Année politique Suisse 1986 : Economie / Agriculture
 
Pflanzliche Produktion
Sollen die Überschüsse im Bereich der Viehwirtschaft durch die Förderung der pflanzlichen Produktion abgebaut oder müssen die bisherigen Instrumente der Landwirtschaftspolitik geändert werden? Als der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) 1985 das Referendum gegen den revidierten Zuckerbeschluss ergriff, ging es nicht zuletzt um diese Grundsatzfrage. Daneben war die Abstimmung eher von geringer Tragweite: der Zuckerrübenanbau sollte von 850 000 auf 1 Mio t ausgedehnt und die Bundeskasse um 20 Mio Fr. entlastet werden ; kompensiert werden sollte diese Subventionskürzung mit einer Verteuerung des Zuckers um 15 Rp. pro kg. Im Abstimmungskampf standen sich die Konsumentenorganisationen, unterstützt von den Grossverteilern, und der Schweizerische Bauernverband (SBV) gegenüber. Die Ja-Parole beschlossen die bürgerlichen Bundesratsparteien, die EVP, die Liberalen und die kleinen Rechtsparteien, die Stimme gaben frei die SPS, die GPS, die NA und der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), Ablehnung der Vorlage empfahlen der LdU und die kleinen Linksparteien [17]. Nach einem emotional geführten Abstimmungskampf sprach sich der Souverän mit 61,7% deutlich gegen die Teilrevision des Zuckerbeschlusses aus. Nur 5 Stände (FR, JU, TG, VD, VS) stimmten der Vorlage zu, Baselland und Baselstadt verwarfen am stärksten mit 77,1 % respektive 82,8%. Im Vergleich zur Abstimmung über den Zuckerbeschluss von 1970, welcher mit 54% angenommen worden war, hatte der Ja-Stimmenanteil namentlich in der ländlichen Zentral- und Ostschweiz abgenommen. Einer Nachuntersuchung zufolge sprachen sich von den sozialen Gruppen einzig die Bauern für den Zuckerbeschluss aus (zu 86%); Arbeiter und einfache Angestellte hingegen verwarfen im Verhältnis von 3:1. Parteipolitisch fand die Vorlage nur unter den FDP-Sympathisanten eine signifikante Mehrheit, von den Anhängern von LdU und SPS wurde sie gar zu über 70 % abgelehnt. Als Hauptmotive für die Verwerfung eruierten die Autoren der Nachanalyse neben konsumentenschützerischen Argumenten namentlich die Meinung, von der angestrebten Vergrösserung der Zuckeranbaufläche hätte nur eine Minderheit von Landwirten im Mittelland profitiert. Bezüglich der vom Bundesrat betriebenen Agrarpolitik stellte die Untersuchung bei 41 % der Befragten Ablehnung und bei 30% Zustimmung fest. Der bestehende Zuckerbeschluss von 1979 bleibt somit bis 1989 in Kraft [18].
Mit den oben erwähnten Preisbeschlüssen im Brotgetreide- und Futtermittelsektor beabsichtigte der Bundesrat, die zu grosse Weizenfläche von 103 000 ha um 15% zu reduzieren und die Futtermittelproduktion auf 100 000 t anzuheben; zum Schutz des einheimischen Futtermittelanbaus wurde der Schwellenpreis für Importe erhöht. Damit soll die pflanzliche Produktion vom Weizenanbau auf die Futtermittel hin gelenkt werden, wodurch längerfristig jene Subventionen, welche die Verwertungskosten von überschüssigem Getreide als Futtermittel beanspruchen (1985: 58 Mio Fr.), eingespart würden. Eine Arbeitsgruppe, welche Möglichkeiten zum Abbau des Weizenberges untersuchte, bestätigte in ihrem Schlussbericht zuhanden des EVD die von Bundesrat und SBV eingeschlagene .Marschrichtung. Einschneidende Massnahmen wie eine Weizenkontingentierung wurden als unverhältnismässig abgelehnt. Der Weizenpreis sollte jedoch nicht mehr voll garantiert, sondern dem Markt angepasst werden. Von einer Streichung der Beiträge an Bauern in Gebieten mit erschwerten Produktionsbedingungen, wie sie Nationalrat Reichling (svp, ZH) angeregt hatte, riet die Kommission ab. Jene 40% der Getreideproduzenten, die davon betroffen wären, seien einerseits als Berg- und Hügelbauern auf solche Zahlungen angewiesen und würden andrerseits den Getreideanbau in allen Landesteilen garantieren, was auch der dezentralen Mühlenstruktur entspreche. Im Berichtsjahr erwiesen sich die bundesrätlichen Massnahmen jedoch als stumpf: Die Anbaufläche vergrösserte sich um 2200 ha, und von der Ertragsmenge mussten 75 000 t «denaturiert», das heisst zu Futtermitteln verarbeitet werden; daraus erwuchsen der Bundeskasse Unkosten von 30 Mio Fr. [19].
Auf vorerst geringe Beachtung stiessen bei den agrarpolitischen Preisbeschlüssen des Bundesrates die Massnahmen zur Sanierung der Weinwirtschaft. Mit einem Fünfjahresplan sollen mit rund 200 Mio aus dem Rebbaufonds Fr. 60–65 Mio l des überschüssigen Weinvorrates abgebaut werden. Dabei ist vorgesehen, über eine mit 38 Mio Fr. subventionierte, alkoholfreie und industrielle Verwertung eines Teils der künftigen Ernte (Tafeltrauben, Sauser, Traubensaft, Essig) den Markt um jährlich 12–13 Mio l zu entlasten respektive die gelagerten Überschüsse der Jahre 1982 und 1983 abzubauen. Gekoppelt wurden diese Massnahmen mit dem Aufruf zur Selbstbeschränkung der Winzer, damit die künftigen Ernteerträge im Durchschnitt 110 Mio l nicht überschreiten. Nachdem die erste Tranche dieses Sanierungspakets von der Finanzdelegation beider Räte genehmigt worden war, standen die genannten Massnahmen erstmals im Zusammenhang mit den Beratungen des Budgets für 1987 öffentlich zur Diskussion. Namentlich Walter Biel (ldu, ZH), einer der heftigsten Kritiker der bundesrätlichen Agrarpolitik, verlangte die Streichung der 38,5 Mio Fr. für die zweite Tranche. Bundesrat Stich bekräftigte die Entschlossenheit des Bundesrates, im Falle eines Fehlschlages des Sanierungsprogrammes behördliche Qualitäts- und Produktionsvorschriften zu erlassen; darauf stimmten beide Räte der Massnahme zu. Trotz dieses bundesrätlichen Fingerzeigs und der Aufrufe der Winzervereinigung nach Produktionsdrosselung überschritt der Ernteertrag 1986 mit 135 Mio l das Soll von 110 Mio l erneut deutlich [20]. Die Möglichkeit, eine Rechtsgrundlage des Bundes für eine Mengenbeschränkung pro Fläche zu erlassen, wird sich erst 1989 mit der Revision des Rebbaubeschlusses bieten, nachdem 1985 aufgrund des Vernehmlassungsverfahrens von einer entsprechenden vorzeitigen Änderung abgesehen worden war. Mittlerweile wurden in der Westschweiz zwei Instrumente zur Produktionsbeschränkung respektive Qualitätsverbesserung eingeführt : Der Kanton Genf reduzierte die zulässige Menge pro Quadratmeter, die Stände Waadt und Wallis führten drei Qualitätskategorien ein [21].
Im Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde die Bevölkerung durch die Verstrahlung der Lebensmittel existentiell betroffen. Die eidgenössische Kommission für AC-Schutz stellte vorerst eine erhöhte Radioaktivität in der Frischmilch, bei Freiland-Blattgemüse und Salaten sowie im Fleisch von Kleintieren fest und riet schwangeren Frauen und Kindern vom Konsum von Frischmilch ab. Die Empfehlungen der Kommission unterschieden sich jedoch stark von jenen des Auslandes, namentlich auch bezüglich der Festlegung der Toleranzwerte, und vermochten die verunsicherte Bevölkerung kaum zu beruhigen. Im besonders verstrahlten Tessin untersagte der Bundesrat das Schlachten der Schafe bis in den Spätherbst und den Fischfang im Luganersee bis auf weiteres. Um zu verhindern, dass die Schweiz mit radioaktiven Nahrungsmitteln überschwemmt würde, erliess das EDI im Dringlichkeitsverfahren eine Verordnung über Konzentrationen von radioaktiven Nukleiden in Lebensmitteln. Darin werden die Toleranzwerte für Caesium 134 und 137 in Übereinstimmung mit den EG-Normen für Agrarprodukte festgelegt und die Kontrolle der Lebensmittel auf Radioaktivität den Kantonen unterstellt. Nicht berücksichtigt wurde die von den Kantonen im Vernehmlassungsverfahren geäusserte Kritik, dass einerseits die Toleranzwerte für Kinder zu hoch angesetzt seien und andrerseits sich die Verordnung zu eng nur auf das bei der Tschernobyl-Katastrophe dominante Caesium beschränke und nicht auch andere radioaktive Isotope miteinbeziehe. In der Folge der Reaktorkatastrophe richteten die Produzenten rund 340 Begehren um Entschädigung an den Bund. Der Verband schweizerischer Gemüseproduzenten forderte Schadenersatz für 10 Mio Fr. Einnahmenausfälle, für welche er die Informationspolitik der eidgenössischen Kommission für AC-Schutz verantwortlich machte. Aus freiem Ermessen gestand der Bundesrat aber nur den Kleintierhaltern und Luganeser-Fischern eine Entschädigung in der Höhe von 900 000 Fr. respektive 200 000 Fr. zu; in den übrigen Bereichen, namentlich im Gemüsebau, erachtete es die Landesregierung angesichts des guten Verlaufs des Landwirtschaftsjahres als zumutbar, die Produzenten selber für den Schaden aufkommen zu lassen [22] .
Der Bundesrat passte die Lebensmittelverordnung (LVO) mit verschiedenen Änderungen den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Konsumgewohnheiten an und verlängerte die Übergangsfrist für die Revision der eidgenössischen Fleischschauverordnung um ein Jahr. Nach dem Ständerat stimmte 1986 auch die Volkskammer einem Kredit von 46,1 Mio Fr. für die Errichtung eines eidgenössischen Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe in Mittelhäusern/Köniz (BE) zu. Das Projekt war grundsätzlich unbestritten, es wurde jedoch bei der parlamentarischen Beratung kritisch vermerkt, dass die Verlegung dieses Instituts von der Region Basel nach Bern der Tendenz, die Bundesverwaltung zu dezentralisieren, entgegenlaufe [23].
 
[17] LID, Press., 1439, 11.4.86; 1447, 6.6.86.; 1452, 11.7.86; SGT, 12.8.86; 19.9.86; NZZ, 11.9.86; SHZ, 38, 18.9.86; Ww, 38, 18.9.86; LNN, 19.9.86; Sonntags-Blick, 38, 21.9.86. Zu den Abstimmungsparolen siehe NZZ, 24.9.86 sowie den Parolenspiegel der Parteien und Verbände (kantonal und eidgenössisch) des Forschungszentrums für schweizerische Politik, Bern. Pro: Schweiz. Aktionskomitee, Zucker aus unserem Boden, 1986; TW, 28.6.86; 14.8.86; LID, Dok., 262, 12.8.86; LID, Press., 1457, 15.8.86; 1460, 5.9.86; Vat., 30.8.86; SZ, 9.9.86; LID, Dok., 263, 1 1.9.86 (Erklärung der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz); Union, 1986, Nr. 11. Contra: MGB, Die schweizerische Zuckerwirtschaft, Zürich 1986; Wir Brückenbauer, 34, 20.8.86 ; 37-39, 24.9.86 ; BaZ, 27.8.86; Coop-Zeitung, 38, 18.9.86; BZ, 19.9.86. Vgl. auch die distanzierte Position der VKMB und des Stadt-Land-Komitees (Stadt+Land, 1986, Nr. 4). Die Bauern führten in Kloten eine Grossdemonstration für den Zuckerbeschluss durch (NZZ, 28.8.86). Siehe auch AS, 1986, S. 1583; Presse vom 30.9.86 und SPJ, 1985, S. 93f.
[18] Presse vom 29.9.86. Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 29.9.1986, Bern 1986.
[19] AS, 1986, S. 1527; BZ, 10.1.86; 17.10.86; 2.12.86; 22.12.86; SHZ, 6, 6.2.86; 28, 10.7.86; 44, 28.10.86; Bund, 30.6.86; 19.8.86; BaZ, 13.8.86; TA, 19.8.86; LID, Press., 1464, 3.10.86. Siehe auch SPJ, 1985, S. 94. Die Produktion von Brotgetreide stieg von 1981—1984 um 1/3 auf 600 000 t ; damit wurde ein Selbstversorgungsgrad von 131% erreicht (wf, KI, 5, 3.2.86). Die Futtermittelimporte sanken von 1973—1985 um 50% auf 670 000 t (NZZ, 24.4.86; Bund, 30.6.86).
[20] Amtl. Bull. NR, 1986, S. 775, 1320, 1782 ff. und 1855 f.; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 736 ff. und 770 f.; AS, 1986, S. 1528 ff. und 1531 ff.; SHZ, 22, 29.5.86; 37, 11.9.86; NZZ, 17. und 18.6.86; 5.6.86; 6.9.86; 3.10.86; 3.12.86 ; 6.12.86 ; JdG, 26.7.86; Coop-Zeitung, 40, 2.10.86; Ww, 42, 16.10.86 ; BZ, 18.10.86 ; Presse vom 9. und 10.12.86. Für den überschüssigen Wein der Jahre 1982 und 1983 wurden bereits je 35 Mio Fr. für die Lagerkosten aufgewendet. Vgl. auch SPJ, 1983, S. 99; 1985, S. 94 f.
[21] TA, 4.7.86 ; 23.8.86 ; NZZ, 24.7.86; Ww, 31, 31.7.86; LNN, 3.11.86. Vgl. auch die Studie von S. Borner / M. Birrer / R. Bürgin, Der schweizerische Weinskandal, Grüsch 1986, worin namentlich die Weinimportordnung und die Vergabe der Einzelkontingente kritisiert wird ; siehe dazu auch Ww, 39, 25.9.86 ; 41, 9.10.86 ; 51, 18.12.86. Ein überwiesenes Postulat Revaclier (fdp, GE) forderte den BR auf, Rechtsgrundlagen für die Qualitätsbezeichnung Vin d'appellation d'origine contrôlée (AOC) zu schaffen (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 457 f.). Der StR überwies eine Motion Steiner (svp, SH) als Postulat, wonach der Bund für die Frostschäden im Rebbau von 1985 und für künftige Frostschäden aufzukommen habe (Amtl. Bull. StR, 1986, S. 28 f.). Siehe ferner Amtl. Bull. NR, 1986, S. 775 und 1320. Zu den Diskussionen um den drohenden Konkurs der VS-Weinfirma Alphonse Orsat SA vgl. TA, 13.9.86; 25.9.86.
[22] Empfehlungen: TA, 5.-7.5.86; 12.5.86; BaZ, 21.5.86; NZZ, 22.5.86; 24.5.86; 27.8.86; 29.8.86. Verordnungen: AS, 1986, S. 1479 und 1485 f.; BaZ, 5.8.86; NZZ, 5.8.86; 13.9.86; LID, Press., 1456, 8.8.86; 1476, 9.1.87; Union, 15, 5.11.86; siehe auch die Interpellation Fetz, poch, BS (Verhandl. B.vers., 1986, V, S. 61 f.). Entschädigung: AS, 1986, S. 1476; BZ, 14.5.86; 9.10.86; 11.10.86; 6.12.86; SGT, 14.5.86; 7.6.86; TA, 14.5.86; 22.5.86; 28.6.86; NZZ, 16.5.86; 5.6.86; 28.6.86; 9.10.86; BaZ, 22.5.86; 28.6.86; 15.10.86; SHZ, 22, 29.5.86; Vat., 16.8.86 ; Bund, 9.10.86 ; Presse vom 23.12.86 ; LID, Press., 1476, 9.1.87. Vgl. auch unten, Teil I, 6a (politique énergétique).
[23] LVO: AS, 1986, S. 418 ff. ; AT, 24.1.86 ; SHZ, 4, 23.1.86 ; BaZ, 24.1.86 ; NZZ, 13.2.86 ; Vat., 3.5.86 ; siehe auch Vr, 25.3.86 ; BaZ, 6.6.86 ; 28.10.86. Fleischschauverordnung: NZZ, 9.12.86 ; vgl. auch Schweizer Monatshefte, 66/1986, S. 877 ff.; BaZ, 4.3.1986 ; SZ, 12.4.86 ; NZZ, 12.9.86 ; 4.10.86 sowie Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1486 f. und 1527 f. Institut für Viruskrankheiten: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 253 ff.; BBl, 1986, I, S. 897; NZZ, 18.3.86; siehe auch SHZ, 52, 23.12.86. Vgl. ferner oben, Teil I, lb (Verwaltung) und SPJ, 1985, S. 92.