er in der Wintersession ein Postulat der FDP-Fraktion überwies, wonach die Abgaben für jene Speiseöle und -fette, die nach ihrer Verwendung keine Konkurrenz zur Butter darstellen, ganz oder teilweise zurückerstattet werden müssen
[5].
Als Erstrat stimmte der Nationalrat einer
Verlängerung der Geltungsdauer des Bundesgesetzes über Investitionskosten und Betriebshilfe in der Landwirtschaft (IBG) um fünf Jahre zu. Die Genehmigung der Kleinen Kammer vorbehalten, bleibt somit die gesetzliche Grundlage vorläufig erhalten, die es dem Bund ermöglicht, den Kantonen die erforderlichen Mittel für die Gewährung von zumeist zinslosen Darlehen zur Verfügung zu stellen; diese werden einerseits zur Verbesserung der Produktions- und Betriebsgrundlagen (Investitionskredite) und andrerseits zur Behebung schwerer finanzieller Bedrängnis (Betriebshilfe) eingesetzt. Während dieser fünf Jahre soll im Zusammenhang mit dem zweiten Paket der Aufgabenneuverteilung zwischen Bund und Kantonen auch die Ausgestaltung des IBG neu überprüft werden
[6].
Nach einer Untersuchung von Verbandsseite liegt das Einkommen der Bergbevölkerung seit einiger Zeit rund 40% unter dem sogenannten Paritätslohnanspruch. Die bedeutendste Massnahme zur Verringerung dieses Einkommensunterschieds gegenüber den Talbauern sind die Kostenbeiträge an die Viehhalter im
Berggebiet und in den voralpinen Hügelzonen. Eine weitere Erhöhung dieser differenziert ausgerichteten Direktzahlungen für die Jahre 1987/88 um 70 Mio Fr. auf 420 Mio Fr. wurde von den eidgenössischen Räten genehmigt. Der Nationalrat überwies ferner ein Postulat seiner Kommission, wonach weitere Vorschläge zur Verminderung des Einkommensunterschiedes zwischen Berg- und Tallandwirtschaft zu prüfen und dem Parlament vorzulegen seien
[7].
[1] Zum Landwirtschaftsjahr 1986 siehe LID, Dokumentationsdienst (im folgenden abgekürzt: Dok.), 267, 17.12.86 ; LID, Landwirtschaft in Zahlen 1986, Brugg 1986 ; Schweiz. Landwirtschaftlicher Verein, Jahresbericht 1986; 89. Jahresbericht des Schweizerischen Bauernverbandes, 1986, Brugg 1987. Allgemeines zur Landwirtschaftspolitik: R. Schwertfeger, Grenzen der Agrarpolitik, Basel 1986; L. Meyer / H. Baumann, Schweizer Landwirtschaft, Zürich 1986 ; Schweiz. Bund für Naturschutz, Naturschutz und Landwirtschaft, Basel 1986 ; WoZ, 1, 10.1.86 ; 20, 16.5.86 ; 32, 8.8.86; P. Rieder, «Vorschläge für eine zukünftige Agrarpolitik», in LID, Dok., 253, 22.1.86; Coop-Zeitung, 14, 3.4.86; 31, 7.8.86; 33, 14.8.86; 36, 4.9.86; Wir Brückenbauer, 16, 16.4.86; Bilanz, 1986, Nr. 6; TA, 3.10.86; Bund, 10.10.86; SGT, 11.10.86. Vorschläge: wf, Notizen zur Wirtschaft, 1986, Nr. 3; BaZ, 4.10.86 ; NZZ, 22.10.86 ; BZ, 1.11.86 ; 6.11.86 ; 17.11.86 ; 21.11.86 ; 25.11.86. Vgl. auch die Vorschläge der SVP: Presse vom 29.10.86; LID, Pressedienst (im folgenden abgekürzt: Press.), 1468, 31.10.86. Siehe auch SPJ, 1985, S. 88 f.
[2] NZZ, 8.1.86 ; 11.1.86 ; LID, Press., 1426, 10.1.86 ; SGT, 11.1.86 ; NZZ, 22.1.86 ; 22.11.86 ; SHZ, 5, 30.1.86 ; TW, 29.5.86; 22.7.86; Vr, 4.7.86; Vat., 7.4.86; K. Furgler, «Aktuelle Aspekte der Agrarpolitik», in LID, Dok., 266, 6.11.86; J.-C. Piot, «Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft», in Documenta, 1986, Nr. 2 ; H. W. Popp, « Widersprüchliches um die Überschüsse und deren Kosten», in LID, Dok., 1459, 29.8.86. Der NR überwies ein Postulat betreffend Abgaben auf intensitätssteigernden Produktionsmitteln (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 456 f.). Vgl. auch die Motion Neukomm (sp, BE) für Direktzahlungen an die Landwirtschaft ( Verhandl. B. vers., 1986, II, S. 82) ; siehe ferner W. von Siebenthal, Direkte Zahlungen als Mittel der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik. Ein Beitrag zur Neuorientierung der schweizerischen Agrarpolitik, Konstanz 1986; LID, Press., 1432, 21.2.86; NZZ, 17.2.86 ; SHZ, 20,15.5.86 ; TW, 7.6.86. SBV : Landwirtschaftliches Produktionsprogramm fürdie Zeit von 1986 bis 1990 (= LID, Dok., 252, 27.12.85). Siehe auch BA für Statistik, Eidgenössische Betriebszählung 1985, Band 1: Landwirtschaftsbetriebe nach Gemeinden, Bern 1986; dass., Eidgenössische Betriebszählung 1985, Band 2: Landwirtschaftsbetriebe nach Kantonen, Bern 1986; dass., Eidgenössische Betriebszählung 1985, Band 3: Gartenbaubetriebe nach Kantonen, Bern 1986; dass., Schlüssel zu den Ergebnissen. Landwirtschaft, Gartenbau, Forstwirtschaft und Fischerei, Bern 1986 ; Die Volkswirtschaft, 59/1986, S. 480 ff.; wf, Kf, 19,12.5.86 ; 24, 16.6.86 ; 34, 25.8.86. Siehe auch SPJ, 1981, S. 88; 1985, S. 88 f.
[3] Preisbegehren: BZ, 5.4.86; Presse vom 9.4.86; LID, Press., 1439, 11.4.86; wf, KK, 15, 14.4.86; PZ, 14, 17.4.86; Gnueg Heu dune!, 1986, Nr. 4. Der Lagebericht des SBV rechnete für 1986 mit einer Negativdifferenz zum bäuerlichen Paritätslohnanspruch von 34 Fr. pro Tag im Tal- und 74 Fr. im Berggebiet (Presse vom 12.3.86 ; SGT, 9.4.86). Der Endrohertrag für 1986 sank gegenüber 1985 um 1/2% auf 8,75 Mia Fr. (LID, Press., 1431, 14.2.86; BaZ, 31.12.86). Paritätsrechnung: wf, Dok., 18, 5.5.86; siehe auch R. Schwarzenbach, Einkommensunterschiede innerhalb der schweizerischen Landwirtschaft – Ausmass und Ursachen, St. Gallen 1986 und SPJ, 1985, S. 89 f.
[4] Preisbeschlüsse: AS, 1986, S. 1087 f. ; Presse vom 17.6.86; SHZ, 25, 19.6.86 ; wf, KK, 25, 23.6.86. Kleinbauern: TW, 18.7.86; Coop-Zeitung, 34, 21.8.86; Gnueg Heu dune!; 1986, Nr.6. Vgl. auch SPJ, 1985, S. 90.
[5] Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1258 ff. und 2049 f.; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 618 ff. ; AS, 1963, S. 917 ff.; 1982, S. 1193 ff. ; 1986, S. 1112 ff.; BBl, 1986, III, S. 134 ff. und 411; Presse vom 4.9.86 ; 2.10.86; 9.10.86 ; SHZ, 39, 25.9.86 ; LID, Press., 1463, 26.9.86. Vgl. auch das überwiesene Postulat Schnider (cvp, LU) zur Förderung der Schaf- und Ziegenhaltung (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 2046 f.). Siehe ferner SPJ, 1982, S. 81.
[6] Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1965 f.; BBl, 1986, II, S. 1 122 ff.; Presse vom 18.12.86.
[7] Untersuchung: SAB, Das Einkommen der Bergbauern, Brugg 1986 ; Presse vom 27.5.86 ; wf, KK, 22, 2.6.86. Erhöhung: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1110 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 717 ff. ; BBl, 1986, II, S. 901 ff.; 1987, I, S. 60; Presse vom 4.3.86; 24. und 25.9.86; 5.12.86; NZZ, 18.7.86; Union, 1986, Nr. 9, 9.7.86; 10, 6.8.86; Coop-Zeitung, 35, 18.8.86. Siehe auch SPJ, 1984, S. 92.
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